Der Überlebenskampf der USA eskaliert: Ein neuer Kalter Krieg wird ausgelöst, um Europa annektieren zu können

Als im November 2013 Russland von der EU verlangte, zu den Gesprächen über den Abschluss eines europäisch-ukrainischen Freihandelsabkommens hinzugezogen zu werden, mit dem Ziel, einen Kompromiss zu finden, der die Interessen aller unmittelbar betroffenen Parteien berücksichtigen würde (1), ging es um nichts weniger als die Stabilität, die territoriale Integrität und die Unabhängigkeit der Ukraine sowie die ihr aus der Geschichte und der Geografie zugewachsene Rolle als Verbindungsglied zwischen Russland und Europa.

Aber weder Frau Ashton, quasi- Außenministerin der EU, noch Herr O’Sullivan (2), zweithöchster Beamte des Auswärtigen Dienstes der Europäischen Kommission, genauso wenig wie Herr Fule, der von den sphärischen Höhen an der Spitze der Generaldirektion Erweiterung herab seine ganze Energie auf das Ziel richtet, alles, was im Osten Europas sich tummelt, in die EU zu bringen (3), wollten davon etwas hören. Ganz im Gegenteil, sie nötigten die Ukraine, zwischen „Europa und Russland zu wählen“ und setzten damit die Bedingungen für das, was kommen musste und was wir heute alle mit Schrecken vor Augen haben. Die Ukraine wählte die EU und steuerte damit in einen Spaltungsprozess, der gerade erst einmal an seinem Anfang steht. Ashton und O’Sullivan haben damit im wahrsten Wortsinn der Ukraine – und damit der EU – eine Falle gestellt, in die beide getappt sind.

Fünf Monate später sind die dadurch verursachten Schäden riesig: Mehr als 100 Tote (4) sind zu beklagen, in Kiew ist eine nicht gewählte Regierung am Ruder, die die Macht nur mit der Unterstützung rechtsextremistischer Kräfte erringen konnte (5), die russisch- europäischen Beziehungen sind auf einem absoluten Tiefpunkt, Russland und die Ukraine stehen am Rand eines Krieges, der zu einem europäisch- russischen Krieg eskalieren könnte (6), die russischen Soldaten besetzten die ukrainischen Stützpunkte auf der Krim (7), die amerikanische Flotte kreuzt im Schwarzen Meer (8), amerikanische „Regierungsberater“ faseln von Nuklearwaffen für Polen, Litauen und Rumänien (9), die Medien haben Blut gerochen und mutieren zu einer pro- Kriegspropagandamaschine, die Menschen und Politiker auf den Krieg einstimmen soll, der Freihandelsvertrag zwischen der EU und der Ukraine steht unter Missachtung der russischen Interessen gemäß einer Absprache zwischen der amerikanischen und ukrainischen Regierung kurz vor der Unterzeichnung (10) (wenn beim TTIP auf die gleiche Art und Weise vorgegangen wird, haben Kerry und Ashton spätestens im April ihre Unterschrift darunter gesetzt), der Westen spricht dem Referendum auf der Krim die völkerrechtliche Zulässigkeit ab, wodurch sich die Krise und auch die Zweifel an den hehren demokratischen Absichten der westlichen Politik noch verstärken werden… (11)

Aus europäischer Sicht ist dies alles ein einziges politisches und diplomatisches Fiasko! Offensichtlich soll 2014 ein neuer Eiserner Vorhang, lediglich weiter im Osten, herabgesenkt werden, womit sich Europa von allen wichtigen Entwicklungen in den bedeutenden Schwellenländer abscheiden würde, zu denen Russland ein so wichtiges Verbindungsglied wäre, wie die Ukraine die Verbindung zu Russland war.

Europa unter Dauerbeschuss
Leider ist dies nicht nur ein isolierter Fehlschlag europäischer Politik, sondern das Ergebnis eines strategisch geplanten Angriffs auf die Grundfesten des europäischen Integrationsprozesses, der seit seinen Anfängen immer zwei entscheidende Ziele verfolgte, nämlich den Frieden (durch Kooperation und Vergemeinschaftung der Interessen) und die Unabhängigkeit des Kontinents (durch die Stärke, die die große Union ihren kleinen Mitgliedstaaten verleiht).

