Seit mehr als 200 Jahren brettert die sogenannte zivilisierte Welt apokalyptisch getrimmt in eine Zukunft, die keine sein kann. Immer noch schneller und zugleich mit immer noch grösseren sogenannten Fortschritten. Schulen sind ein Teil dieser Welt, weil und wenn sie die Bildung mit Rennbahnpädagogik und mit Gleichmacherei in Jahrgangsklassen sowie mit Selektion und Separation organisieren.
In seinem «Traktat über die Wilden Nordamerikas» schrieb Benjamin Franklin um 1784:
Beim Vertrag von Lancaster in Pennsylvania, anno 1744, zwischen der Regierung Virginias und den Sechs Völkern, teilten die Bevollmächtigten Virginias den Indianern in einer Rede mit, dass es in Williamsburg ein College mit einer Stiftung für die Erziehung indianischer Jugendliche gebe; und wenn die Häuptlinge der Sechs Völker ein halbes Dutzend ihrer Söhne zu diesem College schickten, würde die Regierung Sorge tragen, dass ihnen nichts fehle und dass sie in allem dem, was die weissen Männer wissen, unterwiesen würden.
Der Sprecher der Indianer erwiderte: Wir wissen, dass ihr das Wissen, das an diesen Orten gelehrt wird, hoch schätzt und dass die Versorgung unserer jungen Männer bei Euch sehr kostspielig für Euch wäre. Wir sind deshalb überzeugt, dass Ihr uns mit Eurem Vorschlag Gutes erweisen wollt, und wir danken Euch von Herzen. Aber Ihr, die Ihr klug seid, müsst wissen, dass verschiedene Völker unterschiedliche Auffassungen von den Dingen haben; und ihr werdet es uns deshalb nicht verübeln, wenn unsere Vorstellung von dieser Art Bildung zufällig nicht mit der Euren übereinstimmt.
Wir haben einige Erfahrungen darin gesammelt; mehrere unserer jungen Leute wurden früher in den Colleges der nördlichen Provinz erzogen; sie wurden in allen Euren Wissenschaften unterrichtet; aber als sie zu uns zurück kamen, waren sie schlechte Läufer, wussten nicht mehr, wie man im Wald lebt, konnten weder Kälte noch Hunger ertragen, wussten nicht, wie man eine Hütte baut, einen Hirsch erlegt oder einen Feind tötet, sprachen schlecht unsere Sprache, waren deshalb weder zu Jägern noch zu Kriegern, noch zu Beratern tauglich; sie waren zu überhaupt nichts mehr nutz.
Wir sind euch nichtsdestoweniger für euer freundliches Angebot zu Dank verpflichtet, obgleich wir es nicht annehmen können, und um unsere Dankbarkeit zu bezeigen, werden wir, wenn die Herren Virginias uns sein Dutzend ihrer Söhne schicken wollen, für deren Erziehung sorgen, sie in allem unterrichten, was wir wissen, und Männer aus ihnen machen.
Die Welt, in der wir leben, wird zurzeit rigoros in Trümmer zerlegt. Von kranken Machthabern als Brandbeschleuniger für eine «Zuvielisation», die in Tat und Wahrheit schon länger an sehr vielen Ecken und Enden brennt. Es ist eine Welt, die von Gier, Herrsch- und Vergnügungssucht sowie von Zerstörungswut geprägt ist. Sie manifestiert sich als ein Trauma mit sowohl individuell als auch kollektiv wirksamen Folgen.
Dass Menschen mehr oder weniger systematisch und/oder systemimmanent traumatisiert werden, beschäftigt mich schon lange: Beispielsweise auch im Zusammenhang mit der Schule. So wie Schulen die Bildung organisieren, kann es viele Verlierer geben. Nach dem Allerwelt-Wirtschafts-Motto «Konkurrenz belebt das Geschäft … und mit Verlusten muss gerechnet werden». Schule als Motor für eine Welt, die nach dem Muster «Kämpfen und Siegen» zu Kriegen und Zerstörung führen kann.
Schule mit Rennbahnpädagogik, wo gelernt wird, um zu gewinnen, und nicht für die Bildung, ist und macht krank. Mit Traumafolgen oft für ein ganzes Leben. Unter solchen Bedingungen ist beispielsweise ein Schulanwesenheitszwang fachlich nicht haltbar und menschlich würdelos. Kinder, denen diese Unfreiwilligkeit nicht entspricht, werden mitunter als verhaltensgestört oder/und als therapiebedürftig diagnostiziert. Dem Vernehmen nach sollen es immer mehr werden.
