«Mein Chef schickt mich nachts auf die Strasse»

Mein Alltag mit einem Armbandtrainer

Ich bin der Sklave eines Koreaners – und das freiwillig. Seit kurzem habe ich am Handgelenk einen Chef aus Südkorea, der mich kontrolliert, motiviert und mich fast besser kennt als meine Frau. Dass es so weit gekommen ist, hat einen Grund: Ich bin ein bequemer Mensch, der gerne isst, was man mir auch ansieht. Mein Hausarzt prophezeite mir, dass die Chance, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt zu haben, bei 15 Prozent liege. Ich bin erblich vorbelastet: Mein Urgrossvater starb mit 50, mein Grossvater mit 71, mein Vater hatte mit 71 einen Infarkt, und ich bin jetzt 55. Ich musste also etwas tun.


Was mir fehlte, war Bewegung. Seit zwei Monaten trage ich nun meinen Fitnesstrainer mit mir herum. Er heisst «Samsung Gear Fit», nomen est omen, und bringt mich in die Gänge.


Mit einem Bewegungssensor ausgestattet, kontrolliert mich das elektronische Armband Tag und Nacht. Es zählt meine Schritte, errechnet nachts meine Schlafqualität , zählt die Kalorien, die ich zu mir nehme und verbrenne, und es überspielt die Daten auf das App auf meinem Smartphone. Das App kennt sogar mein Lieblingssandwich der Migros. Abends wird abgerechnet. Erreiche ich die 10 000 Schritte, die ich mir täglich als Ziel gesetzt habe, gibt’s eine Belohnung: Eine Medaille auf der App.


Der Trend, den eigenen Körper und seine Aktivitäten zu vermessen, ist – ausser in meinem Freundeskreis – verbreitet.
Das Gute an meinem Chef: Er setzt bei mir erstaunliche Energien frei. Das Erreichen des Tagesziels ist mir wichtig. Erreiche ich es einmal nicht, kann es vorkommen, dass ich vor Mitternacht noch 3000 Schritte durchs Quartier gehe. Falls Sie also nachts einen Mann ohne wirkliches Ziel und etwas planlos durch die Stadt oder das Dorf gehen sehen: Bitte nicht schiessen. Es handelt sich womöglich nicht um einen Einbrecher, sondern bloss um einen Gesundheitsbewussten wie mich, den sein Chef nochmals auf die Piste geschickt hat.


In meinem mittelalterlichen ü-45-Bekanntenkreis werde ich ein bisschen belächelt. Ich trags mit Fassung und werde meinen Armbandtrainer auch weiterhin tragen. Immerhin habe ich schon fünf Kilo abgenommen in drei Monaten. Ich will ja noch lange leben.                    
03. April 2015
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