Der Terror der Untergangspropheten
Wie die Angst vervielfacht wird
Fast jedes Problem entwickelt sich in den Händen geschickter Strategien zu einer globalen Bedrohung, aus der sich Kapital schlagen lässt. Der britische Soziologe Frank Furedi zeigt, wie viele Branchen des Angst produzierenden Gewerbes sich beim «Krieg gegen den Terror» bedienen.
Die Weltwirtschaft brummt vor sich hin, aber Angst hat weltweit Konjunktur. Unlängst warnte der Versicherer Lloyd‘s, der Klimawandel könne das Ende der Versicherungsindustrie bedeuten, und empfahl der Branche, ihre Preise zu erhöhen, um nicht von einer Flut von Schadensforderungen hinweggespült zu werden. «Wenn wir nicht jetzt handeln», so der Lloyd‘s-Chef Rolf Tolle, «wenn wir nicht begreifen, wie sich die Erde verändert, dann droht uns das Ende.» Die Versicherungsbranche, so scheint es, ist besessen von der Vorstellung, eine globale Katastrophe könnte sie überrollen. Nach dem 11. September richtete sich das ganze Augenmerk auf den Terrorismus. Rodger Lawson, der Vorsitzende des Verbandes der US-amerikanischen Versicherer, erklärte seinerzeit, gegen Terroranschläge könne man sich nicht versichern. Die Behauptung, etwas «sei nicht versicherbar», drückt die Annahme aus, es entziehe sich der menschlichen Kontrolle.
Die Vorstellung, die Gesellschaft könne bestimmte Risiken nicht kontrollieren und absichern, setzt eine tief sitzende Resignation frei. Dabei ist der Terrorismus nur eine von vielen Bedrohungen, die die Zukunft vorrätig zu haben scheint. «Das Leben auf unserem Planeten ist immer mehr in Gefahr, ganz vernichtet zu werden – durch eine plötzliche, globale Erwärmung, einen Atomkrieg, ein genmanipuliertes Virus oder auch andere Gefahren, an die wir noch nicht einmal denken», so der Physiker Stephen Hawking. Nicht selten hört man, der Terrorismus sei, verglichen mit anderen Gefahren, eine vergleichsweise kleine Bedrohung. Im Bericht Global Risks 2006 des Weltwirtschaftsforums konnte man lesen, dass Top-Manager die Vogelgrippe für die gegenwärtig grösste Bedrohung halten. Der H5N1-Virus, so der Report, könne «unsere globale Gesellschaft und Wirtschaft plötzlich und erheblich beeinträchtigen».
Wieder andere sehen im Bevölkerungswachstum die weitaus grösste Gefahr für die Zukunft der Menschheit.
Die Propheten des Untergangs unterscheiden sich kaum voneinander, ganz gleich, ob sie links oder rechts, grün oder neo-liberal angehaucht sind. Umweltgruppen nehmen nur zu gerne die Warnungen des Pentagons auf, um damit ihr eigenes Süppchen zu kochen. Greenpeace International zitiert zustimmend einen Bericht des US-Verteidigungsministeriums, in dem es heisst: «Die Kriege der Zukunft werden ums Überleben geführt werden, nicht um Religion, Ideologie oder Nationalstolz.»
Sicherheit, ein bedrohtes Gut
Die Auseinandersetzung darüber, was die grösste aller Gefahren sei, ist ein Kampf um die Erklärungshoheit. «Wird ein Problem weitgehend als solches akzeptiert, entsteht die Tendenz, neue Behauptungen mit dem eingeführten Label zu versehen», schreibt der Soziologe Joel Best.
Anders gesagt: Sind Terrorismus und Sicherheit erst einmal als ernsthafte Fragen, grosse Probleme im Bewusstsein verankert, können andere, die ebenfalls um die Erklärungshoheit kämpfen, sich diese Themen zu eigen machen, um so ihr eigenes Anliegen vorzutragen. Eine ganze Menagerie von Problemen ist mittlerweile als «globale Bedrohung» im Angebot. In einem unlängst erschienenen Bericht liest man, dass HIV eine «genau so grosse Bedrohung darstellt wie der Terrorismus»; wieder anderswo wird behauptet, der Kampf gegen die Armut habe mindestens die gleiche Bedeutung wie der Kampf gegen den Terror. Alle derartigen Behauptungen bedienen sich derselben kulturellen Folie.
