«Ich brauche mehr action!» – Erlebnis der ersten Mondlandung
Als ich mich in die Welt verliebte - Chronik einer Leidenschaft # 13
Nach den Tagen in Swinging London reisten wir an die englische Südküste weiter, wo wir in einem biederen kleinen Hotel in Seaton Badeferien verbrachten. Während ich mich in der Metropole von meinen Eltern und meinem Bruder immer wieder getrennt hatte, um die Schauplätze der Popszene auf eigene Faust zu erkunden, gab es in einem Badeort nichts, wofür ich mich hätte begeistern können. Von Tag zu Tag wurde ich unzufriedener.
Meine einzige Zuflucht waren die Bücher, die ich in meinem Gepäck hatte – und mein Tagebuch, das ich inzwischen immer ernsthafter führte. Es erlaubte mir, meine Einsichten und Erfahrungen ebenso wie meine intimsten Gefühle in Worte zu fassen. Auf diese Weise half ich mir selbst. Indem ich alles, was ich erlebte und fühlte, durch das Schreiben verarbeiten konnte, war ich meinem Befinden weniger ausgeliefert. Auch hier in England. Das Tagebuch ermöglichte mir, meiner Unzufriedenheit Luft zu machen.
«18. Juli. Diese Ferien sind auf die Dauer ein Leerlauf. Die Zeit vergeht völlig nutzlos: Am Morgen das reichliche Frühstück, danach, wenn’s schön ist, zum Strand, dann irgendwo Mittagessen, zurück ins Hotel, den Rest des Nachmittags Lesen und Schreiben, dann wieder essen. Die Erwachsenen tanzen manchmal noch in der Hotelhalle, doch weil der einzige Fernseher ebenfalls in der Lobby steht, bleibt mir nichts anderes übrig, als noch einmal lesen oder dann schlafen zu gehen. Und bei schlechtem Wetter wird irgendwohin gewandert und in einem Wirtshaus Geld ausgegeben. Ich habe nach einer Woche genug. Ich brauche mehr action.»
Zwei Tage später dann besserte sich meine Laune:
«20. Juli. Immerhin sind jetzt neue englische Gäste gekommen – unter ihnen auch eine hübsche 14jährige. Endlich jemand in meinem Alter. Und um 21:12 Uhr heute Abend landen zwei amerikanische Astronauten auf dem Mond. Ich bin gespannt!»
Schon Wochen vorher hatten uns Zeitungen, Radio und Fernsehen auf das Ereignis der Mondlandung eingestimmt, und auch in unserem kleinen Hotel stieg die Erwartung. Jetzt nahte die grosse Stunde, welche die Menschheit in Spannung und Ehrfurcht vereinigen würde. Anderntags schrieb ich ins Tagebuch:
«21. Juli. Die ersten Menschen sind auf dem Mond gelandet! Als ich aber beobachtete, wie meine Eltern und die anderen erwachsenen Gäste im Hotel darauf reagierten, war mein Eindruck, das Ereignis werde einfach so hingenommen. Alle hatten sich zwar vor dem Fernsehgerät versammelt, doch auch mir selbst pochte das Herz nicht, als die Astronauten auf den Mondboden traten. Ich hatte mir diesen Augenblick irgendwie aussergewöhnlicher vorgestellt: Alles fiebert mit, alles jubelt, wenn der entscheidende Schritt getan ist. Seit Jules Verne träumt doch die Menschheit davon, unseren Erdtrabanten, den wir täglich sehen, zu erreichen. Jetzt ist es geschehen – doch irgendwie war das Ganze auch deshalb verpatzt, weil das Fernsehen nur eine Aufzeichnung zeigte. Die Astronauten hatten den Mond schon viele Stunden vorher betreten.»
Am folgenden Abend, während Apollo 11 plangemäss zur Erde zurückkehrte, ging ich mit der 14jährigen Engländerin, die Margaret hiess, in Seaton ins Kino. Für sie war es das erste Mal, dass sie mit einem Jungen das Kino besuchte – was ich im Tagebuch nicht ohne Stolz vermerkte. «Auf dem Heimweg konnten wir uns gut unterhalten», notierte ich weiter. Doch mehr gab es offenbar nicht zu sagen. Die Ferien mit meinen Eltern verhalfen mir nicht einmal zu einer ersten Romanze. Um so nüchterner war die Bilanz, die ich zog:
«Das Fazit dieser Ferien: positiv. Aber es waren die letzten gemeinsamen Ferien mit der Familie. Unsere Interessen sind zu verschieden.»
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