Mein allererstes Interview: Als ich den Schöpfer von «Love is all around» traf

Als ich mich in die Welt verliebte – Chronik einer Leidenschaft #10

«The Troggs» (ganz rechts Reg Presley)

Alle paar Monate fand in Zürich, in der grossen Halle einer Kantonsschule, das «TeenMeet» statt, eine von Kantonsschülern organisierte Party, an der auch Livebands ihre Auftritte hatten. Meistens waren es Schweizer Bands – einmal jedoch wollten die jugendlichen Organisatoren offenbar richtig grosse Konzertveranstalter sein und brachten eine international bekannte Gruppe nach Zürich.

Um das Budget nicht zu sehr zu sprengen, musste es eine Band sein, die den Zenit ihres Erfolges bereits überschritten hatte und etwas günstiger gebucht werden konnte. So kamen «The Troggs» nach Zürich, und extra für sie war das TeenMeet ausnahmsweise ins Limmathaus verlegt worden. In meinem Popcorner berichtete ich darüber.

Die britische Formation um den Sänger Reg Presley war bereits 1964 gegründet worden. Ich beschrieb ihren Stil als «einfachen, lauten und anfeuernden Beatsound». Nachdem sie ihren etwas archaischen Namen «The Troglodytes» – die Höhlenbewohner – in «The Troggs» verkürzt hatten, wurden die Musiker vom Manager der schon damals berühmteren «Kinks» unter Vertrag genommen. Er erkannte ihr Potential, doch für den Durchbruch fehlte ein Song, der zum Hit werden konnte.

Da stiess die Band auf die Komposition eines amerikanischen Songwriters mit dem Titel «Wild Thing». Chip Taylor hatte für das Komponieren des Stücks offenbar nur Minuten gebraucht. Eine unbekannte amerikanische Band interpretierte es, hatte damit aber keinen Erfolg.

Die Version der englischen «Troggs» dagegen verhalf dem Song 1966 zu seiner wahren Bestimmung. «Wild thing», so schrieb ich, «kletterte wahrlich wie ein wildes Ding die englischen und amerikanischen Hitlisten hoch.» In England erreichte das Lied Platz 2, in den USA stand es während zwei Wochen sogar an der Spitze der Bestsellerliste. Auf einmal waren die Troggs ein Begriff. Die Türen aller Konzerthallen standen ihnen nun offen, und Sänger Reg Presley verhalf der Band mit eigenen Kompositionen zu weiteren Hits.

Doch bereits 1968 war der Ofen aus – ein neuer Erfolg gelang den Troggs nicht mehr. So kam es, dass dieselbe Band, die drei Jahre vorher die US-Hitparade erobert hatte, in Zürich an einer Gymnasiastenparty auftrat.   

«Ihr immer noch meist harter Stil», kommentierte ich, «der sich eigentlich nur in grossen Hallen entfalten kann, muss sich mit kleineren Räumen begnügen, was sich punkto Klang sehr nachteilig auswirkt: Das merkte man auch am Teen Meet, wo die Musik der Troggs vielen zu lärmig war.»

Da die Band den Platz an der Sonne bereits wieder abgeben musste, war mein Respekt vor ihnen etwas weniger gross. Das erleichterte mir den Entschluss, mein erstes Musikerinterview mit ihnen zu führen. Bei aller Selbstsicherheit, die mich schon damals begleitete, brauchte dies nun doch etwas Mut. Die Sprache war nicht das erste Problem, denn meine Englischkenntnisse hatten sich dank der Popmusik rasch erweitert, und eine Sprache zu lernen fiel mir nicht schwer.  

Doch je näher die Stunde des Interviews rückte, um so mehr spürte ich wieder, dass ich noch immer sehr jung war. Nach dem Auftritt der Band begab ich mich hinter die Bühne, wo mich einer der Veranstalter wie verabredet zur Garderobe der Musiker brachte. In meinem Rucksack hatte ich das Kassettentonbandgerät mit neu erstandenem Mikrofon bei mir. Ich war schrecklich nervös und doch wild entschlossen, der Welt zu beweisen, dass ich das konnte.