Rhetorische Ausweitung des Sicherheitsbegriffs
Im Angst produzierenden Gewerbe setzt man heute immer öfter darauf, das eigene Anliegen mit dem Terrorismus in eins zu setzen. So behauptet z.B. das Australian Homeland Security Research Centre in einem seiner Berichte: «Pandemien sind wie Terrorismus – beide werden wahrscheinlich zuschlagen, nur können wir die Folgen nicht abschätzen.»9 Die Ungewissheit über die Zukunft wird hier umgemünzt in eine unmittelbar greifende Drohkulisse.
Durch diese rhetorische Ausweitung des Sicherheitsbegriffs ist Terrorismus zur Messlatte für alle anderen Bedrohungen und Gefahren geworden. Im November 2003 erklärte die damalige britische Gesundheitsministerin Rosie Winterton: «Ereignisse der letzten Zeit haben gezeigt, dass Terrorangriffe und Naturkatastrophen sich jederzeit und überall ereignen können und dass all unsere Bürger potenziell gefährdet sind.»
Wie beiläufig Winterton hier Terrorismus mit Naturkatastrophen gleichsetzt, verrät viel darüber, wie wir heute die Welt sehen. Die Angst der Öffentlichkeit vor Terroranschlägen ist zu einer Allzweckwaffe geworden, mit der man jede andere Bedrohung zum Weltbrand potenzieren kann.
Ein wesentlicher Faktor in diesem Kampf um die Erklärungshoheit ist die Zahl der Toten, für die ein bestimmtes Phänomen angeblich verantwortlich ist. Beim Worldwatch Institute erfährt man: «Der Weltgesundheitsorganisation zufolge fordert der Klimawandel bereits heute mehr Leben als der Terrorismus.» 160‘000 Menschen, wird uns versichert, stürben Jahr für Jahr an den Folgen des sich ändernden Klimas – womit allen klar sein dürfte, wie ungeheuer gross diese Bedrohung ist. Angesichts solcher Zahlen wirkt der Terrorismus fast wie eine Lappalie.
Die Bevölkerungsbombe
Das Bevölkerungswachstum ist eine weitere Thematik, in der Lobbygruppen versuchen, von der Angst vor dem Terror zu profitieren. Seit den 70er-Jahren befanden sich die Vertreter der Bevölkerungskontrolle in der Defensive.11 Das in der Tradition von Thomas Malthus stehende Argument, die Produktion von Nahrung könne mit dem Wachstum der Bevölkerung nicht Schritt halten, war von der Realität so gründlich widerlegt worden, dass sich die Malthusianer nach neuen Argumenten für ihren Kampf gegen das Bevölkerungswachstum umsehen mussten. In letzter Zeit behaupten sie immer öfter, die zunehmende Zahl von Menschen sei die Ursache für weltweite Konflikte und für Terrorismus. Malthus‘ Szenario einer Bevölkerungsexplosion wird zur realen Bombe erklärt. Das sehr schlichte Argument geht so: Die ständig wachsende Zahl von Menschen produziert viele arme, arbeitslose, unzufriedene Männer, von denen viele zu Terroristen werden. In den 70er-Jahren hatte Paul R. Ehrlich in seinem Buch «Die Bevölkerungsbombe» behauptet, die rasch zunehmende Zahl von Menschen im Süden müsse unabwendbar zu einem Sieg des Kommunismus führen. Heute hat er diese plumpe These umgemodelt und erklärt mit denselben Argumenten den internationalen Terrorismus. Demografische Faktoren, so Ehrlich, trügen sehr wahrscheinlich zum Terrorismus bei. Warum? – Weil «die überwiegende Mehrheit der Terroristen junge Männer sind» und es in den muslimischen Staaten «sehr viele Jungen unter 15 Jahren» gebe.
