Lenin als Gast in Zürich
Sein Vater holte Lenin nach Zürich, bei seinem Onkel wohnte der grosse Revolutionär. Er selbst diente dem Widerstand gegen Franco als Kurier, machte aber auch in Zürich als Gemeinderat erfolgreich Politik. Die Rede ist von Bruno Kammerer, heute 79 und immer noch als selbständiger Grafiker tätig.
Der Mann trägt den Schalk in den Augen und kann sich noch immer diebisch freuen, wenn ihm in der Stadt ein Coup gelingt. Zum Beispiel bürgerliche Politiker dazu zu bringen, sich für Schweizer einzusetzen, die vor noch nicht so langer Zeit noch als «stalinistische Söldner» bezeichnet wurden. Vor drei Jahren gestaltet Bruno Kammerer mit dem Segen der FDP eine Gedenktafel, die heute am Neumarkt 5 an die Spanienkämpfer gegen die Faschisten Francos erinnert, die sich hier im ehemaligen Arbeiterbildungsverein «Eintracht» versammelten. Bei der Enthüllung verliest Kammerer sogar eine Grussbotschaft von König Juan Carlos.
Bruno Kammerer verfügt über die DNA der Revolution. Sein Urgrossvater war ein deutscher Anarchist, der in die Schweiz floh, sein Grossvater gehörte Ende des 19. Jahrhunderts zu den Grütlianern, den Vorläufern der Sozialdemokraten. Ganz klar, dass auch Bruno Kammerers Vater Jean, Mitglied der sozialistischen Jungburschen, vom Virus des Kommunismus angesteckt ist. Später wird er sogar die kommunistische Partei der Schweiz mitinitiieren. Als ihn Lenin in Bern in seinen Plan einweiht, mit seiner Frau nach Zürich umzuzuziehen, bringt Jean seinen Onkel, den Schuhmachermeister Titus dazu, den beiden zwei Zimmer in seiner Wohnung an der Spiegelgasse 14 zu vermieten. Monatlicher Mietzins: 24 Franken. Lenin hat ab und zu Mühe, das Geld aufzutreiben, bezahlt jedoch immer pünktlich.
In einem Zimmer schlafen die beiden, im anderen arbeitet Lenin bis spät in die Nacht, wenn Krupskaja längst schläft. Jede Nacht bevor er ins Arbeitszimmer geht, gibt er ihr einen Gute-Nacht-Kuss. Der gute Titus hat allerdings keine Ahnung von der politischen Bedeutung seines Gastes.
Lenin war kein leutseliger Mensch. Das weiss Bruno Kammerer von Erzählungen von Onkel Titus und Vater Jean. «Er war ein Vorbild für die Jungen, ein guter Zuhörer, aber auch ein sehr disziplinierter Bürokrat, der die meiste Zeit in der Zentralbibliothek verbrachte», so Kammerer. Lenin ist damals immer wieder in Kontakt mit Bruno Kammerers Vater, dem jungen Kommunisten, mit dem er über die Weltrevolution debattiert. Eines Tages echauffiert sich Jean Kammerer so sehr über die Gräuel des Krieges, dass er gleich ein flammendes Pamphlet gegen den Kriegsdienst verfasst. «Da setzte sich Lenin neben ihn und überzeugte ihn innert fünf Minuten vom Gegenteil. Der bewaffnete Kampf gegen die Kapitalisten sei notwendig. Der Revolutionär diktierte dann meinem Vater ein Manifest für den Kriegsdienst.»
1951 stirbt Titus Kammerer. Einmal hatte ihm die Sowjetregierung angeboten, ihm die ganze von Lenin benutzte Wohnungseinrichtung abzukaufen. Doch der stolze Schumacher hat abgelehnt. So kommt es, dass heute der Schreibtisch mit der Lampe, unter der Lenin seine Pamphlete verfasste, im Besitz von Bruno Kammerer ist und in seinem Atelier im Zürcher «Chreis Cheib» steht.
Es gibt zu tun für einen umtriebigen Linken wie Bruno Kammerer. Deshalb zieht er 1962 nach Spanien. Unter dem Kampfnamen Big Rubio, abgeleitet von Bigote rubio (blonder Schnauz), schmuggelt er Geld und Briefe aus dem demokratischen Frankreich nach Spanien. Glücklicherweise fliegt er nie auf. Es hätten ihm mehrere Jahre Kerker gedroht.
Vier Jahre später ist Bruno Kammerer wieder in Zürich, steigt in die Geschäftsleitung der SP auf und schafft 1970 den Sprung in den Gemeinderat, die Legislative der grössten Schweizer Stadt. Der Mann hat ein Gespür für Polittalente und sagt. «Ich habe Emilie Lieberherr gefördert und Moritz Leuenberger für höhere Aufgaben geschult.» Die Geschichte hat ihm rechtgegeben.
Seine grösste politische Tat in Zürich vollbringt er in den Neunzigerjahren. Als Präsident der gemeinderätlichen Verkehrskommission lobbyiert er so geschickt, dass er schon bald den inoffiziellen Titel des zehnten Stadtrats trägt. Sein Vorgehen gewinnt dabei, wen wunderts, revolutionäre Sprengkraft. Unter Kammerer können sich ausserparlamentarische Wirtschaftsvertreter ebenso wie städtische Beamte und andere Experten zur Verkehrspolitik äussern. Auf diese Weise ringt er dem Parlament den städtischen Verkehrsplan ab, der als «historischer Verkehrskompromiss» in die Geschichte eingeht, der zu einer städtebaulichen Aufwertung Zürichs führt und die Anzahl der Parkplätze plafoniert. Im Jahr 1998 tritt er als Gemeinderat zurück – aber nicht aus der Politik.
