Das kleine Geld mit den grossen Chancen

Endlich befasst sich auch die Wissenschaft mit Alternativwährungen

Können Regionalwährungen die negativen Auswirkungen der Globalisierung und unseres ungerechten Geldsystems wirksam eindämmen? 220 Aktivisten und Wissenschaftlerinnen aus über zehn Ländern reisten Ende September nach Weimar an die Bauhaus-Universität, um diese Frage an zwei Tagungen zu diskutieren. «Ja», lautet die offensichtliche Antwort, aber der Tatbeweis wird schwierig werden.    


Der Glaube sitzt tief, dass die Globalisierung trotz der schnell wachsenden Zahl der Verlierer letztlich doch von Gutem ist. Der Beweis liegt in den Verkaufsregalen in Form von Produkten aus aller Welt, die günstiger sind, als wenn sie im eigenen Land produziert worden wären. Und er steht in den Geschäftsberichten der grossen Konzerne als stetig steigende Gewinne. «Es wird mit der Wahrheit gelogen», kommentiert Reinhard Stransfeld, Leiter Innovationspolitik beim «Verein der deutschen Ingenieure VDI» und projiziert eine Grafik, die zeigt, dass Arbeitslosigkeit und Exporte im Gleichschritt sinken und vor allem steigen. Stransfeld hat aber auch nachgerechnet: Sogar der Exportweltmeister Deutschland verliert gemäss Aussenhandelsbilanz durch die Ausrichtung auf den Export netto Arbeitsplätze (Wir werden in einer späteren Ausgabe näher darauf eingehen. Red.). Nun sind ja nicht Arbeitsplätze das Ziel der Wirtschaft, sondern die Schöpfung von Werten. Aber auch hier zeigt sich Stransfeld zufolge unmissverständlich: Die Wertschöpfung ist grösser, wenn alle in den Arbeitsprozess integriert werden, anstatt gemäss neoliberaler Doktrin die Effizienz der hochproduktiven Fachleute stetig zu steigern und immer mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit zu drängen. Aber: Jobs mit sub-maximaler Effizienz haben in einer globalisierten Wirtschaft keine Chance, weil es immer irgendwo jemanden gibt, der einen Job besser und vor allem billiger macht. Für Stransfeld, der im Auftrag der deutschen Bundesregierung High-Tech-Projekte vorantreibt, ist deshalb klar, dass sich eine Region wie jede biologische Zelle auch mit einer halbdurchlässigen Membran vor der globalisierten Wirtschaft schützen muss. Die bedingungslose Öffnung der wirtschaftlichen Grenzen sei wie das Öffnen von Pulsadern, da müssten die Vampire nicht einmal mehr zubeissen.
Dass Regionalwährungen einen Beitrag dazu leisten können, Kaufkraft in der Region zu halten, daran zweifelte mit einer Ausnahme keine(r) der zwölf Professorinnen und Professoren aus Europa, Fernost und Südamerika, die an den beiden Tagungen «Monetäre Regionalisierung» (28./29.9.06) und «Regiogeldkonferenz» (30.9.-1.10.06) referierten. Das Volumen dieser neuen Währungen ist allerdings so klein, dass es über eine homöopathische Dosis nicht hinausgeht. Gemäss Berechnungen von Prof. Rösl von der Fachhochschule Regensburg, vormals Komplementärwährungsexperte bei der deutschen Bundesbank, haben die 17 Regionalwährungen Deutschlands gerade mal 200‘000 Euro im Umlauf. Sie heissen Kannwas, Sterntaler, Havelblüte oder Chiemgauer, entsprechen nominell dem Euro und sind entweder durch Euro oder durch Leistungsversprechen der Teilnehmer gedeckt. Alle Bundesländer sind vertreten mit Ausnahme des Saarlandes und Mecklenburg-Vorpommern, der ärmsten Region Deutschlands. Überhaupt fällt auf, dass die Idee des neuen Geldes in den neuen Bundesländern offenbar noch nicht recht Fuss gefasst hat. Dies widerspricht der verbreiteten Ansicht, die in der misslichen wirtschaftlichen Lage eine wesentliche Motivation für die Teilnahme an einem Tauschkreis sieht.