«Man kann unmöglich darüber hinwegsehen, dass schnelles Bevölkerungswachstum und Terrorismus zusammenhängen», behauptet auch der Vorsitzende von Population Control. Tatsächlich verbirgt sich hinter diesem Schluss eine äusserst einfältige Logik, der zufolge beide Phänomene deshalb etwas miteinander zu tun haben, da sie gleichzeitig auftreten. Mit gleichem Recht könnte man behaupten, das Bevölkerungswachstum sei die Ursache für den Tsunami in Indonesien, die hohen Immobilienpreise in London oder die Beliebtheit des iPods. (…)
Was ist Sicherheit?
Dass das Kinderkriegen mit Terror in Verbindung gebracht wird, zeigt, wie sehr sich die Definition von Sicherheit gewandelt hat. Seit Ende des Kalten Krieges wurde das hergebrachte Konzept, in dem Sicherheit mit «nationaler Sicherheit» gleichgesetzt wurde, immer häufiger als unzureichend kritisiert, da die neuen Bedrohungen globaler Natur und zudem diffus seien. Diese Interpretation geht davon aus, dass Gefahren nicht nur das Ergebnis planvollen Handelns, beispielsweise von Terroristen oder Drogenhändlern, sondern öfter noch unbeabsichtigte Nebenwirkungen sind. Die neuen, globalen Gefahren, die vom Angst produzierenden Gewerbe auf den Markt geworfen werden – Bevölkerungswachstum, Umweltzerstörung, Klimawandel, Gentechnik und Wassermangel – gehören alle in diese Kategorie.
Traditionell galt die Sicherheit als ein durch Konkurrenz zwischen Nationen, Expansionspolitik oder ideologische Gegensätze bedrohtes Gut. Die neue Sicherheitspolitik konzentriert sich nicht mehr auf geopolitische, sondern auf Umweltfragen. Sie basiert auf einem ökologischen Determinismus, auf der Annahme, dass Umweltzerstörung und Ressourcenmangel die grösste Bedrohung für die Sicherheit darstellen.
Wie eine Gefahr wahrgenommen und wie darüber diskutiert wird, hängt von den vorherrschenden kulturellen und sozialen Strömungen ab. Manche stellen beispielsweise Aids als «militärisches und Sicherheitsproblem» dar. Die Krankheit, wird argumentiert, hindert einige Regierungen daran, Friedenstruppen zu entsenden, da man befürchte, «die im Ausland stationierten Soldaten könnten den Virus weiterverbreiten oder ihn zurück in die Heimat tragen».13 Peter Piot, Direktor des UNAIDS-Programms, verglich Aids mit Terrorismus, da die Krankheit zu Armut und inneren Unruhen führen und dadurch zwischenstaatliche Konflikte auslösen könne.
Warum hier eine Krankheit als Frage der Sicherheit und nicht als eine der Gesundheit gesehen wird, bleibt unklar. Auch Krankheiten wie die Vogelgrippe können potenziell zahlreiche Menschen töten. Umweltzerstörung und Klimawandel stellen möglicherweise grosse Herausforderungen an die Menschheit dar – aber es sind keine Probleme, die militärisch gelöst werden müssen; hier sind Technik und Politik gefragt.
In gewisser Hinsicht hat natürlich alles, ob nun die Arbeitslosigkeit oder ein Computervirus, Auswirkungen auf die Sicherheit. Dennoch unterscheiden sich derartige Probleme erheblich von absichtsvoller, organisierter Gewalt. Um die Abwehr genau solcher Angriffe geht es bei der Sicherheitspolitik. Weitet man den Bereich der Sicherheitspolitik aus, bringt man einiges durcheinander, ohne damit einer Lösung näher zu kommen.
