Männerhände, Frauenworte – von Silvester bis Syrien
«Männer, die ihre Hände durch Böller verloren haben, können zumindest keine Frauen mehr schlagen,» twitterte die Junge-Grünen-Chefin Jette Nietzard nach der Silvesternacht. Annelena Baerbock wurde derweil eine Männerhand verweigert: Syriens neuer Machthaber grüsste ihren französischen Kollegen mit Handschlag, sie aber nicht. Die Samstagskolumne.
Bei Männerhänden denke ich an Verschiedenstes: möglicherweise an Geschicklichkeit, an Kraft, auch an Zärtlichkeit. Und klar, Hände können Waffen sein. Worte aber auch.
Mich nervte die aggressive Böllerei speziell in Berlin schon immer. In Silvesternächten warfen schon vor Jahren nicht nur Jungs, sondern auch ausgewachsene Männer und Familienväter laute Kracher manchmal direkt auf Passanten. In diesem Jahr soll eskalierte das: 36 Wohnungen in Schöneberg wurden durch eine illegale Kugelbombe unbewohnbar gemacht.
Fünf Menschen starben in Deutschland beim Zünden von Feuerwerkskörpern, weitaus mehr verloren Hände, Gehör, Augenlicht – allesamt Männer. Sie haben die Feuerkraft unterschätzt bzw. sich selbst überschätzt.
So weit, so dumm. Noch dümmer allerdings reagierte die Junge-Grünen-Chefin Jette Nietzard. Was wollte die Erziehungswissenschaftlerin uns mit ihrem inzwischen gelöschten Tweet (siehe oben) sagen? Dass Männer, die Feuerwerkskörper zünden, grundsätzlich auch ihre Frauen schlagen? Oder gleich dass alle Männer Gewalttäter sind? Und dass dann so etwas wie ein Scharia-Gesetz angewandt werden solle, denn: Nur ein handloser Mann ist ein guter Mann?
Vielleicht geht ihr aber als Feministin aber auch das Schicksal geschlagener Frauen aber auch wirklich so nah, dass sie vor lauter Mitgefühl in ihrem Tweet übers Ziel hinausgeschossen ist. Ihre Parteikollegin, die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock, die – nach eigener Einschätzung – feministische Aussenpolitik betreibt, reiste schliesslich genau aus diesem Grund am Freitag nach Syrien: um den Umgang mit den Rechten von Frauen und Minderheiten zu überprüfen. Und bekam dort auch mit Männerhänden zu tun.
«Mit ausgestreckter Hand, aber auch mit klaren Erwartungen an die neuen Machthaber reisen wir heute nach Damaskus,» twitterte Baerbock am Freitag. Doch ihre ausgestreckte Hand blieb einseitig. Denn die seine verweigerte ihr der syrische Machthaber Ahmed al-Sharaa, reichte sie aber dem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot. Und zwar nicht symbolisch, sondern ganz konkret: Viele muslimische Männer berühren aus Prinzip keine fremden Frauen. Darauf waren die beiden Aussenminister natürlich vorbereitet worden. Zwar ist es muslimischen Männern nicht grundsätzlich verboten, Frauen die Hand zu geben. Auch im Koran findet sich keine Regelung dazu. Und doch glauben einige Vertreter des Islams, dass das Händeschütteln mit einer fremden Frau der erste Schritt zur «Unzucht» sei. Baerbock nahm das tapfer hin - was man nicht alles tut, um Frauenrechte weltweit zu erkämpfen!
«Deutschland werde die neuen Machthaber an ihren Taten messen», meinte Baerbock. Und schaute prompt daran vorbei: Die mit der HTS verbündete Syrischen Nationalen Armee (SNA) attackiert seit Wochen die kurdische, feministisch-ökologische Autonomieregion Rojava mit voller Wucht, während die Türkei Bombenangriffe dort fliegt und jeden Waffenstillstand ignoriert. Noch aber hält die Frauenselbstverteidigungsarmee.
Was tut die feministische Aussenministerin? Prangert sie als Feministin entschlossen die Angriffe auf Rojava an? «Frau, Leben, Freiheit» - der Slogan, den sie so gerne aufgriff, stammt doch von dort. Verlangte sie von der angreifenden Türkei oder SNA, ihre Waffen niederzulegen? Nein – sondern von der Frauen-Selbstverteidigungsarmee aus Rojava. Sie sei sich mit der Türkei einig, «dass die kurdischen Rebellen im Norden Syriens entwaffnet werden sollen», berichteten verschiedene Medien. Vom Norden Syriens dürfe keine Gefahr für die Sicherheit der Türkei ausgehen, verlautbarte sie in völliger Umdrehung der Tatsachen.
Das wäre ungefähr so, als verlangte Frau Nietzard von geschlagenen Frauen: Provoziert keine Männergewalt durch Widerstand. Wer den Menschen in Nord- und Ostsyrien ihr Recht auf Selbstverteidigung abspricht, überlässt sie der Willkür der islamistischen Söldner. Und diese sind keineswegs handlos.
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können