Was kann Buddha Aktivisten beibringen?
David R. Loy aus den USA, 77, war Anti-Vietnam-Aktivist und später Professor für Buddhismus in Boulder, Colorado. Um Aktivismus und Buddhismus zu verbinden, gründete er mit anderen das Ecodharma Center in den Rocky Mountains und lehrt den Bodhisatva-Weg: die eigene Heilung und die Heilung der Erde. Sein neuestes Buch heisst «Öko-Dharma – Buddhistische Perspektiven zur ökologischen Krise». Ich traf ihn im Ökodorf Siebenlinden bei seinem Vortrag vor jungen Aktivisten.
Zeitpunkt: Bist du Buddhist geworden, weil du als Anti-Vietnam-Aktivist einen Burnout hattest oder weil du in Vietnam auf den Buddhismus gestossen bist?
David R. Loy: Es war nicht so sehr ein Burnout, sondern das Gefühl, dass mein Aktivismus eher durch persönliche Wut als durch Mitgefühl motiviert war. Ich hatte das Gefühl, es reicht nicht mehr, mich zu engagieren, sondern dass ich mit mir selbst arbeiten musste und meine persönlichen Themen anschauen sollte. Der Vietnam-Krieg hat uns gelehrt, dass die Regierung uns anlügt. Und das war sehr wichtig: Wir erkannten, dass die Welt nicht ist, was man uns beigebracht hatte. Das andere wichtige Ereignis der Sechziger Jahre waren die psychedelische Drogen. In Amerika nahm eine ganze Generation LSD. Und das ist eine andere Erfahrung als Alkohol. Durch LSD erkannten die Menschen, dass die Welt so ist, wie sie ist, weil unsere Wahrnehmung, unser Verstand so arbeitet, wie er arbeitet. Wenn unser Bewusstsein sich ändert, ändert sich die Welt. Diese Erkenntnis liess das Interesse an Buddhismus in den späten Sechzigern und Siebzigern explodieren. Vietnam und die psychedelische Revolution haben das zusammen bewirkt.
Ich glaube tatsächlich, dass wir vor einem globalen Erwachen stehen. Aber ist es schnell genug? Ist es tief genug?
Zeitpunkt: Du zitierst oft Noam Chomsky, der sagte: Wir leben in der gefährlichsten Zeit der Geschichte. Siehst du auch Zeichen eines globalen Aufbruchs?
David: Ja, immer. Besonders bei jungen Menschen. Denn sie sehen, was kommen wird, und es ist ihre Welt, mit der sie zurechtkommen werden müssen. Ja, die Situation ist gefährlich und schwierig. Aber das hilft auch. In einer wirklich schwierigen Situation sind wir gezwungen, unsere Lebensweise neu zu bewerten. Ich glaube tatsächlich, dass wir vor einem globalen Erwachen stehen. Aber ist es schnell genug? Ist es tief genug?
Zeitpunkt: Die allermeisten machen ja so weiter wie immer.
David: Oder sie versuchen es. Aber es geschehen Dinge, wo sie es nicht mehr können. In Colorado hatten wir eine grosse Überschwemmung und jedes Jahr schlimmere Waldbrände, ein Feuer hat grosse Teile der Stadt vernichtet. Je schlimmer die ökologische Katastrophe wird, um so mehr Menschen merken wachen dann doch auf. Das Herz von Ökodharma ist, die ökologische Krise nicht nur als etwas Äusseres zu betrachten. Sie lässt uns die innere, die spirituelle Krise erkennen. Eine Krise unseres Verhältnisses zur Erde. Das fundamentale Problem ist das Gefühl des Getrenntseins. Nicht nur die Trennung zwischen uns als Einzelwesen. Sondern kollektiv: dass wir als Zivilisation in einem Dualismus leben, einem Gefühl der Trennung von der Erde und der Biosphäre. Und das ist symptomatisch für unsere kollektive Ignoranz. Wir fühlen uns von der Erde getrennt. Wir denken, dass die Erde nur da ist, um uns zu ernähren. Dass sie kein eigenes Wesen hat, sondern nur da ist, damit wir uns nehmen können, was wir brauchen, und unseren Müll zu loszuwerden. Die ökologische Krise ist ein Ergebnis dieser Haltung.