Immer mehr Schülerinnen und Schüler reagieren auf diesen Zwang aktiv oder passiv mit Widerstand. In der Regel nicht bewusst sowie vom Umfeld nicht als ein solcher erkannt. Das ist der psychodynamisch-soziale Aspekt. Neben Traumafolgen ist das Ganze auch mit Kostenfolgen verbunden und ökonomisch eigentlich ein Unsinn: immer mehr Mittel für immer weniger Bildung. Wenn dafür Verantwortliche davon nichts wissen (wollen), und viele Medien nichts darüber berichten, macht es dies nicht wirklich besser.
Ich habe es mir abgewöhnt, mich mit Vertretern einer Bildungsorganisation anzulegen, die mit einem «toxischen Positivismus» propagandistisch schön reden, was eigentlich scheusslich ist. (1) Basierend auf einer «konstruktiven Kritik» inszenieren Politik und Verwaltung grossartig Reformen, die sogenannt wissenschaftlich designt sind. Damit alles im Prinzip beim Alten bleiben kann.
Soll die Bildungsorganisation den Herausforderungen und Chancen im 21. Jahrhundert entsprechen, braucht es dafür nicht immer noch mehr aufwändige und teure Reformen, sondern einen fundamentalen Wandel. Es ist sehr erfreulich, dass und wie dafür immer mehr Projekte mit den Kindern und ihren Eltern mutig auf einem anderen Weg sind. Bildung kann für den Aufbau einer Gemeinschaft in einer anderen Welt dienen. Im Kleinen wie im Grossen. Ideell herzhaft und alltäglich konkret.
Eine Grundlage für die Gemeinschaftsbildung ist das Miteinander-Reden und das Einander-Zuhören. Wo Verschiedenheit anerkannt und akzeptiert ist. Und wenn nach Klärung des Trennenden das Verbindende gesucht wird, kann kokreativ eine Welt erfunden und gestaltet werden, die gemeinschaftlich alle trägt und arm an einer Diskriminierung mit Kriegs- oder Traumafolgen ist.
Mögen wir uns mögen:
Mit Lebenskraft der Erde.
Mit Liebe in unseren Herzen.
Mit Gold in unseren Seelen.
Im Buch «Du musst dein Leben ändern» kritisiert Peter Sloterdijk das traditionelle Bildungssystem und argumentiert, dass es die individuellen Potenziale der Schüler erstickt. (2) Er beschreibt, wie Schulen dazu neigen, Schüler zu standardisierten Individuen zu formen, anstatt ihre einzigartigen Fähigkeiten und Interessen zu fördern. Sloterdijk plädiert für eine Bildung, die den Schülern mehr Freiheit und Raum zur Selbstentfaltung gibt. Seine Kritik zielt darauf ab, dass das Schulsystem oft zu einer «Herstellung von Uniformität» führt, anstatt die Vielfalt und Kreativität der Schüler zu unterstützen. Er fordert eine Neubewertung der Bildungsziele und -methoden, um eine Kultur der Selbstentfaltung und individuellen Potenzialentfaltung zu fördern.
In Zeiten des grundlegenden Wandels, wie wir sie erleben, können wir uns im Prinzip zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: entweder alleine untergehen oder gemeinsam vorankommen.
Wer sich für die zweite Lösung entscheidet, hat viel vor sich. Wir müssen in gewisser Weise wieder in die Schule zurück. Aber nicht in eine Schule, in der wir in Klassen eingeteilt und benotet werden, in der unsere Einzigartigkeit und unsere besonderen Talente unterdrückt und wir zu Einzelkämpfern ausgebildet werden, sondern eine Schule, in der wir lernen, uns miteinander auszutauschen, zu teilen und in Frieden zusammenzuleben.
Kerstin Chavent dazu in «Gemeinsam weiterkommen» (3): «Wir brauchen eine Schule, in der wir nicht gegeneinander ausgespielt werden und uns unsere kostbare Lebenszeit stehlen lassen, sondern eine Schule, in der wir lernen, was gleichermassen dem Einzelnen und dem Kollektiv dienlich ist. Denn eines bedingt das andere. Beide wirken zusammen und befruchten sich gegenseitig.»
Eigentlich ist es einfach, Bildung lehr- und lernreich sowie gemeinschaftlich und menschenfreundlich zu organisieren.