Der gegenwärtige Angriff ist lediglich eine Fortsetzung der Kampagne von 2010 gegen den Euro. Auch damals war nicht nur die Gemeinschaftswährung Ziel des Angriffs, sondern die gesamte Europäische Union und ihr Bestreben, von den USA unabhängig zu sein. Wäre der Euro gescheitert, wäre es technisch nicht möglich gewesen, umgehend wieder nationale Währungen einzuführen und die Eurozonen- Mitgliedstaaten hätten sich de facto in die Dollarzone integrieren müssen. Damals konnte die EU erfolgreich Widerstand leisten und die Gemeinschaftswährung retten. Allerdings zahlte sie dafür den Preis einer insbesondere politischen Schwächung.
Der TTIP und die Versuche, Europa schnellst möglichst zur Unterschrift unter einen obskuren Vertrag, den niemand will, zu bewegen, verfolgen nun vor allen Dingen das Ziel, die Politik unter die Vormundschaft der Wirtschaft zu stellen. Dieses Ziel dürfte sogar noch vorrangig sein vor dem, die EU unter amerikanische Vormundschaft zu bringen. Jedenfalls würde mit der Ratifizierung des TTIP eine riesige amerikanisch- europäische Freihandelszone entstehen, in der die Warenaustäusche in Dollar abgewickelt würden, womit ganz offiziell Europa in die Dollarzone integriert wäre. Wieder einmal geht es darum, das europäische Streben nach Unabhängigkeit zu torpedieren, konkret hier seine Bestrebungen, gewisse Schutzstandards als Gewährleistung seiner wirtschaftlichen Interessen, seiner Qualitätsansprüche, seiner Vorstellung von Umweltschutz und der Gesundheitsinteressen der Europäer aufrecht zu erhalten. Allein die Methoden, die angewandt werden, um eine Unterzeichnung zu erzwingen, sind schon des Beweises genug, dass es sich beim TTIP um ein zutiefst abzulehnendes Projekt handelt.

Auf Europa droht ein neuer eisener Vorhang herabzusinken

Der in Washington und Brüssel herrschende Zynismus verschlägt einem geradezu die Sprache. Wahrscheinlich wurde die Krise in der Ukraine nur vom Zaun gebrochen, um letztendlich die Europäer zu zwingen, das amerikanische Schiefergas als Ersatz für die russischen Gaslieferungen zu kaufen (12), die europäischen Unterschriften unter den TTIP zu bekommen (ohne den dieses Gas in Europa nicht gehandelt werden darf (13)), die amerikanischen und Nato- Militärhaushalte wieder steigen zu lassen (14) und den Westen auf den neuen Kalten Krieges vorzubereiten, in dem sich diesmal der Westen und die Schwellenländer gegenüberstehen würden und der Westen sich und sein wirtschaftliches und politisches System von der Welt durch einen neuen Eisernen Vorhang abschotten müsste.


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Noten:

