Zwanghafte Selbstverbesserung

Der Transhumanismus ist die Ideologie des digitalen Kapitalismus.
Ziel ist die Erschaffung einiger weniger Super- oder Übermenschen – auf Kosten der Allgemeinheit. Die Entwicklung weist Züge einer Religion auf, deren Stifter die Unternehmer der Digitalwirtschaft selbst sind.

Eine Flotte von intelligenten Robotern vernichtet die Menschheit. Man kennt dieses Schreckensszenario aus den Filmen der Terminator-Reihe mit Arnold Schwarzenegger. Das ist natürlich pure Fiktion, aber mächtige Akteure aus dem Silicon Valley befürchten, dass so etwas wirklich passieren könnte. Einer von ihnen heisst Elon Musk. Vor nicht allzu langer Zeit sass der Gründer des Online-Bezahlsystems PayPal, des Elektroautobauers Tesla und des privaten Weltraumfahrtunternehmens SpaceX beim Abendessen in einem noblen Fischrestaurant. Bei dieser Gelegenheit teilte Musk seinem verdutzten Biographen mit, die Künstliche Intelligenz, die Google in seinen geheimen Labors entwickle, könnte ein Schritt auf dem Weg zum Weltuntergang sein. Musk will die Entwicklung daher im Auge behalten. Zu diesem Zweck investiert der Milliardär selbst viel Geld in Unternehmen, die Maschinenintelligenz entwickeln.
Er ist zudem der Ansicht, dass die Menschen nur dann die Kontrolle über ihre künstlichen Geschöpfe behalten können, wenn sie immer mehr mit ihnen verschmelzen. Nur als Cyborgs hätten sie die Chance, mit der rasanten technologischen Entwicklung noch mitzukommen. Musk will daher eine «Breitbandverbindung» entwickeln lassen, mit deren Hilfe das menschliche Gehirn direkt an ein Computersystem angeschlossen werden kann. Das Ziel ist «eine Symbiose zwischen menschlicher und maschineller Intelligenz». Damit schickt Musk sich an, einen von der Bewegung der Transhumanisten lange gehegten Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
Die meisten Transhumanisten sind davon überzeugt, dass der Mensch schon jetzt nichts weiter als eine komplexe Maschine sei – ein biologischer Computer mit Gefühlen. Das Computerzeitalter bietet in ihren Augen nun die Möglichkeit, die Hard- und die Software dieses störungsanfälligen Geräts ständig zu verbessern. Sie wollen den weiteren Verlauf der menschlichen Evolution selbst in die Hand nehmen. Manche definieren sich selbst schon heute als Cyborgs und experimentieren mit Körperimplantaten. «Kyroniker» lassen ihre sterblichen Überreste einfrieren. Sie hoffen darauf, zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum Leben erweckt werden zu können. Wenn sich das menschliche Bewusstsein erst einmal werde digitalisieren lassen, sei der Weg zur Unsterblichkeit geebnet – als informationelles Muster in der Cloud. Das klingt reichlich verrückt, aber der Softwareentwickler und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Jaron Lanier warnte vor wenigen Jahren: «Innerhalb der winzigen Elite der Milliardäre, die die Cloud-Computer betreiben, herrscht der laute, zuversichtliche Glaube, dass die Technologie sie eines Tages unsterblich machen wird.» Der Transhumanismus ist heute die Ideologie eines Kapitalismus digitaler Plattformen, der es Unternehmen in ungeheurer Geschwindigkeit ermöglicht, Monopolmacht zu entwickeln.

Der demokratische Gleichheitsgedanke gilt in transhumanistischen Kreisen als ein vorsintflutliches Relikt. In ihren Augen ist es nicht anstössig, wenn es zunächst die Reichen und Superreichen sind, die in den Genuss lebensverlängernder und leistungssteigernder Technologien kommen. «Wir sollten die Diversität fördern und es ermöglichen, dass manche Menschen sich weiterentwickeln möchten, andere nicht», sagt Natasha Vita-More, die Vorsitzende von Humanity+, der internationalen Dachorganisation der Transhumanisten. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari befürchtet, die Digitalisierung könnte die Gesellschaft auf neue Weise in zwei Klassen spalten: in eine kleine Gruppe, die ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten ständig zu erweitern vermag und der grossen Mehrheit, die dahinter zurückbleibt. «Das wäre eine Art biologisches Kastensystem, in dem die untere Kaste eine andere Spezies ist», meint der Professor von der Hebrew University in Jerusalem.

