Kunst aus Sand und Asche

Glas hat unsere Kultur über Jahrtausende massgeblich geprägt. Die edelsten Tropfen werden daraus getrunken, Innenräume dadurch mit Licht geflutet oder ein Ersatzauge vom Glasbläser täuschend echt angepasst. Droht diesem Kunsthandwerk nun das Ende?

Ihr Markenzeichen sind Unikate: Vasen aus handgezogenen Murrinis von Sandra Fuchs. Foto: zvg

Die Forscher staunten nicht schlecht, als sie unter den Steinen, die Apollo 15 von der Mondmission im Jahre 1971 mitbrachte, einige bunte Glasperlen fanden. Wie später bekannt wurde, handelte es sich um sogenannte Marebasalte, die vor mehr als drei Milliarden Jahren bei Vulkanausbrüchen und Meteoriteneinschlägen entstanden waren. Auch auf der Erde kennen wir Glas in dieser Form: Obsidian. Unsere Vorfahren in der Jungsteinzeit nutzten dieses Material zur Herstellung von Speerspitzen, Messern und Schmuck. Obsidian entsteht bei rascher Abkühlung von Lava und ist meist in schwarzer Farbe zu finden. Die Verarbeitung erfolgt in kaltem Zustand und noch heute wird das Glasgestein zu Schmuck und Accessoires geschliffen und poliert.

Keine Maschine der Welt kann es mit dem Können eines erfahrenen Glasbläsers aufnehmen.

Das erste von Menschen selbst produzierte Glas geht auf die Zeit um 3500 v. Chr. zurück und war vermutlich durch Zufall bei der Keramikherstellung in Ägypten und Mesopotamien entstanden. Damals wurden Keramikgefässe mit einer quarzsandähnlichen Glasur versehen und anschliessend gebrannt. Eine erste Anleitung zum Glasmachen stammt aus dem ehemaligen assyrischen Reich, dem heutigen Irak. In der Bibliothek des um 650 v. Chr. herrschenden Königs Assurbanipal fand man ein Rezept zur Herstellung: «Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen, 5 Teile Kreide und du erhältst Glas.»

«Wäre ich nicht Glasmacher, wäre ich wohl Feuerwehrmann geworden.»
Dieses Rezept hat sich bis heute nicht massgeblich verändert und es bildet auch die Grundlage der Glasskulpturen von Thomas Blank. Der bekannte Künstler zählt zu den letzten vier professionellen Glasbläsern der Schweiz. «Die Hitze und das Feuer haben es mir angetan», erzählt Blank von seinen Anfängen. «Wäre ich nicht Glasmacher, wäre ich wohl Feuerwehrmann geworden.» Heisses Glas zu formen, ist für Blank bis heute das Schönste. Ähnlich ging es wohl auch dem syrischen Glasmacher, der im Jahre 100 v. Chr. erstmals durch ein Rohr in einen flüssigen Glasklumpen blies und so dünnwandige Gläser formte.

Ohne Hitze geht beim ­Glasmachen nichts:
Die Schmelzöfen erreichen Temperaturen bis gegen 1500 Grad.    (Foto: zvg)

Trotzdem ist die offizielle Berufsbezeichnung nicht Glasbläser, wie oftmals angenommen wird, sondern Glasmacher. Sie gilt für all jene Handwerker, die Glasprodukte mit dem Mund blasen oder von Hand und mit Maschinen fertigen. Glasbläser sind hingegen nur jene, die das Glas unmittelbar am offenen Brenner formen – früher an einer Lampe, heute am Feuerofen. «Die Berufsbezeichnung stammt aus dem Mittelalter, als Öllampen zum Erhitzen der Glasstäbe genutzt wurden», erzählt Thomas Blank. «Damit die Flamme heiss genug war, wurde über einen Blasebalg frische Luft zum Feuer geblasen.» Die Blasebalge und Öllampen wurden mittlerweile durch mit Druckluft und Sauerstoff betriebene Öfen verdrängt. «Meine fünf Schmelzöfen erreichten Temperaturen von über 1130 Grad Celsius», sagt Blank. «Es ist fast wie Fondue kochen. Man variiert mit der Hitze, damit es flüssiger oder fester wird.» Das Blasen sei eine hohe Kunst und erfordere sehr viel Übung und Erfahrung. «Keine Maschine der Welt kann es mit dem Können eines erfahrenen Glasbläsers aufnehmen.» So ist jedes Produkt ein Unikat und keines gleicht dem anderen.
Die Wiege der europäischen Glasherstellung liegt in Venedig. Mit der Begründung, dass die vielen Glasöfen einen Stadtbrand auslösen könnten, wurden im Jahre 1295 sämtliche Werkstätten auf die vor Venedig liegende Insel Murano verbannt. Heute nimmt man an, dass die Massnahme vielmehr dazu diente, das strenggehütete Geheimnis der Glasherstellung und im Speziellen das der Färbemethoden zu bewahren. Einem Glasbläser drohte damals bei Verrat die Todesstrafe. «Ich wollte unbedingt dorthin und die tiefsten Geheimnisse des Glasmachens kennenlernen», erzählt Blank über seine Erfahrungen, die er bei einem Murano-Glasbläser gewinnen konnte. «Das ist der Traum jedes Glasmachers.» Schon früher erinnerte das Muranoglas in seiner Reinheit und Durchsichtigkeit an edelste Kristalle, und es gehört bis heute zu den gefragtesten Erzeugnissen des Kunsthandwerks.

Fast wie Fonduekochen: der Glasbläser ­Thomas Blank beim Handwerk. (Foto: zvg)

«Ein Glasmacheratelier in der Schweiz zu eröffnen, grenzt an Irrsinn.»
Bis vor Kurzem besass Thomas Blank noch eine eigene Werkstatt. Doch «ein Glasmacheratelier in der Schweiz zu eröffnen, grenzt an Irrsinn», so Blank. Der Beruf sei sehr kostenintensiv. Das war einer der Gründe, weshalb er sein Atelier in Bern Bümpliz in diesem Jahr schloss. «Die Rechnungen für die Ausstattung sowie die Stromkosten gingen ins Unermessliche, und ich musste neben meinen eigenen Arbeiten immer mehr Fremdaufträge annehmen», begründet Blank seinen Entscheid. «Ich kam an meine Leistungsgrenze und es reichte doch nicht.» Heute arbeitet er immer noch als Glasmacher, aber deutlich weniger. Sein Geld muss er nicht mehr damit verdienen.
Es bleibt zu hoffen, dass das Handwerk in der Schweiz trotzdem noch lange weiterlebt, doch eine geregelte Ausbildung zum Glasmacher fehlt. «Wer das Handwerk erlernen möchte, geht heute ins Ausland oder besucht einen Glasbläserkurs», bedauert Thomas Blank, der selbst in den USA studierte. Ausserdem fehle es in der Schweiz an Möglichkeiten, das Handwerk zu praktizieren. Das will Thomas Blank ändern und ein gemeinnütziges Glascenter realisieren. Dieses soll jungen und interessierten Menschen das Glasmachen näherbringen und ein offener Ort für den Austausch sein. Während solche Modelle in anderen Ländern bereits grosse Erfolge feiern, benötige es in der Schweiz jedoch noch viel Überzeugungsarbeit.    www.bernerdesignstiftung.ch/de/designerseite/thomas-blank/

08. Februar 2018
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