Corona als Türöffner für Überwachung der Mitarbeiter

Auch private Unternehmen wollen nun Tracking-Apps zur internen "Kontaktverfolgung“ der Mitarbeiter nutzen: als Vorbedingung für die angebliche "neue Normalität“ in der Arbeitswelt. Das Vorhaben birgt große Gefahren, von "Freiwilligkeit" kann keine Rede sein. Es drohen Überwachungsmaßnahmen, die vor Corona undenkbar gewesen wären.

Mit wem verbringt der Mitarbeiter privat seine Zeit? Manager könnten plötzlich neugierig werden.

In der Schweiz ist die SwissCovid die offizielle Contact-Tracing-App. In Deutschland hilft die Corona-Warn-App des Robert Koch-Instituts, Infektionsketten zu verfolgen. Etwas Ähnliches haben nun internationale Beratungsfirmen für den Einsatz in Firmen und Betrieben entworfen, wie Medien berichten.

"Die Einführung einer App im Betrieb wird mit dem "Schutz der eigenen Mitarbeiter in Bezug auf Hygiene und Infektionsrisiken" begründet.

So erklärte ein Sprecher der internationalen Wirtschaftsprüfer-Firma Price-Waterhouse-Coopers (PWC) aktuell im Deutschlandfunk: "Wir haben nicht nur eine App entworfen, sondern ein ganzes Ökosystem an Werkzeugen, die am Ende des Tages den Unternehmen helfen sollen, wieder zur Normalität zurückzukehren." Die Einführung eines "Ökosystems“ an Werkzeugen zur betriebsinternen Überwachung der Mitarbeiter wird von PWC mit dem "Schutz der eigenen Mitarbeiter in Bezug auf Hygiene und Infektionsrisiken“ begründet. Die Software funktioniere im Grunde ähnlich wie die App des Robert Koch-Instituts (RKI). "Sie verfügt aber über einen weitaus größeren Funktionsumfang", so PWC. Denn: Während bei der RKI-App die Anonymität großgeschrieben werde, hätten Unternehmen – im Gegensatz dazu – ein großes Interesse daran, einzelne und konkrete Fälle zu identifizieren und Kontakte im Unternehmen nachzuvollziehen, erklärt mitfühlend der Deutschlandfunk.

PWC will die App im eigenen Betrieb nutzen, aber auch international an andere Interessenten verkaufen. Angeblich würde sogar bereits ein DAX-Konzern die Werkzeuge nutzen – welcher Konzern, wird nicht verraten. Laut Deutschlandfunk haben auch andere IT-Firmen oder Unternehmensberatungen wie die Boston Consulting Group erkannt, dass Firmen einen Bedarf an "Pandemie-Kontrollsystemen" hätten, und würden diese nun anbieten.

Verkaufen sie die Daten vielleicht an Datenhändler? An Banken, die uns dann Kreditraten erhöhen?

Dabei proklamieren die meisten Unternehmen, die Nutzung der Apps beruhe auf Freiwilligkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Doch diese "Freiwilligkeit“ ist gegenüber dem Arbeitgeber nicht gegeben. Der Anwalt Ifeoma Ajunwa von der US-amerikanischen Cornell University erklärte zudem gegenüber der österreichischen Zeitung Krone: "Gefährlich werde es, wenn die von den Firmen über ihre Mitarbeiter gesammelten Daten missbraucht werden. (…) Verkaufen sie die Daten vielleicht an ein Versicherungsunternehmen? An Datenhändler? An Banken oder Autoversicherer, die uns dann die Versicherung verweigern oder Kreditraten erhöhen? Damit könnte alles Mögliche passieren."

Auch Diskriminierung drohe, wenn Chefs zu viel über das Privatleben der Mitarbeiter wüssten, so Ajunwa in dem Medium. In Unternehmen, in denen auf Covid-19 getestet wird, sei es zudem eine Möglichkeit, die DNA der Mitarbeiter zu analysieren – und dann beispielsweise auf dieser Basis besonders durch Covid-19 gefährdete Menschen eher zu entlassen als andere.