Von seinem Selbstverständnis her ist Kammerer vor allem ein guter Grafiker. Zweimal zeichnet ihn die Eidgenossenschaft mit dem »Grossen Preis für Angewandte Kunst» aus. Diese Selbstsicherheit habe ihm erst seine «übrigen Kapriolen» erlaubt, sagt er heute mit einem Schmunzeln.
Der Name Kammerer verpflichtet. So fehlt denn das «Animal Politique» auch nicht an der 100-Jahr-Gedenkfeier der Zimmerwaldner Konferenz im vergangenen September.
Bruno Kammerer verfügt über die DNA der Revolution. Sein Urgrossvater war ein deutscher Anarchist, der in die Schweiz floh, sein Grossvater gehörte Ende des 19. Jahrhunderts zu den Grütlianern, den Vorläufern der Sozialdemokraten. Ganz klar, dass auch Bruno Kammerers Vater Jean, Mitglied der sozialistischen Jungburschen, vom Virus des Kommunismus angesteckt ist. Später wird er sogar die kommunistische Partei der Schweiz mitinitiieren. Als ihn Lenin in Bern in seinen Plan einweiht, mit seiner Frau nach Zürich umzuzuziehen, bringt Jean seinen Onkel, den Schuhmachermeister Titus dazu, den beiden zwei Zimmer in seiner Wohnung an der Spiegelgasse 14 zu vermieten. Monatlicher Mietzins: 24 Franken. Lenin hat ab und zu Mühe, das Geld aufzutreiben, bezahlt jedoch immer pünktlich.
In einem Zimmer schlafen die beiden, im anderen arbeitet Lenin bis spät in die Nacht, wenn Krupskaja längst schläft. Jede Nacht bevor er ins Arbeitszimmer geht, gibt er ihr einen Gute-Nacht-Kuss. Der gute Titus hat allerdings keine Ahnung von der politischen Bedeutung seines Gastes.
Lenin war kein leutseliger Mensch. Das weiss Bruno Kammerer von Erzählungen von Onkel Titus und Vater Jean. «Er war ein Vorbild für die Jungen, ein guter Zuhörer, aber auch ein sehr disziplinierter Bürokrat, der die meiste Zeit in der Zentralbibliothek verbrachte», so Kammerer. Lenin ist damals immer wieder in Kontakt mit Bruno Kammerers Vater, dem jungen Kommunisten, mit dem er über die Weltrevolution debattiert. Eines Tages echauffiert sich Jean Kammerer so sehr über die Gräuel des Krieges, dass er gleich ein flammendes Pamphlet gegen den Kriegsdienst verfasst. «Da setzte sich Lenin neben ihn und überzeugte ihn innert fünf Minuten vom Gegenteil. Der bewaffnete Kampf gegen die Kapitalisten sei notwendig. Der Revolutionär diktierte dann meinem Vater ein Manifest für den Kriegsdienst.»
1951 stirbt Titus Kammerer. Einmal hatte ihm die Sowjetregierung angeboten, ihm die ganze von Lenin benutzte Wohnungseinrichtung abzukaufen. Doch der stolze Schumacher hat abgelehnt. So kommt es, dass heute der Schreibtisch mit der Lampe, unter der Lenin seine Pamphlete verfasste, im Besitz von Bruno Kammerer ist und in seinem Atelier im Zürcher «Chreis Cheib» steht.
Es gibt zu tun für einen umtriebigen Linken wie Bruno Kammerer. Deshalb zieht er 1962 nach Spanien. Unter dem Kampfnamen Big Rubio, abgeleitet von Bigote rubio (blonder Schnauz), schmuggelt er Geld und Briefe aus dem demokratischen Frankreich nach Spanien. Glücklicherweise fliegt er nie auf. Es hätten ihm mehrere Jahre Kerker gedroht.
Vier Jahre später ist Bruno Kammerer wieder in Zürich, steigt in die Geschäftsleitung der SP auf und schafft 1970 den Sprung in den Gemeinderat, die Legislative der grössten Schweizer Stadt. Der Mann hat ein Gespür für Polittalente und sagt. «Ich habe Emilie Lieberherr gefördert und Moritz Leuenberger für höhere Aufgaben geschult.» Die Geschichte hat ihm rechtgegeben.
Seine grösste politische Tat in Zürich vollbringt er in den Neunzigerjahren. Als Präsident der gemeinderätlichen Verkehrskommission lobbyiert er so geschickt, dass er schon bald den inoffiziellen Titel des zehnten Stadtrats trägt. Sein Vorgehen gewinnt dabei, wen wunderts, revolutionäre Sprengkraft. Unter Kammerer können sich ausserparlamentarische Wirtschaftsvertreter ebenso wie städtische Beamte und andere Experten zur Verkehrspolitik äussern. Auf diese Weise ringt er dem Parlament den städtischen Verkehrsplan ab, der als «historischer Verkehrskompromiss» in die Geschichte eingeht, der zu einer städtebaulichen Aufwertung Zürichs führt und die Anzahl der Parkplätze plafoniert. Im Jahr 1998 tritt er als Gemeinderat zurück – aber nicht aus der Politik.
Von seinem Selbstverständnis her ist Kammerer vor allem ein guter Grafiker. Zweimal zeichnet ihn die Eidgenossenschaft mit dem »Grossen Preis für Angewandte Kunst» aus. Diese Selbstsicherheit habe ihm erst seine «übrigen Kapriolen» erlaubt, sagt er heute mit einem Schmunzeln.
Der Name Kammerer verpflichtet. So fehlt denn das «Animal Politique» auch nicht an der 100-Jahr-Gedenkfeier der Zimmerwaldner Konferenz im vergangenen September.
28. November 2015
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