Wer superreich ist, wird sich eine deutlich verlängerte Lebensspanne leisten können. Werden Eingriffe ins menschliche Erbmaterial möglich und lassen sich auf technischem Wege erhebliche Veränderungen in der biologischen Grundausstattung des Menschen bewirken, droht eine Naturalisierung der Klassenunterschiede.
Viele Unternehmer der Digitalwirtschaft sind Mitglieder einer neuartigen Glaubensgemeinschaft, die Harari schlicht «Datenreligion» nennt. Das Ziel dieser Sekte ist die Erschaffung eines Super- oder Übermenschen. «Während Hitler und die Nazis vor achtzig Jahren den Übermenschen durch selektive Fortpflanzung und ‹ethnische Säuberungen› züchten wollten, verfolgt die Wissenschaft der Gegenwart ein verwandtes Ziel mit wesentlich effizienteren Mitteln, eben mit Gen-Engineering oder Schnittstellen zwischen Computern und Gehirn. Diese Supermenschen hätten physische und kognitive Fähigkeiten, die unseren heutigen weit überlegen wären. Besseres Gedächtnis, höhere Intelligenz, stärkere, widerstandsfähigere Körper», sagt Harari. Er hält es für unwahrscheinlich, dass eines Tages intelligente Roboter die Macht ergreifen und alle Menschen umbringen werden. «Viel eher werden wir Schritt für Schritt und in einer für die meisten Menschen unmerklichen Weise mit unseren eigenen Erfindungen verschmelzen, mit Computern, mit dem Internet aller Dinge, mit weltumspannenden Datenströmen. Viele Leute empfinden ja schon heute ihr Mobiltelefon als Teil ihrer selbst, von dem sie sich kaum noch trennen können. Viele Leute verbringen schon heute mehr Zeit damit, ihre Persönlichkeit auf Facebook zu gestalten als in der Wirklichkeit. Irgendwann werden diese Optimierungen uns so weit verändert haben, dass es nicht mehr sinnvoll ist, dieses Lebewesen Homo sapiens zu nennen.» Dieser neue Mensch ist in den Augen von Harari mit göttergleichen Fähigkeiten ausgestattet. Dieser «Homo Deus», so auch der Titel seines neuen Buches, werde sich vermutlich stärker von den heutigen Menschen unterscheiden als diese vom Neandertaler oder vom Schimpansen.

Die in rasantem Tempo fortschreitende digitale Vernetzung der Menschen geschieht im Geiste des Neoliberalismus. Es geht um die permanente Selbstoptimierung. Wie viele Schritte jemand gelaufen, wie viele Kalorien er verzehrt und wie viele E-Mails er beantwortet hat, alles das soll er mithilfe der neuen Technologien selbst überwachen und steuern. «Heraus kommt das unternehmerische Selbst, das sich heute durch verschiedene Apps freiwillig selbst kontrollieren und evaluieren soll», sagt die Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser von der Kunstuniversität Linz. Der Freiheitsgewinn ist bei dieser Form der Selbstkontrolle jedoch nur ein scheinbarer. «Das Perfide daran ist, dass man sich nur scheinbar selbst überwacht oder gar denkt, man würde nur mit Freunden kommunizieren, die Daten fliessen aber direkt in die Institutionen, in denen man von anderen überwacht wird, etwa durch die Krankenkassen.»
Der Kerngedanke des Transhumanismus ist die Erweiterung des physischen und geistigen Potenzials des Menschen. Die Prothetik kann physisch eingeschränkten Menschen zu einem ganz normalen Leben verhelfen. Das ist zu begrüssen. Solange die Arbeitswelt jedoch ein Herrschaftsverhältnis ist, droht sich Technologie gegen die Menschen zu richten. Etwa dann, wenn der menschliche Körper an die Funktionalität der technischen Apparate und Netzwerke angepasst werden soll. Das US-Verteidigungsministerium, so der Kunsttheoretiker Jonathan Crary in seinem 2014 veröffentlichten Buch 24/7. Schlaflos im Spätkapitalismus, finanziert Forschungen, die «das körperliche Bedürfnis nach Schlaf zu verringern» suchen, um die Mensch-Maschine-Interaktion zu verbessern: «Der schlaflose Soldat könnte so der Vorläufer des schlaflosen Arbeiters oder Verbrauchers sein».
Wer sich technisch und pharmazeutisch aufrüsten muss, um mit dem beschleunigten Maschinentakt noch mitzukommen, erlebt die technologischen Innovationen nicht als Freiheitsgewinn, sondern als brutalen Zwang. Die Entscheidung, wie viel und welche Technologien angewandt und entwickelt werden, sollte deshalb auf eine demokratische Grundlage gestellt werden und darf nicht den Konzernspitzen überlassen werden.


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