Der Corona-Staat zeigt sein Gesicht
So viel Willkür hat die Schweiz seit Menschengedenken nicht mehr gesehen, wie an diesem 16. Mai. Mit einem Grossaufgebot wurden die Mahnwachen in Bern, Zürich und Basel zerschlagen, an denen sich vielleicht tausend Menschen beteiligten. Über hundert Personen wurden angezeigt.
Ob allein oder mit andern, mit Plakat oder ohne, ob schweigend oder singend – niemand konnte sicher sein, an den Mahnwachen in Bern, Zürich oder Basel ohne Anzeige davon zu kommen. Allein in Basel wurden 46 ausgesprochen, in Bern landeten über 20 vorübergehend in Gewahrsam.
Worum geht es? Der Lockdown bedeutete nicht nur die Schliessung der Geschäfte, sondern auch eine Sistierung der politischen Rechte. Während das Recht zu konsumieren wiederhergestellt wurde, bleiben die politischen Rechte eingefroren.
Und die Absicht des Bundesrates ist klar: Er will das während der Corona-Pandemie erlassene Notrecht noch während seiner Gültigkeit in dringliches Bundesrecht überführen. Dabei ist das Referendumsrecht stark eingeschränkt. Dringliches Bundesrecht tritt ohne Verzug in Kraft und kann durch ein Referendum nicht aufgeschoben werden, sondern durch eine Abstimmung allenfalls erst später wieder rückgängig gemacht werden.
All dies stösst immer mehr Bürgern sauer auf. Sie bezweifeln auch die Qualität der Hochrechnungen, die das Land am 16. März in den Stillstand geführt haben, notabene drei Tage nachdem die Infektionsrate auf 1 gesunken war.
Sie können auch die Warnungen nicht mehr ernst nehmen, eine zweite Welle würde im Sommer 5000 bis 20’000 Opfer fordern, ein Mehrfaches der bisherigen an und mit SARS CoV-2 Gestorbenen. Diese Prognose stammt zwar von der ETH Lausanne. Aber wer sich um die Details kümmert, stellt fest, dass die Forscher von einem sprunghaften Anstieg der Infektionsrate ausgehen – zwar nicht auf den Wert von anfangs März, aber dafür mit tödlicherer Wirkung.
Viele Menschen ärgern sich, dass sich der Bundesrat in Bezug auf die wissenschaftlichen Grundlagen seines Pandemiemanagements immer noch bedeckt hält, obwohl er in Petitionen aufgefordert wird, die Evidenz auf den Tisch zu legen.
Und sie fragen sich, ob auch bei uns mit Ängsten gespielt wird, wie in Österreich. Oder wie in Deutschland, wo ein gewisser Oberregierungsrat Stephan Kohn aus dem Innenministerium auf über 80 Seiten darlegt, die deutsche Regierung wisse, dass es sich bei Corona um einen Fehlalarm mit katastrophalen Folgen handle.
Gibt es keine seriösen Antworten, wird es die Menschen früher oder später auf die Strasse treiben.
ies alles sind in einer Demokratie berechtigte Sorgen und unangenehme Fragen. Gibt es darauf und auf Petitionen, Briefe und die wenigen Mittel, die uns im politischen Lockdown zur Verfügung stehen, keine seriösen Antworten, wird es die Menschen früher oder später auf die Strasse treiben.
Dass es bei der Niederschlagung der Mahnwachen um die Unterdrückung dieser unangenehmen Fragen geht und nicht um die Durchsetzung der bundesrätlichen Covid-19-Verordnung, bewies der gestrige Tag mehrfach. Es kam zu Verhaftungsszenen, wie man sie in der Schweiz nur im Umgang mit dem Schwarzen Block kennt. Nur waren es diesmal normale Bürger und sogar ältere Frauen, die von den Polizisten zu Boden geworfen und gefesselt wurden.
«Sachliche Gespräche» mit den Demonstrierenden seien «kaum möglich», sagte die Sprecherin der Berner Kantonspolizei gegenüber dem Fernsehen SRF am Donnerstag. Niemand hätte geahnt, wie genau sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Am Dienstag rief der stadtbernische Sicherheitsdirektor Reto Nause zweimal Alec Gagneux an, dessen Ankündigung anfangs Mai, auf dem Bundesplatz Mahnwache für die Grundrechte zu halten, viele Nachfolger gefunden hatte.
