Die «Bürgerrechtsbewegung» ist im Trotzalter steckengeblieben
Wann wird sie aus ihren Niederlagen lernen?
Zum dritten Mal ging am vergangenen Sonntag eine Abstimmung zum dringlichen Covid-19-Gesetz verloren. Und man fragt sich, wann die selbst ernannte «Bürgerrechtsbewegung» aus dieser erneuten Niederlage ihre Lehren ziehen wird.
Es ist ein schwieriger Kampf, zugegeben. David gegen Goliath, der das Gesetz der Tat auf seiner Seite hat. Die Regierung kann Krisen schaffen und die Bevölkerung mit Problemen zudecken, vor denen sie dann auch noch Schutz verspricht.
Das gleicht dem Geschäftsmodell der ukrainischen Softwarefirma, die einen Computervirus verbreitete und dann gegen teures Geld Remedur anbot.
Die Krise ist gewissermassen das Geschäftsmodell der Regierungen geworden. Ob konstruiert, wie die Pandemie, oder real, wie der drohende Konkurs der Credit Suisse, sind Notrecht und die Umgehung von Volk und Parlament die opportunen Instrumente.
Kommen dieses Instrumente einmal zur Anwendung, werden sie immer wieder eingesetzt. So gelang es erst anfangs der 1950er Jahre mit einer Volksinitiative, das in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre eingeführte Notrechtsregime des Bundesrates wieder aufzuheben.
Wie hat sich die Corona-Politik der «Bürgerrechtsbewegung» entwickelt?
Ende April 2020 kündigte die damalige Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga die Umwandlung der bis Ende September gültigen Notverordnungen zur Bekämpfung der Pandemie in ein dringliches Bundesgesetz an.
Das war ein starkes Zeichen der Unlauterkeit. Denn damals war die Wirksamkeit der Massnahmen noch keineswegs gegeben. Warum sollten die Notverordnungen also in ein Gesetz gegossen und verlängert werden? Zudem durfte man damals noch davon ausgehen, dass die «Pandemie» kein Dauerzustand werden würde.
Ende Juni kündigte ich als Einzelperson das Referendum gegen das geplante dringliche Bundesgesetz an, das zeitgleich in Vernehmlassung ging und von den Eidg. Räten im September verabschiedet wurde.
Mir war bewusst, dass noch nie ein dringliches Bundesgesetz oder ein dringlicher Bundesbeschluss durch Referendum zu Fall gebracht werden konnte. Aber was hätten wir sonst unternehmen sollen, um den Widerstand gegen die Corona-Politik von der Strasse in die Politik und damit in Reichweite der direktdemokratischen Instrumente zu bringen?
Im September 2020 wurde die Unterschriftensammlung für das Referendum von den inzwischen gegründeten «Freunden der Verfassung» aufgenommen, die dadurch schnell an Aufmerksamkeit und Mitgliedern gewannen
Meine Hoffnung war, die Verfassungsfreunde während der Kampagne gegen das Covid-19-Gesetz aus dem Widerstand zu holen und zu einer konstruktiven Mehrthemenbewegung zu formieren, die auch für Menschen ausserhalb des Widerstands attraktiv sein würde. Es gibt viele kompetente Menschen, die sich in einem neuen politischen Organismus mit starker Verwurzelung an der Basis engagieren würden.
Themen gibt es genug, die die Menschen bewegen, aber von der classe politique nicht bewirtschaftet werden – Probleme, die nur mit einer Überwindung des links-rechts-Schemas gelöst werden können: Migration zum Beispiel, Bildung, Gesundheit und einige mehr.
Die Abstimmung vom Juni 2021 war schwierig zu gewinnen. Es ging um viel Geld, dass sich auch Kritiker der Massnahmen nicht entgehen lassen wollten. Zudem war die Kampagne, die das Management der Verfassungsfreunde führte, nach verbreiterer Einschätzung plump.
Im Sommer 2021 beschloss der Vorstand der Verfassungsfreunde auf Empfehlung einer Arbeitsgruppe unter Leitung des SVP-Mannes Klaus Rüdiger, sich von den politischen Institutionen fernzuhalten, sprich: nicht mit eigenen Kandidaten zu Wahlen anzutreten. Der durchsichtige Vorwand: Die Menschen haben genug von Parteien.
Dabei hätte man mit guter Basisarbeit und einer Liste von Unabhängigen durchaus Wahlchancen gehabt. Immerhin lag das kritische Potenzial der Schweizer Bevölkerung damals bei 15 bis 20 Prozent. Die etablierten Parteien, vor allem die SVP, blickten mit Sorge auf die Verfassungsfreunde, die einen nie dagewesenen Einstieg in die Politik hinlegten und mehr als doppelt so viele Mitglieder hatten wie die Grünen.
Was hätte man aus der 60:40-Niederlage vom Juni 2021 lernen können?
Dass der Bundesrat im Verbund mit den Medien und dem Parlament das Spiel von A bis Z beherrscht und dass man gegen ihn nur ins Feld ziehen soll, wenn mindestens eine ehrenwerte Niederlage zu erzielen ist. Will heissen: Die Herzen der Bevölkerung gewinnen.
Nichtsdestotrotz wurde kurz nach der Abstimmung das bereits früher vom Netzwerk Impfentscheid angekündigte Referendum gegen eine erste Änderung des Covid-19-Gesetzes mit Nachdruck betrieben und höchst erfolgreich abgeschlossen. Die 187’000 Unterschriften, die im Juli 2021 eingereicht wurden – allerdings ohne Beglaubigung – sind vermutlich Rekord in der Schweizer Referendumsgeschichte.
