Arme Männer – arme Frauen

Stärkt man die Frauen, indem man die Männer schwächt?

Deutsche Männer leben riskanter, sind kränker, haben insgesamt weniger Geld zur Verfügung  und sterben im Schnitt sechs Jahre früher als deutsche Frauen. Inzwischen haben junge Frauen ihre männlichen Altersgenossen zudem  in Sachen Ausbildung und Berufschancen abgehängt. Das bedeutet für die Frauen mehr Lebensrisiken und mehr Einsamkeit.

Im Berliner «Soda Club» kommen Unterbeschäftigte Prekarier  als lässige Abräumer daher, taffe Geschäftsfrauen wie Franziska im Jungmädchen-Look.
«Kannst du nur gucken?», fährt sie einen nicht mehr ganz knackigen Jüngling in gestreifter Hose, T-Shirt und Hosenträgern an und führt ihn zum Salsatanz aufs Parkett. Sie bewegt sich geschmeidig – auf Distanz wirkt sie mindestens ein Jahrzehnt jünger.
Franziska S. ist Finanzredakteurin. Sie ist 38 Jahre alt, singt im Chor, ist in Psychotherapie und betreibt Radsport. Kinder hat Franziska keine und auch keine feste Beziehung.  «Ich arbeite in einem kinderfreundlichen Betrieb, und ich würde auch beruflich zurückstecken, wenn es sein müsste. Der Mangel an Kindergartenplätzen ist nicht das Problem», sagt sie. Das liesse sich organisieren, sie könnte auch viel von zu Hause aus arbeiten und arm ist sie auch nicht.
Irgendwo ist trotzdem der Wurm drin. «Ich habe einfach bisher keinen Partner gefunden, mit dem ich mir Elternschaft vorstellen könnte.» Affären seien immer zu haben, sagt sie, aber nichts Ernstzunehmendes. «Vielleicht werden berufliche Projekte meine Kinder sein.» Eine Affäre mit einem verheirateten Vorgesetzten hat sie beruflich nur um Haaresbreite überlebt. «Nie wieder», sagt sie.
Franziska ist in guter Gesellschaft, und zwar vorwiegend weiblicher. So auch bei den Mercedessen unter den Online-Partnervermittlungen. «Parship» und «Elitepartner» mit zusammen mindestens drei Millionen Mitgliedern sind raffinierte, psychologisch fundierte Vermittlungsautomaten, die ordentlich Geld kosten. Sie sind die teuersten am Markt und von Akademikerinnen dominiert, wobei die etwa 38-Jährigen die stärkste Gruppe stellen. Diese sind meist beruflich etabliert, verdienen gut und das Ende des fruchtbaren Lebensabschnittes ist absehbar. Bei den kostenlosen Online-Partnerbörsen kommen hingegen oft drei bis vier Männer auf eine Frau.

Rollentausch mit Nebenwirkungen

Auch die 28-jährige Berliner Autorin Ariadne von Schirach – sie ist attraktiv, gebildet und wohlhabend – beklagt schon heute den Rückzug des männlichen Geschlechts vom erotischen Schauplatz, dass zu viele junge Männer vor dem Bildschirm «bis zum Tennisarm onanieren». «Muss man denn alles selber machen?», fragt sie angesichts der «metrosexuellen Weicheier», wie sie sie nennt, die nur eines wollen: «Reden, Kuscheln, Verständnis».
Liegt der seit fünfunddreissig Jahren andauernde Geburtenmangel in Deutschland womöglich nicht nur am Defizit an staatlicher Kinderbetreuung, sondern auch daran, dass viele gut qualifizierte Frauen keinen Partner auf wirtschaftlich und sozial gleicher Augenhöhe finden?
Interessant ist der wiederkehrende Verweis auf den Nachbarn Frankreich mit hoher Geburtenrate und hoher Frauenerwerbsquote. Dort gibt es tatsächlich ein viel besseres  Betreuungsangebot für Kinder als in Deutschland.
Dennoch sollte man genau hinschauen: Geraten junge Franzosen sozial und bildungsmässig ebenso ins Hintertreffen wie junge Deutsche? Treffen die Französinnen ihre Partnerwahl womöglich weniger nach dem Muster «Mann oben, Frau unten»? Und: hängt das männliche Selbstwertgefühl der Franzosen vielleicht nicht so stark von Einkommen und Sozialprestige ab wie das der Deutschen?
Ein weiteres Argument gegen das Kalkül «mehr Krippenplätze gleich mehr Kinder» ist der Osten Deutschlands. Dort ist die Versorgung mit Krippenplätzen landesweit mit Abstand am besten, der bildungsmässige Vorsprung der jungen Frauen am höchsten und die Geburtenrate mit die niedrigste der Welt, was im aktuellen «Gender-Datenreport»  des deutschen Familienministeriums  deutlich wird.
Das zunehmende psychosoziale Hintertreffen der deutschen Männer befreit schon heute Frauen mit steigender Qualifikation zunehmend von der «Last der Fortpflanzung», wie die offizielle  bundesdeutsche Studie «Elternschaft und Ausbildung» feststellt: Von den Frauen ohne Schulabschluss oder mit Hauptschulabschluss bleiben nur ca. 20 Prozent zeitlebens kinderlos, über 40 Prozent sind es bei den Akademikerinnen und rund 75 Prozent bei weiblichen Führungskräften. Bei Männern verhält es sich genau umgekehrt: Je qualifizierter sie sind und je höher ihr Einkommen, desto mehr Nachkommen haben sie im statistischen Mittel.
Statistiken sind mit Vorsicht zu geniessen. Doch nimmt man den aktuellen «Gender-Datenreport» des bundesdeutschen Ministeriums für alle ausser Männer im besten Alter (Pardon: für Frauen, Senioren, Familie und Jugend) zur Hand, zeichnet sich ein Bild ab, das nicht so recht zur durch Männermacht benachteiligten Frau passen will.
Ein paar Daten gefällig?
  • Schulabgänger ohne Abschluss, Sonderschüler, Haupt- und Realschüler sind meist männlich – deren Lehrkräfte sind meist weiblich.
  • Die meisten Gymnasiasten und Studierenden sind weiblich – deren Lehrkräfte sind meist männlich – und machen zudem die besseren Abschlüsse, als ihre männlichen Kommilitonen.

