Die Lehre vom kleinen Unterschied

Tauchen auf dem Etikett von sogenannten Naturfarben im Kleingedruckten Begriffe wie Acryl, Isoaliphate, Isoparaffine oder Polyurethan auf, hat der Hersteller mit erdölbasierter Chemie nachgeholfen. Ganz anders bei Auro, versichert Fachmann Werner Aeschlimann.


Das erste Wunder erlebte Gipser Aeschlimann vor Jahrzehnten mit dem Lehm. Er besuchte damals mit Hausfrauen und Lehrern einen privaten Nachmittagskurs zum Thema. Während die andern zur praktischen Übung zentimeterweise Lehm auftrugen, griff Werner zur grossen Gleitkelle und zog wie als Gipser gewohnt richtig auf. «Ich spürte sofort, wie sich das gut anfühlt. Und der Lehm hielt so gigantisch, ohne Bindemittel, aber mit natürlichem Saugeffekt.» Das habe er ganz und gar nicht erwartet.

Was folgte, war eine erste Erfolgsgeschichte. Aeschlimann gründete in Bümpliz das Zentrum für Lehmbau. Er baute in der ganzen Schweiz. Er diversifizierte nach einem Grossbrand in seinen Geschäftsräumen in die Produktion von eigenen Lehmprodukten und eröffnete 2008 einen Markt für ökologische Baustoffe am Zentweg in Bern. Dort bietet er neben den eigenen Lehmprodukten auch Wandheizungen und seit drei Jahren ein grosses Sortiment an Naturfarben an.


2009 mutierte Werner Aeschlimann vom einfachen Naturfarben-Händler zum Schweizer Generalimporteur. «Ich reiste eher skeptisch in Braunschweig an. Ich hatte einen Heidenrespekt vor der Komplexität und Breite des Themas. Dann spürte ich wie damals beim Lehm das Leuchten in meinen Augen.» Für soviel emotionale Regung hatte Auro-Firmengründer Hermann Fischer mit einem Grünling gesorgt. Er stellte ihn mit den Worten «Das hier ist ein Chemiewerk» auf den Tisch: «In dieser Pflanze laufen rund 800 verschiedene chemische Prozesse ab.» Aus dem Stängel wird Zellulose gewonnen, aus den Blättern Farbstoffe, Wachse von den Blattoberflächen, Fette und Eiweisse aus den Früchten und Duftstoffe aus Blüten.


Anders als viele andere Hersteller und Anbieter von sogenannten Naturfarben leiste man sich bei Auro in Braunschweig nicht den kleinsten Kompromiss: «Alle Rohstoffe der Farben und Lacke stammen aus nachwachsenden und mineralischen Quellen. Ich finde heute für meine Kunden und Kundinnen im breiten Sortiment für alle Einsätze eine gute Lösung.» Werner Aeschlimann rät dazu, sich immer das Kleingedruckte auf den Etiketten herkömmlicher Naturfarben ganz genau anzusehen. Speziell auch dann, wenn mit der Wasserlöslichkeit des Produkts geworben wird. Tauchen auf dem Etikett von sogenannten Naturfarben im Kleingedruckten Begriffe wie Acryl, Isoaliphate oder Polyurethan auf, hat der Hersteller mit erdölbasierter Chemie nachgeholfen.


Noch arbeiten die wenigsten Handwerker im Land mit reinen Naturfarben. Aeschlimanns Kunden sind die Bauherren selbst. Den Handwerkern versucht er mit viel Geduld immer und immer wieder auf die Sprünge zu helfen. «Wir investieren viel in die Beratung und psychologische Begleitung direkt auf der Baustelle.» Das habe übrigens nichts mit Ökogroove zu tun, das sei modernstes Bauen. Hier werde modernste Technik mit den Mechanismen in der Natur verbunden: «Wir müssen lernen, mit diesen Geschenken optimal umzugehen. Es geht um die Wirkungsweise der Natur in unseren Häusern, in unserem engsten Lebensraum.» Das gelinge nur dank einem neuen, ganzheitlichen Denken. Man müsse sich und den andern immer wieder Fragen stellen: Was streiche ich da eigentlich? Auf was muss ich bei bestimmten Grundlagen achten? Will ich mir Petrochemie an den Schlafzimmerwänden noch leisten? Und da ist es wieder: das Alpenglühen in Werner Aeschlimanns Augen.


Apropos Nachhaltigkeit aus der Natur: Als Pionier und Erfinder der «Holz 100 Häuser – Holzbau in seiner ursprünglichsten Form» ist Erwin Thoma weit über die Grenzen der Schweiz als Erfinder des modernen Vollholzhauses bekannt. Thoma stellt am 1. 2. 2013 um 19 Uhr im Öko Bau Markt am Zentweg 17 in Bern sein neues Buch «Die geheime Sprache der Bäume  – und wie die Wissenschaft sie entschlüsselt» vor. Reservationen sind auf [email protected] möglich.


Mehr zum Thema im Schwerpunktheheft «Farbe bekennen» (Zeitpunkt 123, Januar/Februar 2013. Hier bestellen: http://www.zeitpunkt.ch/abonnements/schnupperabo.html
10. Januar 2013
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