Vertreter der neuen, erweiterten Sicherheitspolitik kritisieren häufig den «Krieg gegen den Terror» als Überreaktion und Angstmacherei: «Der ‹Krieg gegen den Terror› schafft eine Atmosphäre der Angst, die für die Machthabenden von Vorteil sein kann, und er führt dazu, dass beispielsweise nicht wenige Amerikaner regelmässig – und ohne Grund – ihrer Angst Ausdruck verleihen, ein Mitglied ihrer Familie könnte einem Terroranschlag zum Opfer fallen.»
Die Autoren kritisieren hier die Art und Weise, wie mit der Angst vor dem Terror Politik gemacht wird. Geht es jedoch um die Bedrohungen, auf die sie selbst aufmerk-sam machen wollen, schlagen sie in dieselbe Kerbe und warnen, Klimawandel, Armut und Ressourcenknappheit würden «in Zukunft Terroranschläge wahrscheinlicher» machen.
Die modernen Apokalyptiker setzen genauso auf die Angstkarte wie die Terrorkrieger. Sie gehen dabei sogar weiter. In ihrer Vorstellungswelt gefährdet das Meiste, was Menschen tun, ihre eigene Zukunft. Um das deutlich genug zu machen, akzeptieren sie die Ideologie des Krieges gegen den Terror, um anschliessend zu betonen, die Gefahren, vor denen sie warnten, seinen tausendmal tödlicher als der 11. September.
In früheren Sicherheitsdebatten war der Gegner klar ausgemacht – es waren die Russen, die Kubaner etc. Auch die Terrorkrieger haben noch einen halbwegs greifbaren Gegner – islamische Fundamentalisten. Bei den Untergangspropheten lassen sich Freund und Feind überhaupt nicht mehr unterscheiden. In ihrer menschenfeindlichen Sicht ist alles, was Menschen tun, problematisch, führt jedes Handeln in eine nur noch schlimmere Katastrophe. Der Feind ist überall, der Feind bist vielleicht sogar du.
In den nächsten Jahren dürfte sich dieser Ansatz, der in den USA durch das Heimatschutzministerium bereits in den Institutionen verankert ist, mehr und mehr ausbreiten. Die Forderung der Untergangspropheten, alle Fragen zu Fragen der Sicherheit zu machen, wird wahrscheinlich weltweit mehr und mehr Gehör finden. Das Ergebnis wird kein Krieg gegen den Terror, das Ergebnis könnte ein Krieg gegen alles sein.
Die Weltwirtschaft brummt vor sich hin, aber Angst hat weltweit Konjunktur. Unlängst warnte der Versicherer Lloyd‘s, der Klimawandel könne das Ende der Versicherungsindustrie bedeuten, und empfahl der Branche, ihre Preise zu erhöhen, um nicht von einer Flut von Schadensforderungen hinweggespült zu werden. «Wenn wir nicht jetzt handeln», so der Lloyd‘s-Chef Rolf Tolle, «wenn wir nicht begreifen, wie sich die Erde verändert, dann droht uns das Ende.» Die Versicherungsbranche, so scheint es, ist besessen von der Vorstellung, eine globale Katastrophe könnte sie überrollen. Nach dem 11. September richtete sich das ganze Augenmerk auf den Terrorismus. Rodger Lawson, der Vorsitzende des Verbandes der US-amerikanischen Versicherer, erklärte seinerzeit, gegen Terroranschläge könne man sich nicht versichern. Die Behauptung, etwas «sei nicht versicherbar», drückt die Annahme aus, es entziehe sich der menschlichen Kontrolle.
Die Vorstellung, die Gesellschaft könne bestimmte Risiken nicht kontrollieren und absichern, setzt eine tief sitzende Resignation frei. Dabei ist der Terrorismus nur eine von vielen Bedrohungen, die die Zukunft vorrätig zu haben scheint. «Das Leben auf unserem Planeten ist immer mehr in Gefahr, ganz vernichtet zu werden – durch eine plötzliche, globale Erwärmung, einen Atomkrieg, ein genmanipuliertes Virus oder auch andere Gefahren, an die wir noch nicht einmal denken», so der Physiker Stephen Hawking. Nicht selten hört man, der Terrorismus sei, verglichen mit anderen Gefahren, eine vergleichsweise kleine Bedrohung. Im Bericht Global Risks 2006 des Weltwirtschaftsforums konnte man lesen, dass Top-Manager die Vogelgrippe für die gegenwärtig grösste Bedrohung halten. Der H5N1-Virus, so der Report, könne «unsere globale Gesellschaft und Wirtschaft plötzlich und erheblich beeinträchtigen».