Nause schlug Gagneux die Berner Allmend als alternativen Ort vor. Gagneux stimmte zu, weil dort die Einhaltung der Abstandsregeln kein Problem ist. Am Mittwoch, nach der Gemeinderatssitzung rief Nause noch zweimal an und drängte Gagneux, den neuen Ort seiner Mahnwache umgehend auf seiner Website zu publizieren.
Die Hoffnung auf einen genügend grossen, wenn auch etwas abgelegenen Ort, war verfehlt. Bereits als die ersten Leute kurz nach 13.00 Uhr auf der Allmend erschienen, waren rund 50 Polizisten da und der Platz war grossräumig abgesperrt. Die Leute wurden kompromisslos weggewiesen. Als Alec Gagneux eintraf – im Tram hatte ihn noch das Fernsehen SRF interviewt – wurde er sofort verhaftet. Insgesamt kamen 150 bis 200 Leute auf die Allmend.
Auf dem Bundesplatz wurden nicht nur Leute verhaftet, die Plakate mit sich trugen, sondern der Polizei auch sonstwie nicht zu passen schienen. u.a. ein Mann der Flyer über den «Paradiesmus» verteilte – eine Welt ohne Arbeit und ohne Geld - und eine Frau mit einem T-Shirt mit einem aufgemalten Verbotsschild und der Aufschrift «Notrecht».
Nach welchem Muster die Polizei zugriff, war nicht ersichtlich. Offiziell, d.h. per Megaphon der Polizei, ging es um die Durchsetzung der Covid-19-Verordnung, deren Zweck gem. Art. 1 es ist, «die Verbreitung des Coronavirus (COVID-19) in der Schweiz zu verhindern oder einzudämmen». Dem dienen das Versammlungsverbot und die Abstandsregeln. Nur: Eine spontane Mahnwache von Individuen ist genausowenig eine organisierte Versammlung, wie der Konsumentenstrom, der sich 200 Meter weiter durch die Lauben zwängte, völlig unbehelligt von der Polizei. Und wenn die vorhandenen oder vereinbarten Plätze gesperrt werden, wohin soll sich der politische Wille wenden?
Mehrere Versuche, mit einem Einsatzleiter oder sonst einem Verantwortlichen ins Gespräch zu kommen, wurden abgelehnt. Immerhin war der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried auf dem Platz. Zum Vorschlag seines Gemeinderatskollegen Reto Nause, die Mahnwache auf die Allmend zu verlegen wollte er sich nicht äussern. Dies seien gemäss Corona-Verordnung ohnehin verbotene Demonstrationen, selbst wenn die Abstandsregeln eingehalten würden.
In Winterthur wurden Leute, die gemeinsam – und mit Abstand – sangen, weggewiesen.
Eine kompromisslose Auflösung der Mahnwachen gab es an allen Orten mit hoher Polizeipräsenz. Auf dem Zürcher Sechseläutenplatz war die Polizei schon kurz nach 13.00 mit rund 50 Polizisten vor Ort, dazu ein Dutzend Mann in Zivil und einige als «Dialoger» bezeichnete Uniformierte. Auch hier waren es nicht die Abstandsregeln, die die Polizei ahndete, sondern die einfache politische Willensäusserung. Eine Mutter mit Kinderwagen und einer Bundesverfassung in der Hand weigerte sich, wegzugehen und wurde samt ihren Kindern abgeführt. In Winterthur wurden Leute, die gemeinsam – und mit Abstand – sangen, weggewiesen.
Überhaupt schien die Polizei ihr Wegweisungsrecht sehr frei, um nicht zu sagen willkürlich zu interpretieren. Doch auch die Wegweisung bedarf eines gesetzlich definierten Grundes, z.B. «wenn die Person oder eine Ansammlung von Personen, der sie angehört, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet», wie es in Art. 33 des Polizeigesetzes des Kantons Zürich heisst. Dann soll sie auch noch «die verfassungsmässigen Rechte und die Menschenwürde der Einzelnen» beachten (Art. 8), also genau das, wofür die meisten Mahnwache hielten. Und schliesslich hat jede in diesem Land wohnhafte Person «Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden» (Art. 9 BV).
