Am Ende der Welt: selber denken!

Die Welt, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg kannten, war die des Kapitalismus’, eines scheinbar unverbrüchlichen Glaubenssystems, dem sich die gesamte westliche Gesellschaft unterordnete. Der Glaube ins ewige Wachstum ist seither gebrochen, eine Neuorientierung unumgänglich. Harald Welzer, Sozialpsychologe und Kulturwissenschaftler, und Claus Leggewie, Politikwissenschaftler, haben ein unter dem Titel «Das Ende der Welt, wie wir sie kannten»  Buch geschrieben mit einfachen Fragen und Beispielen, wie die Lügen des Welttheaters aufgedeckt werden können.

Wachstum sei unabdingbar für eine gesunde und prosperierende Gesellschaft. Das war das Credo und der Fetisch der Wirtschaftselite und – zugegeben – die meisten von uns haben daran geglaubt. Wie falsch diese Annahme war, zeigen die heute kranken Finanzinstitute und Volkswirtschaften und die protestierenden Massen auf den Strassen.
Innerhalb eines Jahres versagten zwei High-Tech-Systeme – mit unabsehbaren Folgen: Die Bohrinsel im Golf von Mexiko und das AKW in Fukushima.
Im Namen des Fortschritts und des Wachstums gehen Wirtschaftsbosse mit dem Segen der Politik untragbare Risiken ein, für die am Ende jene bezahlen, die nie gefragt wurden. Nach einer ehrlichen Ursachen-Wirkungsanalyse müssten wir unsere Lebensweise radikal in Frage stellen. Doch die meisten Menschen wollen (noch) nicht hinschauen und die an sich logischen Schlüsse ziehen, geben Welzer und Leggewie zu bedenken.
Ob stetes Wachstum bei endlichen Ressourcen möglich sei, ob AKWs sicher sein können, das sind die einfachen Fragen, die gestellt werden müssen, und die ebenso einfachen Antworten darauf lauten immer wieder «Nein».

Zehn Empfehlungen für einen Wertewandel weg vom Wachstum, hin zu mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit (nach Harald Welzer):

1.    Selber denken (nicht fremddenken lassen) – zu viel wird einfach nachgeplappert.
2.    Trauen Sie Ihrem Gefühl und nicht der Illusion, die Ihnen zur Erhaltung der bestehenden Ordnung vorgespielt wird.
3.    Stellen Sie Kinderfragen wie: Warum werden Schulden grösser, obwohl gespart wird?
4.    Suchen Sie zusammen mit Freunden und Gleichgesinnten nach Antworten.
5.    Wo immer Sie zu beunruhigenden Antworten kommen, versuchen Sie aus dem jeweiligen System auszusteigen.
6.    Hören Sie auf, Europapolitikern und Wirtschaftsforschungsinstituten zu glauben. Und glauben Sie erst recht nicht, es gäbe keine Alternativen. Die gibt es immer, besonders in einer Demokratie.
7.    Jetzt müssen Sie nicht mehr jeden Blödsinn tolerieren. Nutzen Sie Handlungsspielräume und geniessen Sie den Luxus, der Ihnen auf der Sonnenseite der Welt geschenkt wurde.
8.    Mögliche Ideen dafür: Arbeiten Sie weniger, verweigern Sie sich dem Wachstumszwang, kaufen Sie lokal und fair ein, fragen Sie, woher der Fisch kommt, ändern Sie die Pausenthemen, produzieren Sie nach dem Cradle-to-cradle-Prinzip und wenn Sie sich für intellektuell halten, riskieren Sie was!
9.    Zukunftsfähig zu sein ist das Gegenteil von «Business as usual». Machen Sie endlich bei Dingen und Gruppen mit, auf die Sie stolz sein können.
10.    Warten Sie nicht auf Veränderung von «oben» und vergessen Sie das Weltgemeinschafts-Gerede und Lösungen könnten nur global sein. Freuen Sie sich darüber, selbst die Zukunft in die Hand zu nehmen und beginnen Sie mit Ihrem Leben, Ihren Liebsten und Ihrem Land verantwortungsvoll und nachhaltig umzugehen – das genügt völlig.


 
Claus Leggewie und Harald Welzer: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Fischer Verlag, 2011, 288 S., gebunden, Fr. 30.50, Euro 19.95
04. April 2011
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