Wieder andere sehen im Bevölkerungswachstum die weitaus grösste Gefahr für die Zukunft der Menschheit.
Die Propheten des Untergangs unterscheiden sich kaum voneinander, ganz gleich, ob sie links oder rechts, grün oder neo-liberal angehaucht sind. Umweltgruppen nehmen nur zu gerne die Warnungen des Pentagons auf, um damit ihr eigenes Süppchen zu kochen. Greenpeace International zitiert zustimmend einen Bericht des US-Verteidigungsministeriums, in dem es heisst: «Die Kriege der Zukunft werden ums Überleben geführt werden, nicht um Religion, Ideologie oder Nationalstolz.»
Sicherheit, ein bedrohtes Gut
Die Auseinandersetzung darüber, was die grösste aller Gefahren sei, ist ein Kampf um die Erklärungshoheit. «Wird ein Problem weitgehend als solches akzeptiert, entsteht die Tendenz, neue Behauptungen mit dem eingeführten Label zu versehen», schreibt der Soziologe Joel Best.
Anders gesagt: Sind Terrorismus und Sicherheit erst einmal als ernsthafte Fragen, grosse Probleme im Bewusstsein verankert, können andere, die ebenfalls um die Erklärungshoheit kämpfen, sich diese Themen zu eigen machen, um so ihr eigenes Anliegen vorzutragen. Eine ganze Menagerie von Problemen ist mittlerweile als «globale Bedrohung» im Angebot. In einem unlängst erschienenen Bericht liest man, dass HIV eine «genau so grosse Bedrohung darstellt wie der Terrorismus»; wieder anderswo wird behauptet, der Kampf gegen die Armut habe mindestens die gleiche Bedeutung wie der Kampf gegen den Terror. Alle derartigen Behauptungen bedienen sich derselben kulturellen Folie.
Rhetorische Ausweitung des Sicherheitsbegriffs
Im Angst produzierenden Gewerbe setzt man heute immer öfter darauf, das eigene Anliegen mit dem Terrorismus in eins zu setzen. So behauptet z.B. das Australian Homeland Security Research Centre in einem seiner Berichte: «Pandemien sind wie Terrorismus – beide werden wahrscheinlich zuschlagen, nur können wir die Folgen nicht abschätzen.»9 Die Ungewissheit über die Zukunft wird hier umgemünzt in eine unmittelbar greifende Drohkulisse.
Durch diese rhetorische Ausweitung des Sicherheitsbegriffs ist Terrorismus zur Messlatte für alle anderen Bedrohungen und Gefahren geworden. Im November 2003 erklärte die damalige britische Gesundheitsministerin Rosie Winterton: «Ereignisse der letzten Zeit haben gezeigt, dass Terrorangriffe und Naturkatastrophen sich jederzeit und überall ereignen können und dass all unsere Bürger potenziell gefährdet sind.»
Wie beiläufig Winterton hier Terrorismus mit Naturkatastrophen gleichsetzt, verrät viel darüber, wie wir heute die Welt sehen. Die Angst der Öffentlichkeit vor Terroranschlägen ist zu einer Allzweckwaffe geworden, mit der man jede andere Bedrohung zum Weltbrand potenzieren kann.
Ein wesentlicher Faktor in diesem Kampf um die Erklärungshoheit ist die Zahl der Toten, für die ein bestimmtes Phänomen angeblich verantwortlich ist. Beim Worldwatch Institute erfährt man: «Der Weltgesundheitsorganisation zufolge fordert der Klimawandel bereits heute mehr Leben als der Terrorismus.» 160‘000 Menschen, wird uns versichert, stürben Jahr für Jahr an den Folgen des sich ändernden Klimas – womit allen klar sein dürfte, wie ungeheuer gross diese Bedrohung ist. Angesichts solcher Zahlen wirkt der Terrorismus fast wie eine Lappalie.
