Die Botschafter der Bäume

Erwin Thoma baut moderne Häuser aus Mondholz. Er schreibt und redet aber auch gerne und schlüssig über das soziale, ökonomische und ökologische Zusammenleben der Bäume. Und die Vorbildfunktion der Wälder. Eine Gabe, die nicht nur den Innerschweizer Zimmermann Beat Auf der Maur überzeugt, sondern auch die Wissenschaft verblüfft.

Für Erwin Thoma aus Goldegg in Österreich ist das Holz nicht nur heimelig. Es dämmt Kälte und Wärme besser als jedes Passivhaus, es hält Feuer länger stand als Beton, es beruhigt den Herzschlag seiner Bewohnerinnen und Bewohner, es lässt keinen Krümel Abfall zurück. Dafür hält der ehemalige Förster, studierte Betriebswirt und heutige Vorzeigeunternehmer aus Österreich nicht nur Fakten aus eigener Erfahrung und gute Geschichten parat. Das alles bestätigen ihm auch unabhängige Wissenschaftler staatlicher Universitäten mit Untersuchungen und Zertifikaten.

Das Versprechen
Sein hundertprozentiger Holzbau «Holz 100» hält jedes Versprechen. Und Thoma selbst dasjenige, das er vor über 20 Jahren seinem Sohn Florian gegeben hat. Florian litt damals an einer Leimallergie. Eines Abends stand er nach einem Hustenanfall im Kinderbett auf und fragte seinen Vater, warum er denn keine Luft mehr zum Atmen bekomme. Erwin Thoma schaute in die grossen Kinderaugen und versprach, ihm bald alle Luft der Welt zu schenken. «Florian hat mir geglaubt, sich hingelegt und ist eingeschlafen», erinnert sich der Vater heute. «Erst unten in der Küche wurde mir dann bewusst, was ich eben versprochen hatte. Ich wusste, dass ich mein damaliges Leben als Förster umgehend ändern und ausweiten musste, um dieses Versprechen einzulösen.»

Das Mondholz ernten
Das war in den 80er-Jahren. Erwin Thoma gründete wenig später eine kleine Holzbaufirma. Er tauschte sich intensiv mit dem Grossvater seiner Frau aus, einem Zimmermann der alten Schule. Er notierte seine Erlebnisse im Wald und mit dem  Holz ab und zu auf lose Blätter. Er setzte auf die Kenntnisse der alten Handwerker und das Wissen der Geigenbauer, die einst im Winter zu ihm in den Wald gekommen waren, um ganz bestimmte Bäume zu ganz bestimmten Zeiten zu ernten. Thoma sagt nicht «fällen» oder «schlagen». Er erntet die Bäume. Das Mondholz. Geerntet im Winter bei abnehmendem Mond. Das mit dem Mondholz töne so mythisch, sei aber ganz einfach – und kein grosser Zauber, sagt Thoma: «Sie erinnern sich an mein Versprechen? Wir wollten die Chemie aus dem Holz haben. Keine Klebestoffe, keine Holzschutzmittel, die alle ausnahmslos hochgiftig sind. Wie aber schützen wir das Holz anders vor Insekten und Pilzen? Mit einem resistenten Holz! Das bei abnehmendem Mond geerntete Holz der Bergwälder ist resistenter gegen Pilze und Insekten. Ohne wenn und aber. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.» Wissenschaftler um Ernst Zürcher an der ETH Zürich haben es später mit eindeutigen Forschungsresultaten bestätigt.