Als Franziska zur Schule ging, waren diese Verhältnisse noch umgekehrt. Und doch ist bereits in ihrer Altersklasse festzustellen, dass die Vollerwerbsquote bei Frauen seit Jahrzehnten steigt und bei Männern sinkt, die Arbeitslosigkeit von Frauen erstmals niedriger ist als bei Männern und rund zwei Drittel der meist im Dienstleistungsbereich neu geschaffenen Jobs von Frauen belegt werden. Wie wird es den heranwachsenden Frauen ergehen, die ihre männlichen Altersgenossen bereits in der Schule abgehängt haben? Wie werden sie ihre Wünsche nach Partner- und Elternschaft realisieren?
Doch auch in anderen Bereichen schreitet die Gleichstellung unaufhaltsam voran:
  • Junge Frauen holen beim Rauchen, bei Alkohol- und Drogenkonsum wie auch bei der Kriminalität (einschliesslich Gewaltdelikte) gegenüber den Männern deutlich auf (Gender-Datenreport). Dies gilt auch für stressbedingte Erkrankungen vor allem bei berufstätigen Frauen (siehe «Sind Frauen bessere Menschen?»).
  • Die statistischen Lebenserwartungen von Frauen und Männern driften seit ca. 20 Jahren nicht mehr zugunsten der Frauen auseinander.
  • Der grosse Absicherungs- und Umverteilungsapparat namens «Ehe» hat zunehmend ausgedient. Unterhaltszahlungen, Erbschaften und Witwenrenten fliessen immer weniger von Mann zu Frau (Gender-Datenreport).


Defektwesen Mann?

Ein Teil der chancenlosen Männer wandert in den Knast, für einen anderen Teil entstehen Arbeitsplätze bei Militär, Polizei und Sicherheitsfirmen. Männer erfüllen auf diese Weise zuverlässig die Rollen, die sie schon als Knaben beim alltäglichen Medienfutter männlicher Gewalt erlernten. Wirkliche Männer, die ein positives Bild männlicher Kraft, Fürsorglichkeit, Geschicklichkeit, Kreativität und Konstruktivität vorleben könnten, sind immer häufiger abwesend. Dies nicht nur, weil sie auch infolge eigener Vaterlosigkeit überfordert sind, sondern immer noch auch per Gesetz und Richterbeschluss.
«Schlaue Mädchen, dumme Jungs», titelte «Der Spiegel» im Heft 21/04. Gern wird immer wieder darauf verwiesen, dass der statistische Rückstand der Männer in vielen Bereichen biologisch bedingt sei. In Sachen Sex und Geschlechtsidentität hat die Biologie in den  Elfenbeintürmen der «Gender»-TheoretikerInnen hingegen keine Rolle zu spielen.
Wären Männer biologisch benachteiligt, wäre dann nicht endlich eine Gleichstellungspolitik für Männer angesagt, Männerförderprogramme, wie es sie auch für Behinderte und andere Minderheiten gibt (Männer sind ja dank hoher Sterblichkeit eine Minderheit)? Das umfangreiche wissenschaftliche Datenmaterial der «Klosterstudie» und aus dem Buch «Sind Frauen bessere Menschen» zeigt, dass
  • Mönche in Klöstern wesentlich älter werden, als ihre Geschlechtsgenossen in «freier Wildbahn», und zwar fast genauso alt wie Nonnen,
  • Männer keineswegs immer und überall auf der Welt deutlich früher starben und sterben als Frauen (dies vor allem im modernen Westen),
  • Männer schlicht mehr Gewalt und Risiken ausgesetzt sind (sämtliche «Todesberufe» werden fast ausschliesslich von Männern ausgeübt und die allermeisten Gewaltopfer sind Männer),
  • Mindestens zwei Drittel aller Gesundheitsausgaben Frauen zugute kommen.