Die Bevölkerungsbombe
Das Bevölkerungswachstum ist eine weitere Thematik, in der Lobbygruppen versuchen, von der Angst vor dem Terror zu profitieren. Seit den 70er-Jahren befanden sich die Vertreter der Bevölkerungskontrolle in der Defensive.11 Das in der Tradition von Thomas Malthus stehende Argument, die Produktion von Nahrung könne mit dem Wachstum der Bevölkerung nicht Schritt halten, war von der Realität so gründlich widerlegt worden, dass sich die Malthusianer nach neuen Argumenten für ihren Kampf gegen das Bevölkerungswachstum umsehen mussten. In letzter Zeit behaupten sie immer öfter, die zunehmende Zahl von Menschen sei die Ursache für weltweite Konflikte und für Terrorismus. Malthus‘ Szenario einer Bevölkerungsexplosion wird zur realen Bombe erklärt. Das sehr schlichte Argument geht so: Die ständig wachsende Zahl von Menschen produziert viele arme, arbeitslose, unzufriedene Männer, von denen viele zu Terroristen werden. In den 70er-Jahren hatte Paul R. Ehrlich in seinem Buch «Die Bevölkerungsbombe» behauptet, die rasch zunehmende Zahl von Menschen im Süden müsse unabwendbar zu einem Sieg des Kommunismus führen. Heute hat er diese plumpe These umgemodelt und erklärt mit denselben Argumenten den internationalen Terrorismus. Demografische Faktoren, so Ehrlich, trügen sehr wahrscheinlich zum Terrorismus bei. Warum? – Weil «die überwiegende Mehrheit der Terroristen junge Männer sind» und es in den muslimischen Staaten «sehr viele Jungen unter 15 Jahren» gebe.
«Man kann unmöglich darüber hinwegsehen, dass schnelles Bevölkerungswachstum und Terrorismus zusammenhängen», behauptet auch der Vorsitzende von Population Control. Tatsächlich verbirgt sich hinter diesem Schluss eine äusserst einfältige Logik, der zufolge beide Phänomene deshalb etwas miteinander zu tun haben, da sie gleichzeitig auftreten. Mit gleichem Recht könnte man behaupten, das Bevölkerungswachstum sei die Ursache für den Tsunami in Indonesien, die hohen Immobilienpreise in London oder die Beliebtheit des iPods. (…)
Was ist Sicherheit?
Dass das Kinderkriegen mit Terror in Verbindung gebracht wird, zeigt, wie sehr sich die Definition von Sicherheit gewandelt hat. Seit Ende des Kalten Krieges wurde das hergebrachte Konzept, in dem Sicherheit mit «nationaler Sicherheit» gleichgesetzt wurde, immer häufiger als unzureichend kritisiert, da die neuen Bedrohungen globaler Natur und zudem diffus seien. Diese Interpretation geht davon aus, dass Gefahren nicht nur das Ergebnis planvollen Handelns, beispielsweise von Terroristen oder Drogenhändlern, sondern öfter noch unbeabsichtigte Nebenwirkungen sind. Die neuen, globalen Gefahren, die vom Angst produzierenden Gewerbe auf den Markt geworfen werden – Bevölkerungswachstum, Umweltzerstörung, Klimawandel, Gentechnik und Wassermangel – gehören alle in diese Kategorie.
Traditionell galt die Sicherheit als ein durch Konkurrenz zwischen Nationen, Expansionspolitik oder ideologische Gegensätze bedrohtes Gut. Die neue Sicherheitspolitik konzentriert sich nicht mehr auf geopolitische, sondern auf Umweltfragen. Sie basiert auf einem ökologischen Determinismus, auf der Annahme, dass Umweltzerstörung und Ressourcenmangel die grösste Bedrohung für die Sicherheit darstellen.
