Jetzt geht auch den Kulturfunktionären die Zensur im Literaturbetrieb zu weit

Ein starkes Zeichen für künstlerische Freiheit und gegen Wokeness: Bettina Spoerri legt ihr Amt in der Literaturkommission beider Basel nieder. Diese hätte Autor Claude Sulzer zum Wort Zigeuner verhören wollen.

Möchte nicht als «antiwoke» bezeichnet werden: Bettina Spoerri (Bild: Nik Spoerri)

Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass Wokeness staatlich verordnet wird, dann ist die Causa Claude Sulzer ein bitteres Beispiel dafür. Wokeness steht für einen Überfokus auf vermeintlich diskrimierende Gesten und Worte - unter Preisgabe sämtlicher historischer oder sozialer Kontexte. Beim mehrfach ausgezeichneten Autor Claude Sulzer hat das Basler Amt für Kultur nun den Überfokus auf das Wort Zigeuner gelegt.

Der Basler Autor ersuchte um einen Förderbeitrag für sein neuestes, im Entstehen begriffene Werk. Die Antwort des Amtes für Kultur war harsch und woke: Bevor es seine Werkeingabe auf literarische Qualität hin prüfe, müsse der Autor rechtfertigen, wieso er darin das Wort Zigeuner verwende.

Claude Sulzer zog darauf sein Gesuch um einen Werkbeitrag für das Buchprojekt «Genienovelle» zurück und machte das Vorgehen des Amtes publik

Bundesverfassung, Art. 21: Kunstfreiheit. Die Freiheit der Kunst ist gewährleistet.

Daraufhin trat die Zürcher Literaturwissenschaftlerin Bettina Spoerri aus Protest aus dem Fachausschuss Literatur Baselstadt-Baselland. Der Fachausschuss prüft die literarische Qualität der Fördergesuche zuhanden des Kulturamtes.

Ihre Funktion niedergelegt hat Spoerri nicht nur, weil sie, wie in ihrem Facebook-Post vom 16. Juni schrieb, das Vorgehen des Kulturamtes die Kunstfreiheit gefährde. Ebenso entsetzt ist sie, dass die Behörde, «zwar im Namen des Fachausschusses, ohne aber dessen Kenntnis» gehandelt habe.

Im Gegensatz zum Amt hat die Verlegerin, Autorin und Kulturveranstalterin Spoerri erkannt, dass Claude Sulzer das inkriminierte Wort Figuren aus den 60-er und 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts in den Mund gelegt hat. Damals nannte man Zigeuner Zigeuner, nicht Fahrende und auch nicht Sinti oder Roma. So viel zum Überfokus des woken Amtes.

Doch für Political Correctness ist historische Präzision ein überholtes Gut. Auch künstlerische Freiheit wird überwertet, nach diesen Massstäben. Das gilt selbst für tote Autoren. So forderte Kantonsschullehrer Philipp Wampfler jüngst, dass Friedrich Dürrenmatts «Physiker» überarbeitet werden müsse, denn in zwei Regieanweisungen käme das Wort «Neger» vor. Vom Herausreissen aller Werke des Winnetou-Schriftstellers Karl May aus den Bibliotheken soll hier gar nicht erst die Rede sein. 

Weder literaturblinden Kulturämtern noch geschichtsvergessenen Lehrern ist wohl bewusst, dass sie mit ihren Handlungen Menschen, vor allem junge Menschen, manipulieren. Denn durch die Verschleierung des Sprachwandels und das Schaffen von klinisch cleanen Texten verwehren sie ihnen Erkenntnisse über den gewaltigen Mahlstrom aus Hass, Liebe, Gewalt und Macht, der die menschliche Zivilisation, der Sprache und Kultur hervorbringt und verändert. Diesen Zensoren wäre es wohl am liebsten, ihre Schäfchen weideten auf KI-Kunstrasen.

Über all dies hätte ich gerne mit Bettina Spoerri gesprochen und ihr ein Portrait im «Zeitpunkt» gewidmet. Doch meine ehemalige Kommilitonin aus fernen Studienzeiten steht dem «Zeitpunkt» für ein Interview nicht zur Verfügung. Sie wolle sich nicht von «Coronaleugnern» vereinnahmen lassen. Und im Ukrainekonflikt halte sie Putin für den klaren Aggressor. Da gehe sie mit der Meinung der «Zeitpunkt»-Redaktion auch nicht einig. Fünf Minuten sprechen wir miteinander. Ich bedaure die Spaltung, die in der Medienlandschaft zu spüren sei. Sie sehe das nicht so. Keine Spaltung? Und doch «pfui Zeitpunkt»?

Wie Bettina Spoerri im selben Facebook-Post schreibt, wird sie für ihre Protestaktion «zu unrecht» als antiwoke und reaktionär bezeichnet. Genau hier liegt der Hase begraben, fängt beziehungsweise die Spaltung an. Wer sich auch nur ein bisschen aus der Deckung wagt und wahlweise gegen Gendersternchen, Putinbashing, CO2-Verabsolutierung oder eben Wortverboten argumentiert, dem weht ein scharfer Wind entgegen. Reaktionär, rechts-rechts und Nazi sind die Schimpfwörter, die Mutige zu gewärtigen haben. Sie lassen viele verschämt verstummen.

Und wie die Welt vor dem Hintergrund der Coronakrise (Geimpfte - Ungeimpfte) und des Ukrainekonflikts (verbrecherischer Putin – unbescholtener Selensky) in Gut und Böse eingeteilt wird, so geht es auch der Medienlandschaft. Hier die «objektiven» Konzernmedien, dort die «rechten» Alternativen Medien. 

Welche propagandistische Macht die Konzernmedien haben, lässt sich sehr gut am Tages-Anzeiger-Artikel zur Causa Claude Sulzer ablesen. Der gleiche Artikel von Julia Konstantinidis erschien in mindestens fünf weiteren grossen Tageszeitungen. Der Titel «Wie weit darf die staatliche Einflussnahme auf Literatur gehen?» suggeriert, dass der Staat an sich ein Recht auf Zensur hat.

Die linke Wochenzeitung WOZ geht noch weiter und findet nichts dabei, dass Claude Sulzer vor der Literaturkommission antraben muss, um mit ihr um das Wort Zigeuner zu feilschen. Wörtlich: «Hätte man (das Amt und Sulzer) sich nicht in seinem Sinne einigen können, wäre es immer noch früh genug für den kollektiven Aufschrei.» Die linke WOZ-Autorin Karin Hoffsten ist sich wohl zu wenig bewusst, dass Verfassungsgrundsätze wie die künstlerische Freiheit unverhandelbar sind. Bundesverfassung, Art. 21: «Kunstfreiheit. Die Freiheit der Kunst ist gewährleistet.»