Andererseits ist es auch so, dass der Kapitalismus sich selbst zerstört. Nicht nur aus ökologischen Gründen. Dem Kapitalismus wohnt seine Zerstörung inne, wie Marx sagte, einfach schon durch die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich.
Die drei Gifte im Buddhismus sind: Hass, Ignoranz und Gier.
Zeitpunkt: Buddhismus ist eine Religion ohne Gott und Heilige. Aber bei Ökodharma scheint es doch etwas Heiliges zu geben – die Erde.
David: Die Erde muss kein Gott sein, um heilig zu sein. Warum brauchen wir einen Gott, um etwas Heiliges zu fühlen! Wenn wir aufwachen und uns aufmachen, erfahren wir die Erde als etwas anderes. Wir fühlen uns nicht mehr getrennt. Manchmal auch als etwas Heiliges. Heilig heisst, sie ist von innen heraus kostbar für uns, sie verdient unsere Liebe und Fürsorge. Dadurch entsteht die ganze Metaphorik von Mutter und Kind: die Erde ist unsere Mutter, wir sind aus hier hervorgegangen. Wir haben dann den Wunsch, sie wertzuschätzen, zu schützen und zu lieben – dazu braucht es keinen Gott und keine Göttin.
Ich bin ein Gefäss für etwas, das grösser ist als ich. Das bedeutet es, nicht getrennt von Gott zu sein.
Zeitpunkt: In anderen Religionen sucht man immer ein höheres Wesen, an das man sich wenden, mit dem man reden kann – Gott! Warum könnte das im Ökodharma nicht doch die Erde sein?
David: Die Frage ist: Ist das höhere Wesen ein Teil von dir? Bist du ein Teil von ihm? Oder bist du von ihm getrennt? Meister Eckhart, der grosse Mystiker, spricht über die Gottheit: Gott entsteht, wenn wir gewahr werden, dass das Göttliche unsere eigene Natur ist. In der mystischen Religionserfahrung gibt es keinen Gott, der von uns getrennt ist. Wenn ich das trennende Ego loslasse, dann gibt es da etwas, das durch mich fliesst. Ich bin ein Gefäss für etwas, das grösser ist als ich. Das ist Gottheit. Das bedeutet es, nicht getrennt von Gott zu sein.
Zeitpunkt: Gestern war der Saal voll mit jungen Aktivisten. Welche Botschaft hat Buddhismus für sie?
David: Dass es wichtig ist, Aktivismus und Arbeit an sich selbst zu verbinden. Dass sie eine Praxis der Achtsamkeit üben für etwas, das jenseits unserer Ego-Bestrebungen und unserer Bemüheungen ist. Es ist für Aktivisten sehr wichtig, uns nicht an die Ergebnisse unseres Handelns zu binden. Natürlich wollen wir das Beste erreichen. Aber wir müssen auch loslassen können. Alles versuchen – und dann loslassen. Wir müssen erkennen, dass wir nicht alles unter Kontrolle haben; das ist auch strategisch besser. Und dieses Loslassen von den Ergebnissen unseres Handelns erfordert glaube ich Meditation. Sonst ist es zu schwer.
Zeitpunkt: Das Schlimmste, was man der Natur antun kann, ist Krieg. Jetzt haben wir Krieg in der Ukraine. Können wir ihn durch Spiritualität und Meditation beenden? Können wir in uns die Bedingungen für Krieg beenden, indem wir meditieren?
Ich denke, dass die USA einige Verantwortung für die Situation auch in der Ukraine hat.