Wie eine Gefahr wahrgenommen und wie darüber diskutiert wird, hängt von den vorherrschenden kulturellen und sozialen Strömungen ab. Manche stellen beispielsweise Aids als «militärisches und Sicherheitsproblem» dar. Die Krankheit, wird argumentiert, hindert einige Regierungen daran, Friedenstruppen zu entsenden, da man befürchte, «die im Ausland stationierten Soldaten könnten den Virus weiterverbreiten oder ihn zurück in die Heimat tragen».13 Peter Piot, Direktor des UNAIDS-Programms, verglich Aids mit Terrorismus, da die Krankheit zu Armut und inneren Unruhen führen und dadurch zwischenstaatliche Konflikte auslösen könne.
Warum hier eine Krankheit als Frage der Sicherheit und nicht als eine der Gesundheit gesehen wird, bleibt unklar. Auch Krankheiten wie die Vogelgrippe können potenziell zahlreiche Menschen töten. Umweltzerstörung und Klimawandel stellen möglicherweise grosse Herausforderungen an die Menschheit dar – aber es sind keine Probleme, die militärisch gelöst werden müssen; hier sind Technik und Politik gefragt.
In gewisser Hinsicht hat natürlich alles, ob nun die Arbeitslosigkeit oder ein Computervirus, Auswirkungen auf die Sicherheit. Dennoch unterscheiden sich derartige Probleme erheblich von absichtsvoller, organisierter Gewalt. Um die Abwehr genau solcher Angriffe geht es bei der Sicherheitspolitik. Weitet man den Bereich der Sicherheitspolitik aus, bringt man einiges durcheinander, ohne damit einer Lösung näher zu kommen.
Vertreter der neuen, erweiterten Sicherheitspolitik kritisieren häufig den «Krieg gegen den Terror» als Überreaktion und Angstmacherei: «Der ‹Krieg gegen den Terror› schafft eine Atmosphäre der Angst, die für die Machthabenden von Vorteil sein kann, und er führt dazu, dass beispielsweise nicht wenige Amerikaner regelmässig – und ohne Grund – ihrer Angst Ausdruck verleihen, ein Mitglied ihrer Familie könnte einem Terroranschlag zum Opfer fallen.»
Die Autoren kritisieren hier die Art und Weise, wie mit der Angst vor dem Terror Politik gemacht wird. Geht es jedoch um die Bedrohungen, auf die sie selbst aufmerk-sam machen wollen, schlagen sie in dieselbe Kerbe und warnen, Klimawandel, Armut und Ressourcenknappheit würden «in Zukunft Terroranschläge wahrscheinlicher» machen.
Die modernen Apokalyptiker setzen genauso auf die Angstkarte wie die Terrorkrieger. Sie gehen dabei sogar weiter. In ihrer Vorstellungswelt gefährdet das Meiste, was Menschen tun, ihre eigene Zukunft. Um das deutlich genug zu machen, akzeptieren sie die Ideologie des Krieges gegen den Terror, um anschliessend zu betonen, die Gefahren, vor denen sie warnten, seinen tausendmal tödlicher als der 11. September.
In früheren Sicherheitsdebatten war der Gegner klar ausgemacht – es waren die Russen, die Kubaner etc. Auch die Terrorkrieger haben noch einen halbwegs greifbaren Gegner – islamische Fundamentalisten. Bei den Untergangspropheten lassen sich Freund und Feind überhaupt nicht mehr unterscheiden. In ihrer menschenfeindlichen Sicht ist alles, was Menschen tun, problematisch, führt jedes Handeln in eine nur noch schlimmere Katastrophe. Der Feind ist überall, der Feind bist vielleicht sogar du.
In den nächsten Jahren dürfte sich dieser Ansatz, der in den USA durch das Heimatschutzministerium bereits in den Institutionen verankert ist, mehr und mehr ausbreiten. Die Forderung der Untergangspropheten, alle Fragen zu Fragen der Sicherheit zu machen, wird wahrscheinlich weltweit mehr und mehr Gehör finden. Das Ergebnis wird kein Krieg gegen den Terror, das Ergebnis könnte ein Krieg gegen alles sein.
01. Januar 2007
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