Die Krone berichtet von weiteren Systemen: So fänden Tracking-Armbänder zur betriebsinternen Mitarbeiter-Überwachung (etwa der Firma Microshare) "reißenden Absatz". Auch das Geschäft mit Bilderkennungs-Systemen boome: Statt mit Armbändern zu überwachen, ob die Arbeiter Distanz halten, gehe das auch mit Systemen, die auf Künstlicher Intelligenz beruhten. Den gesellschaftlichen und den individuellen Widerstand gegen diese Maßnahmen sieht etwa der Microshare-Firmenchef Mike Moran bereits bröckeln: So wie wir uns nach den Anschlägen vom 11. September an verstärkte Sicherheitskontrollen im öffentlichen Raum gewöhnt hätten, werde man sich auch an mehr solche Systeme im Arbeitsalltag gewöhnen. Eine nun verbreitete Losung lautet, dass die fragwürdigen Maßnahmen angesichts "der Pandemie" von vielen Mitarbeitern akzeptiert würden, weil sie "sich selbst den bestmöglichen Schutz vor einer Ansteckung am Arbeitsplatz" wünschten.

Anna Elliott von der Anwaltskanzlei Osborne Clarke sagte dagegen laut Krone gegenüber der britischen BBC: "Manager könnten in Versuchung geraten, ins Privatleben der Mitarbeiter einzudringen. Mit wem verbringt der Mitarbeiter privat seine Zeit? Gibt es Risikofaktoren für das Unternehmen?“ Solche Fragen gingen aber zu weit, so Elliott laut Krone. Trotzdem könnten manche Firmen ins Privatleben der Mitarbeiter eindringen – schon allein, weil sich in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit wohl kaum jemand trauen würde, dem Chef beispielsweise das Ausfüllen eines intimen Fragebogens zu verweigern.

In Firmen "weniger Hürden" als in Demokratien

Das Magazin T3N betont, dass es "anders als in demokratischen Staaten im Verhältnis zwischen Bürger und Regierung" zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer "weit weniger Hürden zu nehmen" gebe, wenn "Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer zur App-Nutzung verpflichten wollen". PWC verspricht laut T3N die Einhaltung hoher Datenschutz- und Sicherheitsstandards. Der Zugriff auf die gespeicherten Daten solle zwar zentral erfolgen. Der Zugriff sei jedoch auf wenige Personen mit Admin-Status begrenzt.

Solche fadenscheinigen Maßnahmen zur "Vertrauensbildung" beschreibt auch das Medium Netzwoche aus der Schweiz: Demnach unterstreiche PWC die Notwendigkeit eines "angemessenen Change Managements während der Umsetzung". Und die französische Bank Crédit Agricole empfehle, "dass die Nutzung ihrer App auf einem Vertrauenspakt zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmern und Gewerkschaften basieren sollte". Auch Crédit Agricole hat demnach vor kurzem ihren Plan für eine "Rückkehr an den Arbeitsplatz" vorgestellt. Eine entwickelte COPASS-Anwendung ermögliche es den Mitarbeitern der Bank, ihre Gesundheit zu überwachen, so Netzwoche.

Die nun von privater Seite geplanten und bereits genutzten – mutmaßlich teils illegalen – Werkzeuge haben eine ganz andere und bedrohlichere Qualität als die offiziellen Apps wie SwissCovid und Corona-Warn-App. Und bereits bei dieser harmloseren offiziellen Varianten bestehen Zweifel, ob die – in diesem Fall freiwillige – Bereitschaft vieler Bürger, ihre Bewegungen teils dokumentieren zu lassen, im Verhältnis zur erzielten Wirkung steht. Vor etwas über einem Monat hat die Bundesregierung die Corona-Warn-App vorgestellt.

23. Juli 2020
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