Der Taxifahrer

Einsam hängt die Kamera da seit Jahren, blickt in die Arkaden, schwenkt sofort nach links und nimmt ein bewegtes Bild des Bahnhofplatzes auf mit parkierten Autos und Taxistand. Ziemlich hektisch schwenkt sie hin und her, um ja nichts zu verpassen.
Meistens interessiert sich niemand für ihre unzähligen Bilder, aber Überwachung muss sein, vermittelt Behörden und Bürgern ein Gefühl von Sicherheit und nährt eine ganze Branche.

Plötzlich aber sind die nutzlosen Bilder gefragt. Kontrollpersonal und Kriminalbeamte sichten in Frage kommende Zeitabschnitte. Ein Mädchen auf dem Schulweg ist am Bahnhof verschwunden. Es ist auch wirklich sichtbar, wie es durch die Arkaden spaziert, doch als die Kamera zurückkommt, ist es weg und taucht nicht wieder auf.

Zu sehen, aber nicht zu erkennen sind in der verdächtigen Periode ein rauchender Taxifahrer neben seinem Wagen, ein Mann, der aus den Arkaden tritt, in ein Auto steigt und davonfährt, und etwas später ein anderer mit einer grossen Tasche, in der das Kind Platz hätte. Die Polizei ruft den unbekannten Taxifahrer auf, sich zu melden und seine Beobachtungen mitzuteilen, er sei als Zeuge gefragt und nicht als Verdächtiger.

Ich bin doch nicht blöd, denkt er, und bläst den Rauch in die Nacht. Ihm ist nichts aufgefallen an diesem späten Nachmittag, es überqueren viele Leute den Bahnhofplatz, und er sucht dort selten Kundschaft. Er weiss, alle, die auf dem Video drauf sind, gehören zum Kreis der Verdächtigen. Er meidet seither den Bahnhof und andere überwachte Plätze, obwohl seine Einkünfte dadurch etwas schmäler werden und auch dieses Verhalten ihm eines Tages als Beweis einer Täter- oder Komplizenschaft ausgelegt werden könnte.

Einer seiner Kollegen hat sich vor vier Jahren hilfsbereit auf einen Zeugenaufruf gemeldet und dies schnell bereut. Weil er kein hieb- und stichfestes Alibi gehabt habe, erzählte er, sei er behandelt worden wie die Verdächtigen in den Polizeiserien im Fernsehen, angepöbelt, angerempelt. Er solle endlich gestehen, dann werde ihm der Richter milde gestimmt sein. Als sie begonnen hätten, seine Aussagen zu verdrehen, habe er nicht mehr geantwortet und auf einem Anwalt bestanden. Triumphierend habe man ihn in Untersuchungshaft genommen, nach erniedrigender Gefangenschaft und weiteren invasiven Verhören aber dann mangels Beweisen freilassen müssen.

Die suchen ihre Opfer unter den Kleinen, die sich schlecht wehren können, denkt der Taxifahrer, da sind Erfolgsquoten und Beförderungen zu holen. Er zieht an seiner Zigarette und wirft sie in den Rinnstein.

Copyright Damian Bugmann, db 2/09




Der Radfahrer

Lange nach Mitternacht lässt er Gedränge, Gitarren, Rhythmus und Rauch hinter sich und rollt heimwärts. Er kommt durch die Vorstadt, zwei geschlossene Reihen von Häusern und Autos.

Jetzt wendet er, fährt ein Stück zurück, steigt ab. Eine eigenartige Villa steht da. Ostflügel links und Garage rechts hart am Trottoir, dazwischen hinter dem Gittertor nach sechs Schritten, fünf Treppenstufen, vier Säulen der Eingang, darüber eine breite Terrasse.

Plötzlich Licht, Fahnen, Stiefel. Aus den Autos steigen Leute und jubeln dem Mann auf der Terrasse zu, er geniesst den Beifall der Menge. Der Radfahrer steht da mit seinem Gefährt zwischen Jubel und Autos, Trottoir und Strasse und blickt um sich, dann wieder zur Terrasse. Eine flammende Rede für Auto und Freiheit, gegen Tamilen und Nestbeschmutzer. Tumult und Zustimmung. Dann ein Moment Ruhe.

Er hebt sein Fahrrad am Sattel hoch, dreht schnell und setzt es auf den Asphalt, die Klingel gibt an. Er schiebt ab, an der Garage vorbei. Hinter ihm erlöscht das Licht, der Lärm verstummt.

Copyright db 2/88

14. Februar 2009
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