«Es braucht gemeinsam den Mut, mit den falschen Dingen radikal aufzuhören»
Wir haben zum Thema Klima gefragt, und Leser und Leserinnen haben geantwortet. Wir haben einige Antworten ausgewählt – und bringen sie über mehrere Tage verteilt – teilweise auch gekürzt. Die Klimadebatte in Fahrt bringen / 17
Die Fragen lauteten:
- Was ist für Sie die hauptsächliche Ursache für den Klimawandel?
- Wie kann man die Klimadebatte wieder in Fahrt bringen?
- Was wären aus Ihrer Sicht geeignete Massnahmen?
Bitte sagen bzw. schreiben Sie uns auch Ihre Meinung - gerne kurz und prägnant an: [email protected]
Bei aller Souveränität, die ich für mich individuell und persönlich zu erreichen vermag, und die ich für mich und mit andern gemeinsam glücklich halten kann, habe ich immer mehr das Gefühl, in einer Welt zu leben, wo vieles immer mehr aus dem Lot eiert, aus dem Ruder läuft und ausser Rand und Band gerät: Und dies sowohl real erfahrbar, als auch virtuell vermittelt.
Vieles was mir in Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft begegnet, kommt mir vor wie in der Geschichte mit dem Betrunkenen, die Paul Watzlawick 1983 in seinem Buch «Anleitung zum Unglücklichsein» erzählt hat.
Diese Geschichte geht so: Unter einer Strassenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: «Meinen Schlüssel.» Nun suchen beide. Schliesslich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet: «Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.»
Frei nach Watzlawick lässt sich beispielsweise die Wahrheit der Milliarden, die der Bank Credit Suisse (CS) im Dunkel der Bankenwelt mysteriös und unerklärbar überraschend abhanden gekommen sein sollen, nicht im Lichte von Lügengeschichten finden.
So wird erzählt, dieser Kollaps wäre ein unglücklicher Zufall: Sozusagen das Ergebnis von Dummen, die nicht verstehen, wie das Banken- und Geldgeschäft weltweit funktioniert. Ist aber nicht vielleicht der Zusammenbruch der CS eine Inszenierung von hochintelligent Gemeinen, die wissen, wie sie auf Kosten der Allgemeinheit zu noch mehr Reichtum kommen können?
Dass wahrscheinlich mehr als die halbe Welt solchen Lügengeschichten vertraut, dürfte damit zu tun haben, dass es extrem viel Angstfreiheit und Mut dafür braucht, nicht mehr an das Falsche zu glauben.
Wie viel muss noch geschehen, bis sich eine wirksame Mehrheit der Menschen von den Mächtigen und den Reichen nicht mehr dazu verführen lässt, die Wahrheit im Lichte von Lügengeschichten zu suchen?
Wie viele Menschen scheinen auch die Mehrheiten von Medien, Politik und Wirtschaft Angst davor zu haben, dem Taifun der Wahrheit ins Auge zu schauen. Sie verspielen damit ihre Glaubwürdigkeit und provozieren eine Vertrauenskrise. Als Treiber solcher Vertrauenskrisen sehe ich auch eine kollektiv organisierte Rücksichts- und Verantwortungslosigkeit, wo vor allem Mächtige und Reiche tun und lassen können, was und wie sie es wollen. Hauptsache: Es macht Spass und bringt noch mehr Geld.
Wie lange wohl können insbesondere die Politikerinnen und Politiker in ihrer Mehrheit und aller Parteien von Links bis Rechts noch so tun, als ob sie bei wahrhaftig relevanten Fragen noch etwas grundsätzlich Entscheidendes, und für alle günstig Wirksames zu sagen hätten und tun könnten?
Was mich insbesondere bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus der alten Politik lange viel Ohnmacht und Wut hat fühlen lassen. Ich habe intensiv gelernt, solches nicht (mehr) persönlich zu nehmen: Politisch missfällt es mir nach wir vor, weil ich es perspektiven- und verantwortungslos finde!
Und wie steht es mit der Vertrauenswürdigkeit und der Wahrheit der Wissenschaft? Auch Professorinnen oder Professoren, die als Beraterinnen oder Berater von Politikerinnen und Politikern «amten», sind in ihren Abhängigkeiten schlicht und einfach Teile der Probleme und als solche nicht wirklich objektiv ... und dies auch dann nicht, wenn sie dies — wie die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler — von sich glauben und es viele von ihnen meinen.
Zudem sei noch vermerkt: Was Beratungsfirmen und Hochschulen, die als sogenannt «politisch korrekt» gelten, an und mit Politikerinnen und Politikern verdienen, die zwar mehrheits- aber eigentlich unfähig sind, geht auf keine Kuhhaut.
Die auf quantitatives Wachstum getrimmten Systeme, wie sie beispielsweise bei der Arbeit, der Bildung, der Gesellschaft, der Kommunikation und den Medien, der Politik, beim Verkehr, bei der Wirtschaft oder den Wissenschaften im Rahmen der gängigen, autoritär-hierarchisch-militärisch sowie industriell-technokratisch geprägten Zivilisation bestehen, scheinen mir grundsätzlich ganz und gar nicht geeignet für die Veränderungen, die es für eine enkeltaugliche Menschheit braucht.
Einer meiner Schlüsselsätze dazu lautet: «Damit bei einem maroden System eine für alle günstig wirksame Veränderung erreicht werden kann, braucht es gemeinsam den Mut, mit den falschen Dingen radikal aufzuhören. Erst dann wird Raum frei für grundlegend und wahrhaftig zukunftsfähig Neues.»
Das gilt auch für das Klima. Das Klima kommt, wie es die Natur will, und nicht wie es die Menschen wollen oder nicht wollen. Sie können das Klima nicht wie auch immer grossartig technokratisch retten, hingegen sehr viel tun, um die Herausforderungen zu meistern, die unabdingbar mit den Folgen der Klimaveränderung verbunden sind. Wenn dies gemeinsam und für alle bestmöglich gelingen soll, ist vor allem Frieden eine grundlegende Voraussetzung: Dafür engagiere ich mich als Botschafter für Neue Politik.
Ueli Keller, Bildungs- und Lebensraumkünstler
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