Schiessen, flüchten, helfen
Migration ist der Schlussstein globalistischer Interventionen. Die Rechte befeuert mit ihr einen rassistischen Diskurs, die Linke schwankt zwischen Schockstarre und der Übernahme liberaler Postulate.
Es war das sprichwörtliche Tüpfelchen auf dem «i», als die Chefin der deutschen Regierung, Angela Merkel, unter aufmunternden Zurufen aus Unternehmer- und Kirchenkreisen im Hochsommer 2015 die Migrationsschleuse für Muslime aus dem Nahen Osten öffnete. Das Kapital hoffte auf billige Arbeitskräfte und die Kirchen lieferten das ideologische Beiwerk der Menschlichkeit. Einem kritischen Beobachter fiel sofort auf, dass an dieser Inszenierung etwas nicht stimmen konnte. Die Not von Kriegsflüchtlingen wurde im europäischen Zentralraum der Wirtschaft zum Nutzen und dem Gewissen zur Beruhigung angeboten. Mit diesem genialen Schachzug gelang es, die Diskussion über die auslösenden Faktoren für Migration sowie ihren zerstörerischen Charakter für die Herkunftsländer, aber auch die Zielländer der Auswandernden zu verdecken.
Das Kapital hoffte auf billige Arbeitskräfte und die Kirchen lieferten das ideologische Beiwerk der Menschlichkeit.
Die medial und politisch dominierende Darstellung von Migration als Zeichen von Weltoffenheit und Diversität prallt allerdings zunehmend auf die Wirklichkeit der gesellschaftlichen und politischen Kosten. Weil eine strukturelle sozioökonomische Kritik an Mobilität insgesamt – mit Ausnahme ökologischer Ansätze, die allerdings in der Migrationsfrage nicht vorkommen – fehlt bzw. bewusst hintertrieben wird, konnte die politische Rechte an ihrer Stelle das Opfer der weltweit zunehmenden ungleichen Entwicklung, den Migranten bzw. die Migrantin, zum Sündenbock stempeln. Sie befeuert damit einen rassistischen Diskurs.
Die politische Linke wiederum schwankt zwischen Schockstarre und der Übernahme liberaler Postulate. In diesen wird Migration, getreu ihrer Verwertbarkeit und in multikultureller Blauäugigkeit, zu einem nicht hinterfragbaren positiven Bekenntnis. Die ihr zugrunde liegende weltweite Ungleichheit bleibt ausgeblendet bzw. wird dem karitativen Denken untergeordnet. Damit verstellt der einzelne, von Krieg, Krise oder Umweltzerstörung gezeichnete Migrant den Blick auf die Funktion von Migration. Tatsächlich bildet diese den Schlussstein im Mosaik globalistischer Interventionen, deren wirtschaftliche und/oder militärische Ausgriffe Millionen von Menschen ihre Lebensgrundlage entziehen. An die Abfolge Schießen–Flüchten–Helfen und ihre ständige Wiederkehr haben sich nicht nur die Zyniker dieser Welt bereits gewöhnt. Sie zu durchbrechen, habe ich mir mit dem Buch «Kritik der Migration» zur Aufgabe gemacht.
Wer es moralisch und politisch verwerflich findet, dass bengalische Näherinnen in einsturzgefährdeten Fabriken zusammengepfercht um einen Hungerlohn für den Weltmarkt roboten, kann den ständigen Import von Menschen aus dem «globalen Süden» in die Zentralräume dieser Welt nicht positiv konnotieren. Zu sehr ähneln einander die Auslagerung von Arbeitsplätzen an Billiglohnstandorte und die Masseneinwanderung entwurzelter Arbeitskräfte in den «globalen Norden» in ihrer Ausbeutungsstruktur.
Migration war immer. Eine Bedingung menschlichen Lebens, wie es uns die neue Migrationsforschung weismachen will, ist sie allerdings nicht. Von grenzüberschreitenden Wanderungen waren in den vergangenen Jahrzehnten jährlich zwischen 0,6 % und 0,9 % der Weltbevölkerung betroffen. Die Norm ist der Sesshafte.
Um Struktur und Funktion aktueller Migrationsbewegungen besser einschätzen zu können, ist ein Blick in die Geschichte hilfreich. Die Zerstörung von Lebensgrundlagen, Kriege und Vertreibungen sowie Umweltkatastrophen gehören seit Jahrhunderten zu den entscheidenden Ursachen für Wanderungen. Die meisten von ihnen sind von Menschen gemacht und Ausfluss ökonomischer und/oder geopolitischer Interessen. Wenigen Gewinnern steht eine wachsende Zahl von Verlierern in den Herkunftsländern und zunehmend auch in den Zielländern der Migration gegenüber. Eine linke Kritik daran ist überfällig.
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Aus dem Vorwort des Buches von Hannes Hofbauer Kritik der Migration – wer profitiert und wer verliert. Promedia Verlag, 2018. 272 S. EUR 19.00. ISBN 978-3-85371-441-6
Das Buch verfolgt die Migrationsgeschichte zurück bis zur weissen/schwarzen Besiedelung Amerikas, dem mutmasslich langwierigsten und brutalsten Migrationsgeschehen, betrachtet in weiterer Folge die europäischen Arbeitswanderungen des 18. und 19. Jahrhunderts, beschäftigt sich mit den Flucht- und Zwangsarbeiterregimen der beiden Weltkriege, den «Gastarbeiter»-Wellen seit den späten 1950er-Jahren und der Mobilisierung von Osteuropäern im Gefolge von politischen Zusammenbrüchen und Jugoslawienkrieg in den 1990er-Jahren, um mit einem Befund der grossen Wanderung der Muslime zur Mitte der 2010er-Jahre zu enden.
In einem weiteren Schwerpunkt widmet sich das Buch den gesellschaftlichen Auswirkungen von Migration sowohl in den Herkunfts- als auch in den Zielländern der ein (besseres) Überleben Suchenden.
Dabei stehen insbesondere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verwerfungen im Fokus.
Hannes Hofbauer (*1955) studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Er ist Publizist und Verleger des Promedia-Verlages (www.mediashop.at). Von ihm sind u.a. erschienen: Die Diktatur des Kapitals – Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter (2014); Feindbild Russland – Geschichte einer Dämonisierung (2016).
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