Es lag auf der Hand, das Interview mit dem Kopf der Gruppe, Reg Presley zu führen, der mich ohne Starallüren in der Garderobe empfing und sehr nett zu mir war. Ich fühlte mich jedenfalls ernstgenommen von ihm, obwohl ich zu jener Zeit noch nicht mal den Stimmbruch hatte. In meinem Popcorner schrieb ich danach:

«Reg Presley musste sich vom ‹heissen› Auftritt der Band zuerst ein wenig erholen. Dann beantwortete er mir bereitwillig einige Fragen.
Woche: Wie definieren Sie den Stil der Troggs?
Reg: Etwa eine Kreuzung zwischen Rhythm&Blues und Rock.
Woche: Noch der gleiche Stil wie zur Zeit ihrer ersten Hits?
Reg: Ja, ich glaube schon!
Woche: Haben Sie die Absicht, noch lange im Showbusiness zu bleiben? Oder werden Sie eines Tages zu Ihrem früheren Beruf als Maurer zurückkehren?»

Amüsant aus heutiger Sicht ist auch hier, wie ich immer noch ganz im Sinne der Eltern an der Notwendigkeit einer seriösen Tätigkeit festhielt. Nachdem ich in meinem Tagebuch schon Mick Jagger empfohlen hatte, wieder studieren zu gehen, wollte ich nun auch Reg Presley zurück auf die Baustelle schicken.

Über die Anmassung eines 15jährigen Grünschnabels hätte der Sänger beleidigt sein können. Doch die Entgegnung, die er mir gab, war auf rührende Weise bescheiden:
«Ich hoffe nicht, dass ich in meinen früheren Beruf zurückkehren muss. Mit dem Geld, das wir verdienen, haben wir es auch nicht nötig. Deshalb möchte ich immer im Showbusiness bleiben.»

Mein allererstes Interview trug ich wie eine Trophäe nach Hause. Dort warteten, schon ganz gespannt, meine Eltern. Die neue Musik war nicht ihre Musik, doch meine Arbeit für eine Zeitung interessierte auch sie, und so halfen sie mir noch am gleichen Abend, Reg Presleys Antworten zu entziffern und ins Deutsche zu übertragen. Dafür war ich ihnen echt dankbar – obwohl meine Mutter, die Pädagogin, die Bemerkung nicht lassen konnte, wie ungebildet das Englisch des ehemaligen Maurers klang.

Reg Presley und seine Troggs sollten nie mehr auf grosse Bühnen zurückkehren. Alle Versuche eines Comebacks scheiterten. Ihre Hits jedoch tauchen noch immer manchmal im Radio auf, und ihr letzter Erfolg, «Love is all around» wurde von der schottischen Band «Wet Wet Wet» Jahrzehnte danach überraschend aus der Versenkung geholt. Die jungen Schotten coverten das Stück für den Soundtrack des oscarnominierten britischen Kassenschlagers «4 Hochzeiten und ein Todesfall».

Auf diese Weise gelangte «Love is all around» erneut in die englische Hitparade und übertrumpfte sich selbst. Die schöne Ballade hielt sich dieses Mal volle 15 Wochen lang auf Platz 1 – ein Rekord, den bisher nur ganz wenige andere Songs geschafft haben. Seither erweist sich «Love is all around» als ein Liebeslied ohne Verfalldatum. Jeder hat die schnulzige Coverversion schon  gehört. Das viel schlichtere, authentischere Original von den «Troggs» jedoch kennt heute niemand mehr.

Immerhin liess die phänomenale Wiedergeburt der Komposition auch seinen Schöpfer nicht leer ausgehen. Reg Presley wurde reich mit Tantiemen belohnt, und so musste mein erster Interviewpartner definitiv nicht mehr als Bauarbeiter sein Geld verdienen. 2013 ist er 72jährig gestorben.

The Troggs «Wild Thing»
Bruce Springsteen covering «Wild Thing»
The Troggs «Love is all around»