David: Wenn wir darauf warten würden, dass alle meditieren, würde es sehr lange dauern. Auch für den Frieden ist es das wichtigste, das grundlegende Prinzip der Trennung aufzuheben. Nicht-Trennung, Nicht-Dualität ist das wichtigste Prinzip im Buddhismus. Da geht es nicht nur um persönliches Verhalten, sondern auch um kollektives. Zum Beispiel bei jeder Art von Nationalismus – wir gegen sie. Russen gegen Amerikaner, USA gegen China usw. Die Wurzeln dieser Haltung sind tief. Ich denke, dass die USA einige Verantwortung für die Situation auch in der Ukraine hat. Russland hat tiefe geschichtlich begründete Ängste. Denk an Napoleon. Denk an Hitler. Russland wurde immer wieder angegriffen und will sich verteidigen. Die USA fährt fort mit einer tribalistischen Aggression. Wir gegen die: Aus buddhistischer Perspektive ist diese Haltung der Kern des Problems. Und die USA hat dazu auf vielen Ebenen beigetragen, hat Putin bedrängt und verunsichert. Der Krieg ist jedenfalls nicht alleine eine russische Aggression.
Ich glaube, wir sind derzeit zwischen Geschichten. Wir versuchen, eine neue zu schreiben – aber es ist noch nicht so weit.
Zeitpunkt: Wie ich es verstehe, wollen Ökodharma und Meditation uns helfen, unser geistiges System abzuschmelzen, aus dem Kriege immer wieder hervorgehen.
David: Statt abschmelzen sage ich lieber loslassen. Auch ein Loslassen der alten Geschichte, des alten Narrativs – was wir sind, was die sind – wir sind besser als sie und so weiter. Was jetzt geschieht in dieser gefährlichen Zeit, von der Chomsky spricht, ist, dass die alte Geschichte, die Geschichte vom Fortschritt, von technologischer Entwicklung zerfällt. Man glaubt sie nicht mehr. Wir brauchen eine andere Geschichte. Ich glaube, wir sind derzeit zwischen Geschichten. Wir versuchen, eine neue zu schreiben – aber es ist noch nicht so weit.
Zeitpunkt: Was meinst du mit Geschichte?
David: Geschichte – damit meine ich unsere Art, die Welt zu verstehen. Wir brauchen das. Unsere Geschichte sagt uns, wer wir sind und warum wir so geworden sind. Orte wie dieser hier – Siebenlinden, aber sicher auch Tamera und andere – sind Teil einer neuen Erfahrung und neuen Geschichte. Aber das Problem ist, dass die Leute sich an ihrer Geschichte zu sehr festhalten. Wir brauchen eine Geschichte, die flexibler ist. Ich denke, die buddhistische Lehre will uns nicht dazu bringen, unsere Geshichte loszuwerden. Sondern sie lehrt uns den Prozess und die Offenheit dafür, uns zu ändern, zu entwickeln.
Zitat aus seinem Buch Ökodharma:
Wenn wir anfangen, aufzuwachen und zu erkennen, dass wir weder voneinander noch von dieser wundersamen Erde getrennt sind, begreifen wir, dass unser Zusammenleben und unsere Beziehung zur Erde ebenfalls rekonstruiert werden müssen. Das bedeutet nicht nur soziales Engagement als Einzelpersonen, die anderen Einzelpersonen helfen, sondern auch Wege zu finden, die problematischen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen zu thematisieren, welche die ökologische Krise und die Fragen der sozialen Gerechtigkeit hervorgebracht haben, mit der wir heute konfrontiert sind. Letztlich sind die Wege der persönlichen und der sozialen Transformation nicht wirklich voneinander getrennt. Engagement in der Welt ist die Art und Weise, wie unser individuelles Erwachen erblüht und wie kontemplative Praktiken, zum Beispiel Meditation, unseren Aktivismus begründen und in einen spirituellen Weg verwandeln.
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