Meinen Optimismus nähre ich in vielen Lebensfeldern durch die Auseinandersetzung mit Projekten, die in einer anderen Welt für eine andere Welt unterwegs sind. So wie beispielsweise die Menschen vom Film «Bildungsgang». Ihr Film dokumentiert auf eindrückliche Art die Reflexion junger Menschen zur Bildungskrise.(4) Daran anknüpfend teilen sie mit: «Wir bauen eine neue Art von Uni auf - Die Uniartcity of Flow Valley - und du kannst bei uns studieren oder deine Ausbildung machen. Insbesondere in Medienarbeit, Handwerk, Film & Musikproduktion, Gärtnerei, Architektur, Psychologie, Sport, Aktivismus, Philosophie, Unternehmertum, Biologie, Pädagogik, Kunst & Kultur, Politik, Social Media, Projekt & Eventmanagement und Nachhaltigkeit.» (5)
Schule ist auch in der Schweiz eine Zwangsveranstaltung. Und sie wird es noch enger, wenn alle das Gleiche lernen und können sollen. Chancengerechtigkeit kann bedeuten, dass alle Menschen die Chance haben zu lernen, was sie wollen. Und Freiheit kann im Sinne von frei sich bilden bedeuten, dass man nicht lernen und tun muss, was man nicht will.
Der Anwesenheitszwang entspricht dem Herrschafts-Prinzip der allgemeinen Schulpflicht: frei sich bilden geht anders. Das Ab- und Unterrichten ist auf einen Anwesenheitszwang angewiesen. Und Chancengleichheit im Sinne von «für alle das Gleiche» ist ein Unding. Menschen sind von Natur aus verschieden: Auch bei der Bildung ist Diversität gefragt.
Um herauszufinden, wer Dich beherrscht, finde einfach heraus, wen Du nicht kritisieren darfst.
Seit gut 12 Jahren freischaffend als Bildungs- und Lebensraumkünstler mit Herz, Kopf, Hand und Fuss unterwegs, bin ich vor Kurzem dem schulfrei gebildeten André Stern begegnet. Er bezeichnet sich selber als 55jähriges Kind und meinte leibhaftig und life dazu:
Deine Begeisterung ist das, was dich relevant und unentbehrlich für die Welt macht. Was ist es, das dich wirklich begeistert? Erlaube dir, für deine Antwort von freier Wahl auszugehen und nicht von Einschränkungen. Wo erlebst du, dass du trotz aller Schwierigkeiten an Sachen dranbleibst, weil sie dich begeistern und zutiefst beglücken? Oder du kannst dich an deine Kindheit erinnern: Was hat dich als Kind begeistert? Bei welchen Aktivitäten bist du tief hineingesunken und hast alles rund um dich vergessen? Wie kannst du diese Qualität mehr in dein jetziges Leben holen?
Alle zwei bis drei Minuten erlebt ein Kleinkind einen Begeisterungssturm. Erwachsene Menschen erleben die gleiche Intensität an Begeisterung jedoch nur … zwei- bis dreimal pro Jahr! Als Kinder lernen wir jedoch oft, dass man uns mehr lieben würde, wenn wir mehr den Erwartungen entsprechen. Wir hören, dass wir uns verbessern müssen, hart arbeiten müssen – die Mühe wird so zu einem Kult.
Die Begeisterung der Kindheit bleibt dabei oft auf der Strecke. Begeisterung ist uns jedoch angeboren. Sie muss weder trainiert noch entwickelt werden, man kann sie auch nicht «wecken»: Sie ist kein Knopf, auf den man drücken kann. Sie ist mehr wie ein innerer See, dessen Landschaft wir nie vergessen. Doch meist ist sie überdeckt von Wolken und Vorhängen, die es zu entfernen gilt.
Begeisterung wird oft mit Freude verwechselt. Freude hört meist auf, wo die Schwierigkeiten anfangen oder Niederlagen auf dich warten. Begeisterung jedoch trägt dich darüber hinweg, sie verleiht Flügel und macht regelrecht genial. Wir können mit ihr Berge versetzen. Wenn wir Kinder beobachten, wie sehr sie sich begeistern, werden wir dieser besonderen Energie begegnen. Begeisterung muss dabei weder laut noch spektakulär sein, aber sie ist ansteckend, unwiderstehlich ansteckend.(6)
Quellen und Links zu mehr Infos
(1) Höre dazu Verena König: https://www.youtube.com/watch?v=BfSHH1gpA0E
(2) Du musst dein Leben ändern, Peter Sloterdijk, 2009
(3) Gemeinsam weiterkommen, Kerstin Chavent, 2025: https://www.manova.news/artikel/gemeinsam-weiterkommen
(4) Hier der Link zum 3-Minuten-Trailer: https://www.bildungsgang-film.de.
(5) Wie das Ganze funktioniert, siehst Du hier: https://youtu.be/LGvqly647Xs?si=BQ1coWfvwTyWOUrV.
(6) Begeisterung – die Energie der Kindheit wiederfinden, André Stern, 2019