Heimatverein mit exorbitanten Mitgliederbeiträgen?

Einige der neuen Währungen haben einen eingebauten Negativzins, d.h. sie verlieren mit der Zeit an Wert, z.B. 5 Prozent pro Jahr. Damit wird die Umlaufgeschwindigkeit beschleunigt. Beim grössten deutschen Alternativgeld, dem an der lokalen Waldorfschule entstandenen bayrischen Chiemgauer beträgt sie das Zweifache des Euro, die Wertschöpfung ist also theoretisch doppelt so hoch. Gemäss Prof. Wolfgang Cézanne verzeichnete der Euro in den letzten Jahren einen «nicht unbeträchtlichen Rückgang der Umlaufgeschwindigkeit». Trotzdem hält er Alternativwährungen für «Heimatvereine mit exorbitant hohen Mitgliederbeiträgen». Das tönt zwar knackig, ist aber trotz professoraler Quelle falsch. Auch beim konventionellen Geld, das ja als Kredit der Zentralbanken an die Geschäftsbanken und von den Geschäftsbanken selber geschöpft wird (siehe ZP 84) fallen «Mitgliederbeiträge» in Form von Zinsen an. Diese müssen nicht nur bei der Kreditaufnahme bezahlt werden, sondern auch beim Kauf von Produkten und Dienstleistungen, in denen die Zinskosten ja eingerechnet werden müssen. Im Durchschnitt beträgt der Zinsanteil rund 30 Prozent (Margrit Kennedy, Geld ohne Inflation und Zinsen). Auch ein beträchtlicher Anteil der Steuern wird für die Bezahlung von Zinsen aufgewendet - im von Unruhen erschütterten Ungarn zuletzt die gesamten Einkommenssteuern. Dann bezahlt man doch lieber für ungenutztes Geld eine Gebühr von 5 Prozent. Leer stehende Eisenbahnwaggons kosten schliesslich auch. Zudem ist der Umstand, dass Geld im Gegensatz zu den Waren, die es repräsentiert, nicht an Wert verliert, eines der Grundübel unseres Geldsystems.
Die Zinsproblematik wurde an der Konferenz kaum diskutiert, obwohl ihre Elimination einer der Hauptvorteile alternativer Währungen und Tauschringe darstellt. Sie ist auch nicht einfach zu kommunzieren, und des fehlt das theoretische Fundament für eine entsprechende Konzeption der Alternativwährungen. Aber es geht vorwärts: An der Uni Oldenburg schreibt der Wirtschaftswissenschafter Henning Osmers an einer Arbeit zum Thema, und beim Regiogeld e.V. entsteht ein Handbuch, das Standards festlegen soll.

Explosives Wachstum in Krisenzeiten
Alternativwährungen mögen wirtschaftlich noch bedeutungslos sein, aber sie sind in Krisenzeiten ein wichtiger Rettungsanker, wie im internationalen Teil der Tagung deutlich wurde. Besonders eindrücklich ist das Beispiel Argentinien, das von Barbara Rossmeissl untersucht wurde. Argentinien wurde 2001 von einer schweren Finanzkrise erschüttert. Der an den Dollar gebundene Peso war stark überbewertet, was Importe erleichterte, Exporte erschwerte und zu einer Desindustrialisierung führte. Die plötzliche Freigabe des Peso, die massive Abwertung und teilweise Blockierung der Rentenguthaben, mit der die Regierung ihren Haushalt rettete, stürzte die Hälfte der Bevölkerung in die Armut. In der Folge schnellte die Zahl der Tauschkreise von 200 im Jahre 1999 auf 5000 im Jahre 2002 hoch. Ein Viertel der Bevölkerung bestritt einen wichtigen Teil des Lebensunterhalts mit der Tauschwährung Credito, von der jeder Teilnehmer 50 Einheiten erhielt. Misswirtschaft bei der zentralen Ausgabestelle der Creditos führte jedoch zu einer Hyperinflation und zum Zusammenbruch des Systems, das heute nur noch einen Viertel der Teilnehmer hat.
Mehr als zwei Drittel waren übrigens Frauen, wie Barbara Rossmeissl in ihrer Uhtersuchung feststellte. Dies bestätigt die Ansicht von Prof. Bernard Lietaer, einem früheren Mitarbeiter der belgischen Zentralbank und ein führender Vertreter der Alternativgeld-Szene, nach dem Geld, wie Sex und der Tod dem Archetyp der Grossen Mutter zuzuordnen sind. Weil die Grosse Mutter in unseren patriarchalen Gesellschaftsordnung unterdrückt würde, seien diese Themen auch tabu, die Folgen für unser Geldsystem Gier und Mangel. Die Stärkung der weiblichen Kräfte in unserer Gesellschaft erhöht nach Lietaer auch die Chancen eines zinsfreien Geldes.