1 Quelle: Le Monde, 05/03/2014.

2 Dieser Herr ist die Nummer Drei des Auswärtigen Dienst der Europäischen Kommission (nach Ashton und Vimont). Über ihn und seine Laufbahn wollen wir ein paar Worte verlieren; investigative Journalisten sollten sich etwas detaillierter damit auseinander setzen. David O’Sullivan tauchte zu Beginn der neunziger Jahre auf dem Radarschirm unserer europäischen Aktivitäten auf, als er Referatsleiter in der Generaldirektion Bildung und verantwortlich für das Programm TEMPUS war, das in das Fadenkreuz des Europäischen Rechnungshofs geraten war, nachdem Franck Biancheri in einem offenen Brief die Unregelmäßigkeiten in der Programmdurchführung angeprangert hatte. Angesichts dieses schlechten Starts hätte die Karriere von O’Sullivan eigentlich schon damals ihren Zenit erreicht haben müssen. Aber Mitte der neunziger Jahre, als wir das transatlantische Projekt Tiesweb in Partnerschaft mit der Europäischen Kommission und der US- Regierung aus der Taufe hoben, legte uns ein Diplomat der amerikanischen Botschaft in Brüssel in einem eher belanglosen Gespräche nahe, „ein Auge auf die Karriere eines gewissen O’Sullivan zu halten – der werde es noch weit bringen.“
Wir waren bass erstaunt, ließen einige Worte über den doch wenig empfehlenswerten Charakter dieses Herrn fallen und wunderten uns über die unerklärlichen Entscheidungswege der Großen dieser Welt. Und einige Jahre später zum Ausgang der neunziger Jahre, in den Anfängen der Kommission Prodi, wird David O’Sullivan GENERALSEKRETÄR der Kommission, also zum mächtigsten Beamten der Brüsseler Bürokratie befördert. Prodi war zum Kommissionspräsidenten gewählt worden, nachdem die Vorgängerkommission unter Santer kollektiv zurücktreten musste, weil sich gezeigt hatte, dass ihr die Kontrolle über die Arbeitsebene entglitten war, in der sich Skandale an Skandale reihten. Prodi hatte daraufhin eine Gruppe von Beamten eingesetzt, die eine Reform der Kommission und der europäischen Governance ausarbeiten sollten. Diese Gruppe legte ein Weißbuch gleichen Namens vor. O’Sullivan zog die Redaktionsarbeiten an sich, strich alle vielversprechenden Ansätze, ließ es während der Institutionsferien im August veröffentlichen, als kein Journalist durch die Straßen Brüssels schlich, kurzum, sorgte dafür, dass jeder Reformansatz begraben wurde.
Dieses Reformprojekt war damit lediglich ein kurzer Moment der großen Hoffnung für eine europäische Demokratisierung, die nun aber erloschen war. O’Sullivan taucht Jahre später wieder ganz oben in der Hierarchie des Auswärtigen Dienstes der Kommission auf, als dort ein Übergewicht zu Gunsten der Anglophonen geschaffen werden sollte. Denn Frau Ashton war ein Franzose, Pierre Vimont, als Numero Zwei (Generaldirektor) an die Seite gestellt worden. Also schuf die Britin zu ihrer eigenen Stärkung den Posten eines Administrativgeneraldirektors als Numero Drei - so einen Posten gibt es sonst in keiner europäischen Institution - und vergab ihn an O’Sullivan. Auf diese Weise geschah es, dass sich O’Sullivan 2013 an der Seite von Ashton befand, als die EU mit der Ukraine über ein Freihandelsabkommen verhandelte – mit den bekannten, uns heute alle belastenden Folgen. O’Sullivans Karriere geht aber noch weiter. Er wird EU- Botschafter in Washington, und wird im Schulterschluss mit Ashton und der amerikanischen Regierung sicherstellen können, dass die gesamte Entscheidungskette von den Verhandlungsvorbereitungen bis zum Abschluss des TTIP in Händen von treuen Freunden Amerikas liegt. Wer wissen will, von wo Europa Gefahr droht, muss sich einfach nur anschauen, wo sich O’Sullivan professionell gerade betätigt und wird fündig werden.

3 Wussten Sie, dass sogar Georgien eine Beitrittsperspektive bekommen soll? Quelle: EuropeanVoice, 29/11/2013.

4 Quelle : KyivPost, 11/03/2014.

5 Quelle : CNN, 06/11/2014.

6 Insbesondere weil die EU alles daran setzt, sich die Ukraine einzuverleiben. Sie forciert die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens, das nach demokratischen Spielregeln eigentlich von einer gewählten Regierung unterzeichnet werden müsste, letztendlich aber nun doch vorher von der nichtgewählten Regierung unterzeichnet werden wird (Quelle: Radio Ukraine, 26/02/2014), da ja die Gefahr besteht, dass die neue und legitime Regierung wiederum pro-russisch sein wird, und da überhaupt schon heute die Weichen für einen späteren ukrainischen Beitritt gestellt werden sollen – was für Georgien möglich sein soll, muss doch erst recht für die Ukraine möglich sein (Quelle: Messenger, 06/03/2014).