Bahn- und bannbrechend
Thoma rühmt Zürchers Arbeit als bahn- und bannbrechend. Die Rede vom Mondholz konnte nicht mehr als Humbug abgetan werden. Die Forscher wiesen das sanfte Pulsieren des Baumes im Mondrhythmus nach. Dass sich das Holz im Winter bei abnehmendem Mond messbar stärker zusammenzieht. Die Struktur des Materials wird dadurch dichter. Die modernen Naturwissenschaften massen, was die buddhistischen Mönche in Japan schon vor Jahrhunderten intuitiv gewusst und genutzt hatten: Die ältesten Holzhäuser der Welt sind ihre Klöster in Japan. 1600 Jahre alt. Alle aus Mondholz gebaut, wie Thoma vom Oberhaupt eines dieser Klöster erfuhr. Dieser reiste höchstpersönlich in Goldegg an, kaum hatte er von Thomas erstem Buch «Dich sah ich wachsen» gehört. Erwin Thoma fügte darin seine losen Blätter mit den Erfahrungen im Wald und mit den Bäumen zusammen. Seither baut seine Firma auch in Japan modernste Holzhäuser. Oder in Skandinavien. Dort beispielsweise die Sommerresidenz der norwegischen Königsfamilie. Auf der Firmen-Website thoma.at lässt sich der Firmenfolder in neun Sprachen herunterladen. Russisch inklusive.
Erwin Thoma verbindet mit seiner Bauweise «die Tradition und den Purismus der alten archaischen Bauten mit modernsten gesellschaftlichen Antworten». Holz 100 ist ein Quantensprung. Das perfekte Minergiehaus ohne Abhängigkeit von technischen Hilfsmitteln und Klebern. Ohne Leim, Schrauben oder Nägel. Bis zu 40 Zentimeter dick werden Kanthölzer und Bretter aus Mondholz waagrecht, senkrecht und diagonal zu kompakten Bauelementen geschichtet. Staubtrockene Buchenholzdübel durchdringen diese Schichten. Die Dübel nehmen an ihrem neuen Ort die Restfeuchtigkeit des Holzes auf, quellen  und verbinden alles zu einem massiven Ganzen. Die Idee mit den Dübeln hatte Thoma vom Grossvater seiner Frau, einem 92-jährigen Zimmermann.

Mittel zum Zweck
Das eigene Unternehmen ist für Thoma aber nur das  Werkzeug – das Mittel zum Zweck: «Mein Ziel als Unternehmer ist es, bessere Wege und enkeltaugliche Lösungen zu hinterlassen, als wir selbst vorgefunden haben. So wie es die Bäume machen.» Thomas Augen leuchten und lachen, wenn er von den offenen Geheimnisses der Bäume und des Waldes spricht: «Ich zweifle nicht daran, dass wir dafür das technische Know-how im Holz haben. Auch das soziale Know-how ist dort zu finden. Bäume pflegen ein unglaublich fein abgestimmtes, wirkungsvolles soziales Netz. Mit klaren Aufgabenteilungen, gegenseitigem Helfen, aber auch mit gesundem Wettbewerb. Bäume sind ein unglaublich interessantes Lehrbeispiel für jeden Soziologen und Betriebswirt.»
Ein Vorbild für uns alle: «Die Natur hat den Baustoff Holz in 350 Millionen Jahren optimiert und den neusten Herausforderungen der Umwelt angepasst. Das Know-how darin ist gigantisch. In einem Kubikzentimeter Holz steckt mit Kapillaren und Zellwänden eine innere Struktur so gross wie eine schöne Wohnung in der Stadt: 120 m2! In einem winzig kleinem Würfel Holz!».


Der Weg zur Kreislaufwirtschaft
Es sei schlicht unvernünftig, auf diese Quellen zu verzichten: «Wir sind in der Wohlstandgesellschaft der westlichen Welt an einem Wendepunkt angekommen. Wir optimieren momentan noch blind das Konzept, Rohstoffe aus der Natur zu nehmen, verarbeiten sie zu immer komplizierteren Produkten, die immer kurzlebiger werden, um unseren Wohlstand zu halten.» Damit müsse Schluss sein: «Unser Wohlstand basiert auf einem immer schneller drehenden Wegwerf- und Ausbeutungsmechanismus. Es nützt nicht, weiter an dieser Schraube zu drehen. Wir müssen das Konzept ändern. So wie schon Einstein gesagt hat: Ein Problem lässt sich nicht in dem System lösen, in dem es entstanden ist. Also: Wir müssen aus der Wegwerfspirale zum Kreislaufwirtschaften finden.»

