Die Lüge ist Die Mutter aller Kriege

Vor bald 20 Jahren wurde diese Kolumne eingeführt, damit sich jemand über den Zeitpunkt lustig macht. Dann durfte ich über die selbst ernannten Herren dieser Welt herziehen. Und jetzt muss ich Ihnen zeigen, was hinter der Oberfläche der Massenmedien alles abläuft. Dafür reicht eine Seite natürlich bei weitem nicht. Aber die Redaktion will es bekanntlich konstruktiv. Selber denken ist also angesagt.

Seit einigen Monaten werden wir mit Geschichten über den Beginn des Ersten Weltkrieges überschwemmt – machtgierige europäische Nationalstaaten, die wie euphorische Schlafwandler in einen fürchterlichen Krieg taumeln. Sogar der Gross-Dichter Thomas Mann empfand «Reinigung, Befreiung, und eine ungeheure Hoffnung». Wie gut, dass es diese Nationalstaaten nicht mehr gibt und die Europäische Union mit einem Friedensnobelpreis als Leistungsausweis für demokratische Verhältnisse sorgt!
Es wäre schön, wenn wir nicht nur Geschichte beschreiben, sondern auch aus ihr lernen würden. Heute herrscht doch exakt dieselbe Denke, die uns vor hundert Jahren ein riesiges Blutbad beschert hat: Nur der Grösste kann überleben. Ich muss an dieser Stelle wieder einmal auf Leopold Kohr hinweisen, geistiger Vater dieser Zeitschrift und Begründer der Philosophie der Kleinheit, der 1957 in seinem grundlegenden Werk «The Breakdown of Nations» (auf deutsch «Das Ende der Grossen») gezeigt hat, dass Grössenwahn der entscheidende Faktor für die Kurzlebigkeit eines staatlichen Gebildes ist. Nur: Die Zeiten sind vorbei, in dem man in einem Kleinstaat wie der Schweiz unbeschadet dem Zusammenbruch der überdimensioniserten Zombies zuschauen kann.
  
Der weltpolitisch wichtigste Schauplatz ist derzeit die Ukraine. Der Spiegel beschwört «Das Ende der Feigheit» und die Süddeutsche Zeitung erklärt «jetzt oder nie». «Das Meinungsspektrum wurde auf Schiessschartengrösse verengt», fasst Gabor Steingart, Herausgeber des Handelsblatts die Berichterstattung der deutschen Leitmedien treffend zusammen.
Damit werden wir mental auf das Ende der Diplomatie und ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln vorbereitet – mit kleinen Schritten in einen grossen Krieg. Aber schon die kleinen Schritte tragen das Gift der Lüge in sich. Der Abschuss der unglücklichen Maschine der Malaysian Airlines wurde von den USA vorschnell den pro-russischen Rebellen in der Ukraine in die Schuhe geschoben. Anstatt endlich die versprochenen Satellitenbilder zu veröffentlichen, zitierten die US-Geheimdienste «Beweise» aus Facebook. Und die Massenmedien machen Copy-paste. Auch dass Putins Flugzeug mit halbstündiger Verspätung auf einer ähnlichen Route unterwegs war, haben Sie vermutlich nicht gewusst. Auch dass der ukrainische Geheimdienst (beraten von der CIA) die Kommunikation der Crew mit den Fluglotsen am Tag der Tat beschlagnahmt hat und seither unter Verschluss hält, haben Sie vermutlich nicht in der Zeitung gelesen. Das Gleiche gilt für die Einschüsse der Bordkanone eines Kampfjets, die OSZE-Ermittler in Wrackteilen des Cockpits Ende Juli entdeckten. Zufall, dass sich zur Tatzeit ein ukrainisches Kampfflugzeug in der Nähe der Unglücksmaschine befand?
Kriege beginnen typischerweise mit Lügen: der erste Golfkrieg mit den ominösen Babies, die von irakischen Soldaten aus den Brutkästen genommen wurden (ein Trick der PR-Agentur Burson-Marsteller) und der zweite Golfkrieg mit den Massenvernichtungswaffen, die nie gefunden wurden. Seien Sie also vorsichtig und glauben Sie lieber gar nichts, nicht einmal mir. Das ist besser für den Frieden.

Und jetzt noch ein Abschnitt zu Argentinien: Das liegt zwar weit weg, aber die Ausweitung des Szenarios auf Europa ist bereits in Vorbereitung. «Argentinien im Staatsbankrott» ist wohl alles, was nach dem bisschen Berichterstattung in den Köpfen der europäischen Medienkonsumenten hängengeblieben ist. Stimmt leider nicht. Argentinien zahlt weiterhin pünktlich und vertragsgemäss an seine Gläubiger. Nur: Der Geierfond NML Capital von Paul Singer kaufte sich im Nachgang zum Staatsbankrott von 2001 quasi wertlose Staatspapiere zum Schnäppchenpreis. Diese werden von Argentinien seit 2005 und 2010 gemäss gültigen Umschuldungsvereinbarungen honoriert. Nun hat Paul Singer vom US-Richter Thomas Griesa ein Urteil erwirkt, nach dem Argentinien den vollen Nominalwert bezahlen muss und ihm dadurch einen Gewinn von 1680 Prozent ermöglicht. Das Urteil, das die gültigen Verträge verletzt, nach denen alle Gläubiger gleich behandelt werden müssen, hat umgehend zu einem Downgrade von Argentinien durch die Rating-Agenturen geführt, das dadurch kein neues Kapital mehr aufnehmen kann – eine Katastrophe für das Land und für die Rechtsstaatlichkeit. Dieselbe Strategie verfolgt Singer nun in Spanien, wo er in den letzten zwei Jahren für mehrere Milliarden Euro notleidende Papiere mit einem Einschlag von über 95 Prozent gekauft und bereits eine bedeutende Inkassofirma erworben hat. Das Fallbeil ist hochgezogen. Jetzt braucht es bloss noch einen Richter.
12. September 2014
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