Jeder fünfte Deutsche ist «hochreligiös»

In der deutschen Bevölkerung sind Glauben und Religiosität noch weit stärker verbreitet, als dies zumeist vermutet wird. So können rund 70 Prozent der Menschen hierzulande als religiös eingestuft werden und nahezu jeder Fünfte sogar als hochreligiös. Lediglich 28 Prozent weisen in ihrer persönlichen Identität keinerlei religiöse Dimensionen auf. Auch im zeitlichen Trend kann keine anhaltende Säkularisierung breiter Bevölkerungsschichten festgestellt werden. Gleichzeitig herrscht in Deutschland eine sehr bunte Vielfalt an religiösen Einstellungen, Bindungen und Identitäten, die auch zwischen Geschlechtern, Altersgruppen und der geographischen Herkunft große Unterschiede aufweist. Dies ist das Fazit des neuen Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung, die bislang detaillierteste weltweite repräsentative Erhebung zu diesem Thema.

Danach gehören in Deutschland über 70 Prozent der Bevölkerung einer der zahlreichen Religionsgemeinschaften an, jedes sechste Kirchenmitglied ist allerdings nicht religiös. Umgekehrt findet sich unter den Personen ohne konfessionelle Bindung mit 33 Prozent ein hoher Anteil religiöser Menschen. Und selbst unter den dezidiert Nichtreligiösen glauben immerhin noch 12 Prozent an die Existenz eines Gottes, ein göttliches Prinzip oder etwa die Unsterblichkeit der Seele. Überraschend groß ist auch die Zahl hochreligiöser Menschen in Deutschland. Nach den differenzierten Kriterien dieser Erhebung haben danach für etwa jeden fünften Bundesbürger Religion und Glaube einen enorm hohen Stellenwert für seine persönliche Identität und Lebensgestaltung.

Religion spielt in der Generation der unter 30-Jährigen im Vergleich zu anderen Lebensbereichen wie Partnerschaft, Arbeitswelt oder Politik nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings kann auch unter den jungen Deutschen nur jeder Dritte eindeutig zu den nichtreligiösen Zeitgenossen gerechnet werden. 52 Prozent der jungen Erwachsenen sind dagegen klar religiöse Menschen und weitere 14 Prozent sogar hochreligiös.

Als eine der wesentlichsten Erkenntnisse folgert Dr. Martin Rieger, Projektleiter der Bertelsmann Stiftung: "Wir können ein langfristiges Aussterben der Religion in Deutschland, wie es immer wieder behauptet wird, definitiv nicht bestätigen. Aber ob es umgekehrt auch eine Renaissance des Glaubens z.B. in der Jugend gibt, können wir ebenfalls nicht sagen. Das wird erst eine Wiederholung des Religionsmonitors zeigen. Fest steht, es gibt eine große Stabilität des religiösen Bewusstseins in breiten Bevölkerungsschichten, das aber sehr vielfältig ist."

Ihre Einstellung hat für die gläubigen Deutschen eine hohe Alltagsrelevanz, vor allem im Umgang mit einschneidenden Lebensereignissen wie Geburt, Hochzeit oder Tod, und für die Forscher überraschenderweise auch beim Umgang mit der Natur. Hier beschreiben 65 Prozent der Religiösen einen klaren oder sogar sehr starken Einfluss ihres Glaubens. Deutlich weniger Einfluss hat er dagegen auf die Gestaltung der Freizeit und Arbeitswelt, ihre politischen Überzeugungen und am wenigsten auf den Bereich der Sexualität.

Hohe Religiosität scheint darüber hinaus eine große zivilgesellschaftliche Ressource zu sein. Befragt, ob sie ein unbezahltes Ehrenamt ausüben, erklären dies 19 Prozent der Nichtreligiösen und 26 Prozent der durchschnittlich Religiösen. Von den hochreligiösen Menschen widmet sich mit 43 Prozent nahezu jeder Zweite einer freiwilligen, unbezahlten Aufgabe.

Die Befragung der Bundesbürger war eingebettet in eine internationale Erhebung unter 21.000 Menschen in 21 Staaten und unter Angehörigen aller Hochreligionen. Danach entspricht die Haltung der Deutschen einem westeuropäischen Trend. Deutlich mehr religiöse Menschen als hierzulande finden sich danach durchschnittlich in der Schweiz, in Italien oder Polen, weniger dagegen in Frankreich und Großbritannien. Europäer unterscheiden sich aber fundamental von US-Amerikanern. Dort können 89 Prozent der Befragten als religiös eingestuft werden, unter ihnen sogar 62 Prozent als hochreligiös. Zu den religiösesten Ländern der Welt gehören im Rahmen dieser Erhebung Nigeria, Brasilien, Indien und Marokko. Hier konnte der internationale Teil des Religionsmonitors über 96 Prozent Gläubige identifizieren.

Online-Religionsmonitor im Internet: Die international durchgeführten Erhebungen finden eine fortlaufende Ergänzung im Internet. In der Online-Befragung www.religionsmonitor.com kann sich der User sein individuelles Religiositätsprofil erstellen lassen und mit dem Durchschnittswert in seinem Land vergleichen.

Der Religionsmonitor ist ein neues, interdisziplinäres und interreligiöses Projekt der Bertelsmann Stiftung. Anhand von über 100 Befragungsitems wurden dazu in einem ersten Schritt im Sommer dieses Jahres über 21.000 Personen in 20 Ländern befragt. Untersucht wurden insgesamt sechs Kerndimensionen von Religion und Glauben wie religiöse Überzeugungen, Alltagserfahrungen, öffentliche und private Praxis oder die allgemeine Alltagsrelevanz von Religion. Darüber hinaus werden die Ergebnisse in einem Zentralitätsindex verdichtet mit einer Zuordnung nach Hochreligiösen, Religiösen und Nichtreligiösen. Aus dem gewonnenen Datenmaterial können umfangreiche Befunde über die Bedeutung von Religiosität für die Individuen und ihre Lebensbereiche gewonnen und Aussagen über gesellschaftliche Dynamiken getroffen werden. Zudem enthalten die Ergebnisse wichtige Informationen über die verschiedenen Religionen. Der Religionsmonitor dient dabei u.a. dem Ziel, durch wissenschaftliche Erkenntnisse den Dialog zwischen den Religionen nachhaltig zu unterstützen.


Weitere Informationen.
www.bertelsmann-stiftung.de
04. Januar 2008
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