Genügen die Versprechen der Politik?
Dass der Weg dazu unter den herrschenden Verhältnissen noch weit sein dürfte, zeigt die Reaktion der Politiker auf das neue Geld, das sich rechtlich in einer Grauzone mit wichtigen ungeklärten Fragen bewegt: Wird durch die Herausgabe einer Alternativwährung das Geldmonopol des Staates, bzw. der Zentralbanken tangiert? Werden Einkünfte im Tauschkreis in harter Währung besteuert? Die Vertreter der Alternativwährungen möchten dafür eine Experimentierklausel, die ihnen grösstmögliche Freiheit gibt.  Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt versprach denn auch, Regiogeld in Berlin verstärkt zum Thema zu machen und die Einrichtung von Modellregionen zu unterstützen, in denen die Alternativgelder systematisch getestet und analysiert werden können. Das tönt vielversprechend. Wenn es aber konkret werden soll, wird es gleich schwieriger. Es ist denn kein Zufall, wenn der grüne Bundestagsabgeordnete Hans Joseph Fell, der den Regiogeld-Initiativen zuvor seine Unterstützung zugesichert hat, «mit aller Deutlichkeit» vor Vorstössen für gesetzliche Vorlagen warnt. «Wir knabbern hier an einem der Geschäfte mit der grössten Gewinn-Marge,» sagt er, der in den letzten Jahren gegen grössten Widerstand der Energie-Lobby die Vergütung der Einspeisung von Öko-Strom durchgebracht hatte. Konkret geht es u.a. darum, wie Einkommen in Regionalwährung zu versteuern sind. Die Haltung der Vertreter des alternativen Geldes bringt Reiner Husemann, Präsident der Int. Reciprocal Trade Association Europe mit der Forderung auf den Punkt, dass alle Steuern auf alternativen Einkommen auch in alternativer Währung bezahlt werden dürfen. Das tönt logisch, schlägt aber eine tiefe Bresche ins Machtgefüge, das unser Geldsystem denn auch darstellt. Geld ist ja u.a. das, womit man Steuern bezahlen kann.
Dem Vormarsch der Regionalwährungen stehen also möglicherweise mächtige Hindernisse im Weg. Man erinnert sich an das Experiment im österreichischen Wörgl, wo der Bürgermeister 1933 ein umlaufgesichertes Regionalgeld einführte, und damit die grassierende Arbeitslosigkeit erstaunlich schnell und wirksam reduzierte. Kaum erreichte der Erfolg des kleinen Dorfes die internationalen Medien, wurde er von der österreichischen Nationalbank abrupt gestoppt. Wenn die Regionalwährungen relevant werden, bekommen auch sie es mit den Machtstrukturen hinter unserem Geldsystem zu tun und werden entweder einverleibt oder abgedrängt.
Auch eine andere Frage von höchster Relevanz wurde am Regiogeld-Kongress kaum thematisiert: die Stabilität unseres Geldsystems und die Ersatzrolle, die Regionalwährungen bei grösseren Erschütterungen übernehmen könnten. Dabei zeigt gerade das Beispiel Argentiniens, dass sie in einem solchen Fall einen entscheidenden Beitrag leisten können. Darauf müssten die noch zu erarbeitenden theoretischen Konzepte Rücksicht nehmen, damit Regionalgeld Stabilität und Vertrauen erreicht, ohne die es letztlich farbige Papierschnitzel bleibt und nie wirkliches Geld wird.

Links: http://www.regiogeld.de
http://www.talent.ch