Das ewige Referendum
Warum die Lancierung eines zweiten Referendums gegen das Covid-19-Gesetz keine gute Idee ist und wozu es trotzdem nützen könnte.
Die Lancierung eines zweiten Referendums gegen das Covid-19 Gesetz, d.h. gegen die im April in Kraft getretenen Änderungen, halte ich nicht für eine gute Idee. Ein Referendum braucht triftige Gründe:
- Man will ein Gesetz verhindern und hat reelle Chancen auf einen Abstimmungssieg. Das ist der Normalfall.
- Man verfolgt ein anderes Ziel, wozu ein Referendum das geeignete Mittel ist. Ein Ziel könnte zum Beispiel die Sammlung und Organisation von Menschen mit ablehnender Haltung sein.
- Prinzipielle Gründe, z.B. dass über ein wichtiges Gesetz überhaupt debattiert wird.
Keiner dieser Gründe trifft zu. Ein Abstimmungssieg ist unwahrscheinlich. Die Sammlung von kritischen Menschen hat mit dem ersten Referendum bereits stattgefunden, ebenso eine Art Debatte.
Doch die Risiken sind nicht unerheblich: Die Sammelkraft der Bewegung könnte überfordert werden, das Referendum gar scheitern. Die Abstimmung wird höchstwahrscheinlich verloren gehen. Das zweite Referendum bindet während eines knappen Jahres politische Kräfte, die anderweitig besser genutzt werden können.
Zudem fixiert das zweite Referendum die kritische Bewegung als Nein-Sager. Bei den beiden Referendumskomitees, der jungen SVP und dem Netzwerk Impfentscheid kann es einem egal sein: Wer A sagt, muss B sagen.
Aber bei den Verfassungsfreunden ist es problematisch: Sie werden durch ewige Referenden – dasjenige gegen das Mediengesetz ist beschlossene Sache – als chronische Fundamental-Gegner der Regierung wahrgenommen und nicht als Freunde der Verfassung.
Die Illusion der Veto-Macht ist trügerisch. Oder einfach ausgedrückt: Wer Erfolg haben will, muss gelegentlich einen Erfolg verbuchen – und seine Ziele entsprechend wählen. Lieber hie und da ein weniger ambitiöses Ziel ins Visier nehmen und es dafür erreichen.
Die Rechnung, nach der eine Mehrheit gegen die neusten Erweiterungen des Covid-19-Gesetzes sind (hier Details), ist nämlich ohne den Wirt gemacht. Und er, d.h. der Bundesrat, wird das Menu erst noch servieren. Bis zur Abstimmung hat er noch reichlich Zeit, sich etwas einfallen zu lassen.
Der einfachste und sicherste Trick wäre eine Abstimmung im Winter. Dann werden Hochrechnungen über die neuesten Varianten schon für das vom Bundesrat gewünschte Resultat sorgen.
Das Sympathische am zweiten Referendum ist, dass es ein bisschen naiv ist. Entschlossene Bürgerinnen und Bürger mit dem Glauben an die direkte Demokratie versuchen, die Bastion aus Bundesrat, Verwaltung, Medien und Justiz zu schleifen! Dazu reicht Hartnäckigkeit nicht. Dazu braucht es entweder Schlauheit oder die Art von rücksichtsloser Cleverness, die auf unserer Seite des Corona-Grabens glücklicherweise nicht vorhanden ist.
Für einen Punkt in diesem ungleichen Kampf könnte das zweite Referendum allerdings gut sein. Man könnte es, wenn es zustande kommt, gegen das Versprechen des Bundesrates zurückziehen, das Gesetz wie vorgesehen Ende Jahr auslaufen zu lassen.
Das wird der Bundesrat natürlich nicht tun und damit gleichzeitig signalisieren, dass er noch länger mit Notrecht-Kompetenzen regieren will. Gegen die Verlängerung und alle weiteren Änderungen wird man dann ewig Referenden ergreifen können. Undsoweiter. Bis es keine Viren mehr gibt auf der Welt. Oder keine schlechten Gesetze. Oder keine Regierung. Die Gegner werden sich bis dann längst aufgelöst haben, zermürbt, desillusioniert
Was wäre die Alternative? Buckminster Fuller hat einen vielzitierten Vorschlag: «Man verändert nie etwas, indem man die bestehende Realität bekämpft. Um etwas zu verändern, baut man ein neues Modell, das das bestehende Modell obsolet macht.»
Konkret: Die kritische Kraft in eine konstruktive politische Energie transformieren. Es gibt noch so viel Gutes, das auf der Welt entstehen kann, dass es schade ist, die Energie im Widerstand zu vergeuden. Die nächste Schweiz ist möglich.
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