Männer dominieren nach wie vor Führungspositionen in Wissenschaft und Forschung, Kultur, Wirtschaft, Sport und Politik. Würden biologische Mängelwesen den damit einhergehenden Dauerstress, langjährige maximale Arbeitsbelastung und permanenten Konkurrenzkampf lange genug durchhalten, um nach oben zu kommen und dort zu bleiben?
Hand aufs Herz: Wie viele Frauen wollen in ein mörderisches Arbeitspensum («Führungspositionen») und einen permanenten Konkurrenzkampf hineinquotiert werden?
Bei der Erschaffung der Technosphäre und des staatlichen Versorgungsapparates haben die Männer derart saubere Arbeit geleistet, dass sie sich quasi selbst wegrationalisiert haben. Heute kann jede westliche Frau auch ohne Mann «unabhängig» sein. Ab und zu dürfen Männer noch eine Rolle als Lover und/oder Samenspender spielen, ansonsten steht Papa Staat zur Verfügung, der garantiert immer zahlt.
Die emotionale, erotische Abhängigkeit der heterosexuellen Männer vom weiblichen Gefühlsmonopol blieb hingegen unangetastet und verschärft sich dank zunehmender Abwesenheit der Männer in der Kindererziehung weiter.

Verflixte Überlegenheit

Statistisch zeichnet sich ein Bild ab, das nicht so recht zur Frau als gesellschaftliches Opfer passen möchte (alle Daten aus «Sind Frauen besser Menschen? »): 57 Prozent aller Wähler sind dank Übersterblichkeit der Männer weiblich, 75 Prozent der Warenumsätze, Verkaufsflächen und Werbebudgets beziehen sich auf weibliche Käufer, die folglich über entsprechende Geldmittel verfügen müssen. Tatsächlich gehen vorsichtig geschätzt über 60 Prozent des Sozialprodukts einschliesslich Sozialleistungen, Unterhaltszahlungen, Witwenrenten und Erbschaften (ebenfalls dank frühem Tod der Männer) an Frauen (Kinder nicht eingerechnet), und das, obwohl Frauen insgesamt deutlich weniger Erwerbseinkommen erzielen als Männer. Dies jedoch vor allem deshalb, weil sie insgesamt weniger Erwerbsarbeit in weniger belastenden Positionen leisten. Bei direktem Vergleich exakt gleicher Positionen von Männern und Frauen kann von allgemeiner Lohndiskriminierung keine Rede mehr sein.  («Sind Frauen bessere Menschen» S. 368-406)
Und: Frauen erziehen ganz überwiegend die Männer und Frauen von morgen. Kann die demokratische, westliche Wohlstandswelt  anders aussehen als im Sinne der langlebigeren, kauflustigeren Mehrheit?
Wie lange wird es noch «Girl’s Days», Frauenquoten, Frauenförderung geben? Bis auch insofern Gleichstellung herrscht, dass die Lebenserwartung der Frauen auf die der Männer abgesunken ist, da die Vermännlichung der Lebenswelt der Frauen für sie eben auch mehr Risiko, Stress, Einsamkeit und Existenzdruck bedeutet?
Können Frauen nur gewinnen, was sie den Männern abgenommen haben, einschliesslich der Nachteile der Männer?
Wie wäre es mit einer Aufwertung des Images von Kinderpflege und Haushaltsarbeit? Wie schrecklich ist das Los der Hausfrau/des Hausmannes wirklich, mit zwei Kindern ca. 30 Stunden pro Woche zu arbeiten und bei minimalem Berufsrisiko zumeist über reichlich finanziellen und zeitlichen Gestaltungsspielraum zu verfügen?
Vielleicht liegt das Problem auch hier: Wie viele Frauen finden Männer erotisch, die sich überwiegend mit Windeln wechseln, Putzen, Kochen und Einkaufen beschäftigen?

Eberhard Hierse (* 1970) lebt in Erfurt und ist von Beruf Stadtplaner und Redakteur. Seine Themenschwerpunkte sind die modernen Mythen rund um das Glaubenssystem der «Political Correctness».

Quellen und weitere Infos: www.klosterstudie.de,Elternschaft und Ausbildung, offizielle Studie unter  www.bmfsfj.de, Gender-Datenreport unter www.gender-mainstreaming.de, Arne Hoffmann: Sind Frauen bessere Menschen?, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2001, 608 Seiten, Fr. 34.20, Euro 18,90.
01. Mai 2007
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