7 Quelle: Die Zeit, , 06.03.2014.

8 Und die amerikanische Armee fasst wieder Fuß in Europa, nachdem es solange gedauert hatte, bis sie endlich abzog : Chicago Tribune, 12/02/2014.

9 Quelle : Ouest-France, 12/03/2014.

10 Dieser Artikel vom 12.03.2014 im EUBusiness redet zumindest nicht um den heißen Brei : « Die neue Regierung der Ukraine wird wahrscheinlich den so sehr erwarteten Vertrag mit der EU in der nächsten Woche unterzeichnen, lies Mittwoch der Interimspräsident Arsenij Jazenjuk im Anschluss an ein Gespräch im Weißen Haus verlauten ». Man musste sich keine Sorgen machen, dass die EU in die Hände der extremen Rechten fallen könnte - es ist noch schlimmer: Eine fremde Macht ist gerade dabei, sie zu annektieren. Aber das Schockierendste ist, dass unter den 28 europäischen Regierungen, die fast alle demokratisch gewählt wurden, keine einzige sich bemüßigt fühlt, dagegen zu protestieren, dass so wichtige Entscheidungen in einer Absprache zwischen der amerikanischen und ukrainischen Regierung getroffen werden. Amerikanische Falle, Verrat der EU – und die politischen Eliten der Mitgliedstaaten wehren sich nicht – wie die französischen Eliten, die 1940 voreilig vor der Wehrmacht kapitulierten. Nicht einmal die vielen Nationalisten, Chauvinisten und Souveränisten, die so zahlreich in der nationalen Politik anzutreffen sind, und ständig die Souveränität der Nationen und die Gefahr des Superstaats Europa beschwören, scheinen kein Problem damit zu haben, dass europäische Politik in Washington gemacht wird.

11 Der Ostblock brach zusammen, ohne dass - dank Michael Gorbatschows - es zu Blutvergießen kam. Es ist wohl selten in der Geschichte, dass ein Reich seine Macht kampflos abgibt. Leider sieht es nicht danach aus, dass die Amerikaner zur der gleichen Größe fähig wären. Sie setzen wirklich alles daran, ihr System und ihre Macht bis zum letzten Atemzug zu verteidigen, so aussichtslos ihre Lage auch sein möge. Mit der unglaublichen Summe von 700 Milliarden Dollar Rettungsgelder für die Banken verwandelten sie die Bankenkrise in eine Staatsschuldenkrise; die quantitative Lockerung der Fed zur Rettung der amerikanischen Wirtschaft hat die Weltwirtschaft in Blasenmodus versetzt und zu einer weltweiten Überschuldung geführt; nun schalten die USA noch einen Gang höher und starten (mit der Hilfe bestimmter europäischer Eliten) eine feindliche Übernahme von Europa.

12 Quelle : The Guardian, 05/03/2014.

13 Das Schiefergas ist ein sogenanntes nicht- konventionelles Gas, d.h. sein Preis ist nicht an den von Rohöl gekoppelt, was natürlich einen Wettbewerbsvorteil darstellt, der ihm aber nur zuteil wird, weil es eigentlich nicht für den Export bestimmt ist. Aber nur mit der Unterzeichnung des TTIP und seiner transpazifischen Entsprechung und dem damit möglichen globalen Gasverkauf rentieren sich die riesigen Investitionen der Amerikaner in ihren neuen Status einer Gasexportnation; deshalb wollen sie ihn um jeden Preis, auch wenn der darin besteht, dass dafür Tote auf dem Maidan zu beklagen sind. Quelle : Office of Fossil Energy.

14 Die in den letzten Tagen beschlossenen gigantischen Einschnitte des US- Kongresses in den amerikanischen Militärhaushalt und das Entsetzen, das dadurch in den Fluren des Pentagons ausgelöst wurde, dürften unseren Lesern nicht entgangen sein. Quelle: USNews, 24/02/2014.


Quelle: Laboratoire Européen d’Anticipation Politique, Pressemitteilung