Fernwehbeziehungen
Es gab schon Fernbeziehungen vor dem Internet – nur waren sie etwas komplizierter und haben mich einmal fast ruiniert. Können die heutigen Kommunikationsmittel Distanzen überwinden? Hätten meine Fernbeziehungen in der heutigen Zeit eine Chance gehabt? Eine Spurensuche
Es gab schon Fernbeziehungen vor dem Internet – nur waren sie etwas komplizierter und haben mich einmal fast ruiniert. Können die heutigen Kommunikationsmittel Distanzen überwinden? Hätten meine Fernbeziehungen in der heutigen Zeit eine Chance gehabt? Eine Spurensuche
Alles fing an, als ich mich an einem Fest an der Uni in die geheimnisvoll-introvertierte Sylvia verliebte. Alles passte. Nur: Sie wohnte in Braunschweig. In Prä-ICE-Zeiten dauerte die Reise dortin fast neun Stunden. Ein halbes Jahr lang haben wir abwechslungsweise einmal im Monat die Reise auf uns genommen. Dazwischen schrieben wir uns ellenlange Briefe. Danach gingen wir zusammen in die Ferien. Endlich einmal ein bisschen mehr Zeit. Auf Malta musste ich feststellen: In drei Wochen Zusammensein entdeckt man mehr im Anderen als in 100 verlängerten Wochenenden, an denen mal erst einmal sehnsüchtig über sich herfällt und es einfach gut zusammen haben will. Seither bin ich geheilt von introvertierten Frauen, die zwar interessant sein mögen, mir aber einfach nicht gut tun. Künftig wollte ich es besser machen.
Siobhan trug denn auch das Herz auf der Zunge, war Britin, blond, intelligent und erst noch witzig. Ihre Mutter war irische Kartoffelschmugglerin, ihr Vater Sohn eines Missionars, pensionierter Lehrer und Anhänger der United Reformed Church. Calvinisten sind im Vergleich geradezu liberale Freigeister. Später sollte ihr Vater zu ihr sagen: «It’s not God’s will for you to be with this man.» Sie hörte glücklicherweise (noch) nicht auf ihn. Ich war damals 30, trug langes Haar und war Abenteurer. Die junge Frau, angehende Ärztin, war als Kind mit ihren Eltern durch die Welt getingelt. Siobhan war mein personifiziertes Fernweh. Passend dazu, wie wir uns kennengelernt hatten: im Wüstensand von Eliat. Sie kam gerade aus Ägypten, wo ich gerade hinwollte. In einem billigen Hostel haben wir uns Hals über Kopf ineinander verliebt. Es gab kein Zurück mehr. Wegen mir liess Siobhan ihr Flugticket von Tel Aviv nach London verfallen und zog mit mir weiter. Für mich war es wüstensonnenklar: Wir sind füreinander bestimmt. Nach zwei Monaten Ägypten flog sie dann aber doch zurück in die Heimat und gleich weiter nach Australien, wo sie einen schon vorher geplanten Job antrat. Ich sagte mir: «Diese Trennung ist nur räumlich. Unsere Liebe lässt sich durch solche Details nicht erschüttern.» Klar. Wir schrieben uns lange und sehnsüchtige Briefe. Dann aus heiterem Himmel die briefliche Nachricht: Es sei alles zu kompliziert. Sie wolle nicht mehr. Ein halbes Jahr später stand sie trotzdem vor meiner Tür in Bern. Diesmal bleib sie ein paar Wochen. Dann nahm sie einen Job an in Brighton. Einmal hatte ich eine Telefonrechnung über 500 Franken. Wie bezahlen? Als freier Journalist nagte ich damals am Hungertuch.
Es kam, wie es kommen musste: Siobhan schloss ihr Studium ab, ihr Diplom wurde in der Schweiz nicht anerkannt, und wir mussten uns Gedanken über unsere Zukunft machen. Sie sah diese in Brighton – ich eher weniger, war ich doch gerade daran, mich beruflich zu etablieren. Dann ging plötzlich alles schnell. Am Telefon teilte sie mir mit, dass mit uns Schluss sei, sie habe sich in einen anderen verliebt. Es gelang mir nicht, sie umzustimmen. Und ich stand da und wusste nicht weiter.
Noch einmal habe ich eine Fernbeziehung versucht. In den Ferien bei meinen Verwandten in London lernte ich Susan kennen. Ich bestand darauf, dass wir das Zusammensein subito ausprobieren sollten. Sie nahm Urlaub und zog als Touristin drei Monate zu mir – Personenfreizügigkeit war damals noch ein Fremdwort. Aber es passte auch diesmal nicht.
