Brief aus Beirut

Mariam Younes, die Libanon-Korrespondentin der Zeitschrift International, live aus Beirut: «Es handelt sich nicht um eine gezielte Operation gegen die Hisbollah, sondern um einen Flächenbombardementkrieg, der eine Stadt und ein halbes Land verwüstet, Zivilisten vertreibt, tötet und verletzt.»

Screenshot eines TV-Beitrags aus Beirut

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich hoffe, es geht Euch allen gut. Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich in den letzten Wochen und Tagen kontaktiert haben, um nach mir zu fragen. Ich habe versucht, allen zu antworten, aber die Dinge waren so beängstigend, überwältigend und chaotisch, dass ich es manchmal vergesse oder einfach nicht die Energie dazu habe.

Das Wichtigste ist, dass ich in Sicherheit bin, genau wie meine Familie und meine Freunde. Einige haben ihr Zuhause verloren, die meisten mussten in sicherere Gebiete umziehen oder ihre Häuser für Familienangehörige und Freunde in Not öffnen. Mein Haus liegt in einer relativ sicheren Gegend, aber immer noch in der Nähe der Bombenangriffe.

Ein Teil meiner Familie ist zu mir gezogen, weil ihre Häuser entweder unsicher oder zerstört sind. Wegen des Lärms der Bombardierungen haben wir nicht viel geschlafen und verbrachten die meisten Nächte damit, mit Freunden in anderen Gegenden zu sprechen, um sicherzugehen, dass es ihnen gut geht. Tagsüber versuchen wir, so gut es geht, unseren Alltag weiterzuführen, aber es ist unglaublich schwierig. Abgesehen von der aktuellen Situation machen wir uns Sorgen darüber, was als nächstes passieren wird.

Was wird aus unserem Land, unseren Häusern, unseren Lieben? Wie lange wird dieser Alptraum noch andauern und wie wird unsere Zukunft aussehen?

Ich weiss, dass ich jederzeit gehen könnte, solange es noch Flüge gibt, aber der Gedanke, alle zurücklassen zu müssen und mich all diesen Fragen und Ängsten alleine zu stellen, hält mich davon ab, diesen Schritt zu tun. Das ist meine jetzige Situation - immer noch sicher und gut, und viel besser als die von Millionen anderen im Libanon im Moment.

Derzeit gibt es etwa 10 000 Verletzte, viele davon Zivilisten, fast eine Million Binnenflüchtlinge, viele von ihnen zum zweiten Mal. Unter ihnen sind syrische und palästinensische Flüchtlinge, Arbeitsmigranten, alte Menschen, Kinder und Kranke.

Vor zwei Tagen war ich im Stadtzentrum von Beirut, und der Anblick war herzzerreissend. Menschenmassen, die auf der Strasse schliefen, nur mit ihren Kleidern bekleidet, vielleicht mit einer Matratze oder ein paar Decken, und warteten auf jede Hilfe, die Einzelne oder NGOs geben konnten. Mein Neffe und meine Nichte waren gestern dort und haben mit Familien gesprochen, um zu erfahren, was sie brauchen. Die Liste der benötigten Dinge ist überwältigend. Andere schlafen in Schulen oder in ihren Autos - eine Situation, die vielleicht für ein paar Nächte oder gar Wochen erträglich ist, aber aber sicher nicht für Monate ...

Viele Menschen fragen, was sie vom Ausland aus tun können. Für uns ist es am wichtigsten, das Bewusstsein für die Schrecken dieses Krieges zu schärfen und deutlich zu machen, dass es sich nicht um eine «gezielte» Operation gegen die Hisbollah handelt (wie vor allem deutsche Medien suggerieren).

Vielmehr handelt es sich um einen Flächenbombardementkrieg, der eine Stadt und ein halbes Land verwüstet, Zivilisten vertreibt, tötet und verletzt, während Infrastruktur und Gesundheitseinrichtungen täglich zerstört werden. Auch wenn wir nicht viel Macht haben, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um Druck auf unsere Politiker ausüben, damit sie sich für einen sofortigen Waffenstillstand einsetzen.

Darüber hinaus, und das ist wahrscheinlich einfacher, geht es darum, denen zu helfen, die in Not sind – den Vertriebenen und schutzbedürftigen Familien. Ich möchte Sie um Ihre Unterstützung bitten. Sie können entweder spenden oder diese Nachricht teilen, um sie zu verbreiten:

1) Vor eineinhalb Jahren haben einige Freunde und ich eine kleine Konsumgenossenschaft mit dem Namen «Man wa Salwa» in einem Vorort von Beirut gegründet mit dem Ziel, einen kundengeführten Supermarkt zu schaffen, der erschwingliche Lebensmittel und Waren anbietet und gleichzeitig die lokale Produktion fördert. Vor einer Woche startete unser Team eine Crowdfunding-Kampagne und wir haben bereits rund 5000 USD gesammelt (offline und online).

Bisher haben wir zwei Schulen in unserer Nachbarschaft unterstützt, in denen etwa 160 Binnenvertriebene untergebracht sind, mit Grundnahrungsmitteln und Haushaltsgegenständen unterstützt. Ausserdem haben wir mit der «Alliance for Migrant Domestic Workers in Lebanon» und der «Free Palestine Front» zusammengearbeitet, um Arbeitsmigranten sowie syrischen und palästinensischen und palästinensischen Flüchtlingen zu helfen, von denen viele ohne Unterstützung auf der Strasse leben. Gestern unternahmen einige unserer Teammitglieder einen Vor-Ort-Besuch an der Corniche-Promenade in Beirut, um Familien, die auf der Strasse leben, zu besuchen und ihre Bedürfnisse zu ermitteln. Wir haben Lebensmittel, Decken, Schuhe und Medikamente für zehn Familien gekauft und werden das in der kommenden Woche fortsetzen.

Als Genossenschaft hat Man wa Salwa die Möglichkeit, Waren von Lieferanten zu reduzierten Preisen einzukaufen. Wir sind auch als NGO registriert, was uns den Zugang zu Geldern über unser Bankkonto im Libanon ermöglicht, die wir effizient und kostengünstig ausgeben können. Um über unsere Arbeit auf dem Laufenden zu bleiben, können Sie uns auf Instagram und Facebook folgen. Um unsere Arbeit zu unterstützen, bitte hier spenden.

2) Obwohl nicht Teil der Nothilfe, unterstützen Karma im Libanon und Acute Support für Kinder und Jugendliche im Libanon (ASCAL) in Deutschland kontinuierlich 120 Kinder, die an Thalassämie leiden. Die meisten dieser Kinder leben Bekaa-Ebene, die ständig bombardiert wird. Die Mehrheit sind syrische Flüchtlinge, die unter sehr prekären Verhältnissen leben. Durch die Arbeit der beiden Vereine stellen wir sicher, dass unsere Patienten medizinisch versorgt werden, und wir schauen auch bei ihren Familien vorbei, um zu sehen, welche Unterstützung sie benötigen.

Wenn Sie unsere Arbeit unterstützen möchten, können Sie dies am besten von Deutschland aus tun über unser deutsches Konto:

Soforthilfe für Kinder und Jugendliche im Libanon
VR-Bank Altenburger Land
IBAN: DE07830654080004966805
BIC: GENODEF1SLR
 

Für alle, die nicht aus Deutschland kommen, ist die beste Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten, unsere Crowdfunding-Kampagne, die Sie hier finden.

 

Vielen Dank an alle, die uns in diesen schwierigen Tagen unterstützen, sei es durch das Teilen oder durch Spenden für unsere Bemühungen.

 

Herzliche Grüsse aus Beirut,

Mariam