Aber es gibt auch Alternativen. In Uster war der Stadthausplatz, wo die Mahnwache hätte stattfinden sollen, abgesperrt. So machen sich rund 20 Leute in kleinen Gruppen auf Spaziergänge durch die Stadt, dicht gefolgt von Polizisten.
In Basel fanden sich etwas mehr als hundert Menschen auf dem Marktplatz ein. Nachdem die Polizei die Auflösung der Mahnwache ankündigte, zogen die Leute auf den Münsterplatz, um Lieder zu singen. Aber auch dort war nach zehn Minuten Schluss. Nach Angaben der Polizei gab es 46 Anzeigen.
Friedlich ging es diesmal offenbar in St. Gallen zu und her, ebenso in Rheinfelden, in Reinach, in Solothurn und in Lausanne, wo erstmals in der Westschweiz eine Mahnwache durchgeführt wurde.
Dieser Samstag hat mit aller Deutlichkeit gezeigt: Bei der Niederschlagung der Mahnwachen ging es nicht um die Abstandsregeln – in der Berner Innenstadt hatte es so viele Menschen, dass die Abstandsregeln nicht eingehalten werden konnten. Aber als Konsumenten waren sie willkommen. Es ging auch nicht um die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration. Auf der grossen Wiese der Berner Allmend wurde ein Mann verzeigt, der sich mehrere hundert Meter vom Brandherd entfernt zwischen Sportlern und Hunden bewegte. Das Ziel war die Unterdrückung der freien Meinungsäusserung.
Zwei Dinge haben mir trotz der deprimierenden Szenen Mut gemacht hat: Es kursieren schon einige Ideen, das Verbot der Mahnwachen zu unterlaufen. Die rohe Gewalt des Corona-Staates regt offensichtlich die Phantasie an.
Der zweite grosse Mutmacher war die starke Präsenz der Frauen, der Mütter und Grossmütter. Sie scheinen eher zu spüren, dass etwas nicht mehr stimmt mit dieser Schweiz und dass es Zeit ist, auf- und zusammenzustehen.
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Bericht einer Leserin vom 17.5.2020:
Seit heute bin ich polizeilich aktenkundig. Meine erste Kundgebung - und dann das… Ich war die Verhaftete Nr. 2, man hat mich vernommen, eine Anzeige wurde gestellt, und ich wurde wieder freigelassen.
Ich hab’ aus nächster Nähe mit angesehen, wie Nummer 1 zu Boden geworfen und von fünf oder sechs Beamten „fixiert" wurde. Wie lange er dort so gehalten wurde, mit dem Kopf am Boden den Beamten völlig ausgeliefert, ich weiss es nicht mehr. Ich habe an den Cordon der sich rundum aufbauenden Beamten appelliert, den jungen Mann doch bitte wieder loszulassen, er sei ja zu keinerlei Gegenwehr mehr fähig: Erfolglos. Ich habe gesagt, keiner von ihnen sei tatsächlich so: Sie nicht, Sie nicht, und Sie auch nicht, habe ich gesagt - und ich könne einfach nicht glauben, dass so etwas ihr Ernst sein könne. Die ganze Zeit liefen mir die Tränen in Strömen aus den Augen, und die Qualen des Opfers waren irgendwie auch meine. Der arme Junge schrie immer wieder auf, während sein Kopf immer fester auf die Steinplatten gepresst wurde Die Szene wurde von immer mehr Menschen umringt, die auf die Polizisten einschrieen, es sei jetzt genug, und ob sie das denn nicht erkennen könnten. Man stellte also den Verhafteten Nr.1 am Ende doch auf die Beine und führte ihn ab. Er schien noch selbst gehen zu können, aber da sie ihn nicht losliessen, war das schwer zu erkennen.