In der heutigen Zeit hätten wir, so denke ich, früher herausgefunden, ob wir wirklich zusammenpassen. Mit Skype beispielsweise lässt sich das Gegenüber real erleben – aber eben nur beinahe. Rückblickend denke ich, dass mich auch das Fremde und das Reisen bei meinen Fernbeziehungen reizte und faszinierte - keine Voraussetzung für eine nachhaltige Beziehung, denn irgendwann wird auch das Fremde zum Alltag.
Was ich daraus lernte? Ich sagte mir definitiv: Go local, Philippe. Meine heutige Frau habe ich denn auch vor acht Jahren unweit meiner Wohnung kennengelernt.
Nachsatz: Mit Siobhan bin ich heute auf Facebook «befreundet». Mit Sylvia hatte ich sporadischen Email-Kontakt. Sie starb vor einem Jahr. Zu Susan, der Technologie-Verächterin habe ich den Kontakt verloren.
Mehr zum Thema «nah – fern» im Zeitpunkt 144
Siobhan trug denn auch das Herz auf der Zunge, war Britin, blond, intelligent und erst noch witzig. Ihre Mutter war irische Kartoffelschmugglerin, ihr Vater Sohn eines Missionars, pensionierter Lehrer und Anhänger der United Reformed Church. Calvinisten sind im Vergleich geradezu liberale Freigeister. Später sollte ihr Vater zu ihr sagen: «It’s not God’s will for you to be with this man.» Sie hörte glücklicherweise (noch) nicht auf ihn. Ich war damals 30, trug langes Haar und war Abenteurer. Die junge Frau, angehende Ärztin, war als Kind mit ihren Eltern durch die Welt getingelt. Siobhan war mein personifiziertes Fernweh. Passend dazu, wie wir uns kennengelernt hatten: im Wüstensand von Eliat. Sie kam gerade aus Ägypten, wo ich gerade hinwollte. In einem billigen Hostel haben wir uns Hals über Kopf ineinander verliebt. Es gab kein Zurück mehr. Wegen mir liess Siobhan ihr Flugticket von Tel Aviv nach London verfallen und zog mit mir weiter. Für mich war es wüstensonnenklar: Wir sind füreinander bestimmt. Nach zwei Monaten Ägypten flog sie dann aber doch zurück in die Heimat und gleich weiter nach Australien, wo sie einen schon vorher geplanten Job antrat. Ich sagte mir: «Diese Trennung ist nur räumlich. Unsere Liebe lässt sich durch solche Details nicht erschüttern.» Klar. Wir schrieben uns lange und sehnsüchtige Briefe. Dann aus heiterem Himmel die briefliche Nachricht: Es sei alles zu kompliziert. Sie wolle nicht mehr. Ein halbes Jahr später stand sie trotzdem vor meiner Tür in Bern. Diesmal bleib sie ein paar Wochen. Dann nahm sie einen Job an in Brighton. Einmal hatte ich eine Telefonrechnung über 500 Franken. Wie bezahlen? Als freier Journalist nagte ich damals am Hungertuch.
Es kam, wie es kommen musste: Siobhan schloss ihr Studium ab, ihr Diplom wurde in der Schweiz nicht anerkannt, und wir mussten uns Gedanken über unsere Zukunft machen. Sie sah diese in Brighton – ich eher weniger, war ich doch gerade daran, mich beruflich zu etablieren. Dann ging plötzlich alles schnell. Am Telefon teilte sie mir mit, dass mit uns Schluss sei, sie habe sich in einen anderen verliebt. Es gelang mir nicht, sie umzustimmen. Und ich stand da und wusste nicht weiter.
Noch einmal habe ich eine Fernbeziehung versucht. In den Ferien bei meinen Verwandten in London lernte ich Susan kennen. Ich bestand darauf, dass wir das Zusammensein subito ausprobieren sollten. Sie nahm Urlaub und zog als Touristin drei Monate zu mir – Personenfreizügigkeit war damals noch ein Fremdwort. Aber es passte auch diesmal nicht.
In der heutigen Zeit hätten wir, so denke ich, früher herausgefunden, ob wir wirklich zusammenpassen. Mit Skype beispielsweise lässt sich das Gegenüber real erleben – aber eben nur beinahe. Rückblickend denke ich, dass mich auch das Fremde und das Reisen bei meinen Fernbeziehungen reizte und faszinierte - keine Voraussetzung für eine nachhaltige Beziehung, denn irgendwann wird auch das Fremde zum Alltag.
Was ich daraus lernte? Ich sagte mir definitiv: Go local, Philippe. Meine heutige Frau habe ich denn auch vor acht Jahren unweit meiner Wohnung kennengelernt.
Nachsatz: Mit Siobhan bin ich heute auf Facebook «befreundet». Mit Sylvia hatte ich sporadischen Email-Kontakt. Sie starb vor einem Jahr. Zu Susan, der Technologie-Verächterin habe ich den Kontakt verloren.
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27. Juli 2016
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