Wie blind Erfolg machen kann, zeigte dann die zweite Abstimmung zum Covid-19-Gesetz vom November 2021. Obwohl damals bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung geimpft war – den Behörden also vertraute – griff die Kampagne die Regierungspolitik frontal und aggressiv an.
Dabei hätte man die Geimpften mit einer versöhnlichen Kampagne ins Boot holen müssen – wenigstens mit einer alternativen Kampagne. Davon wollten die Verfassungsfreunde mit einem internen Demokratieproblem – eine bereits verabschiedete Statutenreform musste wegen Missachtung der Rechte der Mitglieder zurückgezogen werden – aber nichts wissen.
So kam es wie es kommen musste: Die Geimpften gewannen die Abstimmung gegen die Ungeimpften mit 62 zu 38 Prozent. Dabei wurde förmlich bis zum Umfallen mit Plakaten und Flyern gekämpft.
Was hätte man aus der Niederlage lernen müssen? Eine Abstimmung gewinnt man nur mit der Bevölkerung. Und: Wer die Revanche verliert, muss ich zurückziehen, die Kräfte sammeln und sich ein neues Feld für eine nächste Kampagne suchen.
Aber das Gegenteil geschah: Anstatt sich zu sammeln, begann die Bewegung, sich zu zerfleischen. Die Führungsriege der Verfassungsfreunde trat geschlossen zurück. Diadochenkämpfe um die Nachfolge als führende Kraft der Bewegung setzten ein, die bis heute anhalten.
Im Herbst 2022 dann der Versuch von neuen Kräften, die Führung an sich zu reissen und es diesmal besser zu machen: Der lautstarke Nicolas Rimoldi kündigte mit seiner Jugendbewegung «mass-voll» das Referendum gegen die Verlängerung des Covid-19-Gesetzes an.
Die Unterschriftensammlung gelang mit Ach und Krach und unter Mithilfe der Verfassungsfreunde und 22 weiteren Organisationen. Das Fussvolk hatte genug von der harten Strassenarbeit und war schwer zu motivieren – zur Unterschriftensammlung und später zum Abstimmungskampf.
Die Kampagne war durchaus versöhnlich und hätte eigentlich die Bevölkerungsmehrheit überzeugen müssen: Das unnötige Covid-19-Gesetz braucht es nicht. Überwinden wir die Spaltung!
Aber wieder folgen knapp 62 Prozent der Stimmbürger dem Bundesrat, der sich in dieser Abstimmung vornehm zurückhielt. Die Geimpften wollen sich offenbar nicht sagen lassen, dass ihre Entscheidung, sich stechen zu lassen, unvorsichtig war. Viele Opfer von Nebenwirkungen werden zudem als Long-Covid-Patienten behandelt und damit im alten Narrativ gehalten.
Was können wir aus dieser erneuten Niederlage lernen? Die Lektion ist hart: Wir sind als kritisches Kollektiv nicht lernfähig. Wir wiederholen dieselben Fehler und schwächen uns bis zur Bedeutungslosigkeit – ein schmerzhafter Niedergang einer einst machtvollen Bewegung.
Beispielhaft für die unterschiedliche Wahrnehmung derselben Wirklichkeit sind die gegensätzlichen Aussagen von Nicolas Rimoldi, Präsident von «mass-voll» und Roland Bühlmann, Präsident der Verfassungsfreunde zur Zusammenarbeit im Referendumskomitee. Während Bühlmann in diesem Video durchaus kritisch auf die wachsenden Spannungen eingeht, findet Rimoldi, die Zusammenarbeit hätte bestens geklappt.
Warum sind wir als Kollektiv nicht in der Lage, aus Fehlern zu lernen? Vermutlich sind wir immer noch geblendet von der Kraft des Widerstands, der sich in den ersten Phasen der Pandemie entwickelte. Mir kommt es vor, als befinde sich die «Bürgerrechtsbewegung» noch im Trotzalter.
Es ist eben leichter, gegen einen Feind gemeinsame Sache zu machen als sich für ein konstruktives Ziel zusammenzutun. Eine Vision für die Zukunft kann nicht aus der simplen Forderung «zurück zur Freiheit» bestehen.
Für ein gemeinsames Ziel muss man sich zusammensetzen, in den Dialog kommen und eine Synthese aus den unterschiedlichen Haltungen und Positionen gewinnen. Das wurde bis jetzt verpasst.
Das bedauerlichste Opfer der Uneinigkeit ist die sog. «Giacometti-Initiative» des politischen Einzelgängers Alexandre Zindel. In bestechender Einfachheit verlangt sie, «Volk und Stände entscheiden über dringlich erklärte Bundesgesetze». Mit dem obligatorischen Referendum innert 100 Tagen nach Erlass eines dringlichen Bundesgesetzes würde sie dem Notrechtsregime eine wirksame direktdemokratische Hürde setzen.
Im Juli läuft die Sammelfrist ab; der Stand der Unterschriften liegt bei etwas mehr als 50’000. Wenn sich nicht noch ein «Bürgerrechtswunder» ereignet, wird die Initiative scheitern und mit ihr das hoffnungsvollste politische Projekt der letzten drei Jahre.
Eine Möglichkeit, gemeinsam etwas zu erreichen, bieten nun die anstehenden nationalen Wahlen. Davon ist bis jetzt nicht viel zu sehen. Im Gegenteil: Die Animositäten in den geschlossenen Foren gehen schon so weit, dass sie bald öffentlich werden. Der Hickhack lässt keinen Erfolg im Herbst erwarten.
Wenn es darum geht, gemeinsame Ziele zu entwickeln, sind nicht die Kämpfer und Lautsprecher gefragt, die bis jetzt den Widerstand prägten. Jetzt braucht es die sanfteren, verbindenden Kräfte, die zuhören können und Brücken bauen.
Nur: Wo sind sie?
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