Daraufhin wandten sich die Beamten, an die ich appelliert hatte, mir zu. Ich habe jetzt, so sagten sie, 20 Sekunden Zeit, um meine Sachen zu nehmen und den Platz zu verlassen; ich befände mich auf einer ungenehmigten Demonstration und müsse bei Weigerung mit einer Verzeigung rechnen. Ich sagte, da niemand von mir abhänge, hätte ich die Möglichkeit, mich darin frei zu entscheiden, und ich habe mich entschieden, genau da sitzen zu bleiben, wo ich seit Beginn der Kundgebung gesessen hatte. Man versicherte mir, ich würde ganz gewiss nicht bleiben, man werde meine Personalien aufnehmen und mich anschliessend abtransportieren, und dann hätte ich einen Eintrag ins Strafregister zu gewärtigen. Ob ich nicht doch lieber gehen wolle. Ich kann nicht, sagte ich - nicht nach dem, was ich da eben mitangesehen habe. Es ist mir nicht möglich - es muss dann wohl so sein. Damit öffnete ich meine Handtasche und reichte den Beamten meinen Pass.
Kurz und gut, man nahm die Personalien auf, zeigte mir in welches Auto ich zu steigen habe, stellte meine Handtasche, meinen Einkaufsbeutel und das Fresskörbchen, das ich für die Polizisten vorbereitet hatte, sicher, legte mich in Handschellen und packte mich in den Wagen. Wie es Nr.1 gehe, darüber wollte man sich nicht äussern. Noch im Wagen kamen mir immer wieder die Tränen, wenn ich an den armen Jungen dachte - leider hatte man mir sogar meine Papiertaschentücher abgenommen.
Nun - auf dem Präsidium wurde ich, da ich mich immer einer korrekten Ausdrucksweise bediente, sogar mit einer gewissen Höflichkeit behandelt. Dass der Vernehmungs-Vordruck eine Angabe über „Schwierigkeiten bzw. Widerstand bei der Aufnahme der Personalien“ enthielt konnte ich richtig stellen, aber über die Frage, mit wem genau ich auf die Veranstaltung gekommen sei, war ich denn doch schockiert. Was, wenn sie darauf bestanden hätten, ich solle Leute verpfeifen, die doch - wenn ich denn dort jemanden gekannt hätte - wahrscheinlich meine Freunde gewesen wären… Gut für mich, dass ich dort niemanden kannte - schliesslich war dies die erste Kundgebung, an der ich je teilgenommen habe. Es hatten sich mir zwar Personen vorgestellt, aber die waren meinem schlechter werdenden Kurzzeitgedächtnis augenblicklich wieder entfallen. Angekommen war ich allein, und ich war auch die ganze Zeit allein auf meinem Metallsessel gesessen, mich über die erfrischende Vielfalt und Lebensfreude dieser bunten Gemeinschaft freuend.
Nachdem man meine Aussage aufgenommen hatte, entliess man mich, und ich wurde bis 05:00 früh der Stadt verwiesen. Meinen Wagen hinterm Globus abholen zu gehen gestattete man mir. Das Fresskörbchen - nachdem ich mich daraus selber bedient hatte - hinter dem Präsidium für die nächsten Wiederfreigelassenen stehen lassend machte ich mich auf den Weg zum Taxistand.
Ich erwarte also jetzt das Schreiben der Staatsanwaltschaft.
Der Grund, aus dem ich auf die Kundgebung gegangen bin, wurde so festgehalten: „Damit aus einer Notverordnung kein Bundesgesetz werden kann - ohne Volksabstimmung.“
Zweimal habe ich den Beamten, der mich vernommen hatte, darauf aufmerksam gemacht, dass bei mir Wiederholungsgefahr bestünde - ich sei mit diesem Gewissen geboren und werde es nicht ablegen, so lange ich lebe.
Mein Eindruck war, dass er nicht recht wusste was er mir darauf entgegnen sollte. Immerhin.
Es besteht noch Hoffnung.
von:
Kommentare
16.5.20 Allmend Bern
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Wahnmache
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Mahnwache
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POLIZEISCHUTZ!
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Zum ersten Mal 16.5.20
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Aufruf zu Mahnwachen
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offener Brief
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