Das Logistiksystem Wald
Dafür sind Baum und Wald beste Beispiele. Nicht nur als Metapher, sondern auch als wissenschaftlich fundierte Erkenntnis, wie das funktionieren kann: «Der Wald ist als Gemeinschaft ein unglaubliches Logistikunternehmen. Er bewegt Tausende von Milliarden Tonnen Material, wenn man sich überlegt, wie die Bäume in den Himmel wachsen. Diese Logistik passiert ohne Belastungen der Umwelt, da bleibt kein Krümel Abfall zurück, da wird kein Hauch von Abgasen in die Luft geblasen.»
Ganz im Gegenteil: Holz ist bekanntlich der einzige Rohstoff, der bei seiner Produktion nicht nur eigene Abgase wieder aufnimmt, sondern sogar noch unsere menschlichen Abgase in Sauerstoff umwandelt. Thoma ist überzeugt: Es gibt keine Energie, keine Rohstoffkrise, wenn wir richtig handeln – und die Geheimnisse der Natur, speziell der Bäume, richtig zu deuten und zu nutzen wissen: «Es ist eine Unwahrheit zu sagen, wir hätten zu wenig Energie. Wir beweisen das Gegenteil. Wir bauen Holzhäuser in den Städten, die energieautark sind. Sie werden nur mit der Sonne gekühlt und gewärmt, die auf die Dächer und Fassaden scheint. Wir brauchen keine komplizierten Maschinen.»

Gesund Wohnen
Holz wachse mehr als genug. Die Annehmlichkeiten unseres heutigen Wohlstands seien mitnichten in Gefahr. Eher umgekehrt: «Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das Leben in unseren Holzhäusern gesund ist. Der Pulsschlag wird langsamer, der Körper entspannt sich, der Stress ist weg. Ganz anders dort, wo Chemikalien in Form von ausgegasten Molekülen vorhanden sind. In solcher Umgebung kriegt der Körper umgehend ein Stresssignal. Er reagiert mit höheren Tourenzahlen. Das Herz schlägt massiv schneller. Das Gegenteil passiert im Holz 100-Haus. Das haben die Messungen der Uni Graz zweifelsfrei ergeben. Wer im Holz ohne Zusatzstoffe lebt, stärkt sein vegetatives Nervensystem und sein Immunsystem.»

Spinner der Nation
Womit man wieder beim alten Spruch «Holz ist heimelig» wäre. Nur ist der moderne Baustoff Holz mit diesem gut gemeinten «heimelig» auch über Jahrzehnte verniedlicht und quasi «rustikalisiert» worden. Thoma nickt. «Heimelig tönt gut. Man sprach von einem Gefühl. Heute aber arbeiten wir mit wissenschaftlichen Fakten. Für mich stimmt das so», sagt Erwin Thoma, «ich suche aktiv die Kooperationen mit der Wissenschaft, den Forschenden an den technischen Universitäten. Ich will meine Bauweise mit modernen, belastbaren Methoden quasi staatlich absichern lassen. So sind wir nicht mehr die Spinner der Nation, sondern wohl eher anerkannte Botschafter der Bäume.»


Mehr über Holz 100 von Erwin Thoma lesen Sie im Internet auf Holz 100 Innerschweiz in Steinen: www.holz100zentral.ch


Erwin Thomas neustes Buch «Die geheime Sprache der Bäume – Und wie die Wissenschaft sie entschlüsselt» ist 2012 im Verlag ecowin erschienen: 208 Seiten, gebunden. Ca. Fr. 31.40 / € 21.90.