Von der Alp über den Atlantik
Michael Tanner (46) ist vom Aktivisten zum Älpler geworden. Nach den Bergen lockte ihn eine andere Weite: der Ozean. Seit einem Jahr ist er bei der sinndrin Genossenschaft dabei. von Dieter Langhart
Wenn einer auf die Alp geht, ist er noch kein Älpler. Aber mit anpacken muss er, sonst läuft nichts. Michael Tanner ist so einer. Seine Mutter hatte schon Rinder gealpt, und als Michael sie besuchte, war er beeindruckt. Später, er war um die dreissig und Offizier wie sein Vater, hatte drei Wiederholungskurse hinter sich, wollte er keine Waffe mehr tragen. Er leistete seinen Zivildienst bei Biobauern im Wallis. «Die Alp ist das volle Leben.»
Wir unterhalten uns im Café jener Schule in Winterthur, an der er einige Stunden Deutsch als Zweitsprache unterrichtet. «Ich suchte wieder die Nähe zur Natur.» Mit seiner damaligen Partnerin und einer Hirtin arbeitete er auf zwei Alpen. «Wir waren ein gut eingespieltes Team.» Aber nach elf Sommern spürte er seinen Rücken, und die geänderten Pachtbedingungen machten das Leben auf der Alp nicht einfacher. Im Winter arbeitete Tanner jeweils als Freelancer für verschiedene NGOs oder erfand und leitete eigene Kampagnen. So koordinierte er die Kampagne der Gentechfrei-Initiative beim Kampagnenforum, leitete bei Greenpeace die Öffentlichkeitsarbeit zum Trinkwasserskandal wegen der Chemiemülldeponien in Basel, leistete Geburtshilfe beim MenschenStrom gegen Atom, tourte mit seinem Maultier für den Alpenschutz durch die Schweiz oder setzte sich aus Protest während Monaten an ein Gentech-Versuchsfeld. Schon als Teenager hatte er für die GSoA sympathisiert, vor den Alpsommern war er Sekretär von umverkehR gewesen. «Die Idee der Gewaltfreiheit hat mich stets fasziniert.»
Nach Umstrukturierungen und daraus folgenden Unstimmigkeiten bei Greenpeace war seine Arbeit dort nicht mehr erwünscht. Da er sich stark mit der Organisation identifiziert hatte, traf ihn das hart. «Da kam der Moment, wo ich das ständige Kämpfen satt hatte, gleichzeitig braucht es mancherorts das Dagegenhalten, den Mund aufmachen und lauten Protest und dabei stets kreative Vorschläge vorbringen, wie es besser gehen könnte. Gestern wie heute.»
Wenn einer zur See geht, ist er noch kein Seemann. Michael Tanner konnte kaum segeln, als er mit sechs andern auf einen Katamaran wollte, den ein deutscher Ingenieur von Portugal über den Atlantik steuerte. Nach zwei Wochen Segelkurs in der Bretagne war Tanner bereit und kaufte sich ein Ticket für das Abenteuer. «Die Weite hat Charme, weckt Freude in mir, in den Bergen wie auf dem Meer.» Die längste Etappe von Las Palmas de Gran Canaria nach Barbados, Kleine Antillen, dauerte 23 Tage. Dann weiter nach San Lucia und auf einem Einrümpfer nach Panama. Dort ging er von Bord und reiste mit Bus und Bahn durch Zentralamerika. Mexiko-Stadt kannte er bereits, hier hatte er als Kind vier Jahre gelebt, bevor die Familie nach Guggisberg zog. Den Törn und die Weiterreise dokumentierte Tanner mit der Kamera, nun hat er seine Eindrücke zu einer Multivision-Show voller Anekdoten gebündelt. «Ich war meistens als Tourist unterwegs, wollte mich einmal nicht einmischen und doch Zeuge sein von dem, was ist.» Nicht ganz ist es ihm gelungen, die Reise ohne politische Ansprüche zu unternehmen, er nahm an den Menschenrechtsbeobachtungen bei den Zapatisten in Chiappas teil.
Derzeit bildet sich Michael Tanner zum Coach weiter. Ihm geht es um Lebendigkeit im Privaten wie bei der Arbeit, er will Veränderungen positiv gestalten, Ursachen von Gewalt auf den Grund gehen – auch seiner eigenen. Wichtig sei, Bedürfnisse kennenzulernen und für sie zu sorgen. «Es geht um Grenzerweiterung und ebenso um Errichtung sinnvoller Strukturen und Prozesse.» In einem Kurs für Themenzentrierte Interaktion lernte er Mitglieder der sinndrin Genossenschaft kennen, seit einem Jahr macht er selbst mit.
Zukunft? «Ich habe selten weit geplant, und mein Leben ist interessant und lebendig. Ich habe noch nie Langeweile gespürt – doch, einmal, auf der Rückfahrt mit dem Segelschiff von St. Maarten Richtung Azoren. Da habe ich viel gelesen und geschrieben.» Aus den Notizen und einer Auswahl von Fotos und Videos ist ein kurzweiliger Vortrag entstanden, mit dem er zu Herbstbeginn durch die Zentral- und Ostschweiz tourt.
Multivisionsshow «Ein Älpler auf dem Ozean»:
Daten auf www.sinndrin.ch. Aktion für Zeitpunkt-Leser und -Leserinnen: 20 % Rabatt auf den Eintritt mit Promotions-Code: zeitpunkt
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