Geld als Recht verliert seine juristische Basis

Geld wird ja bekanntlich von den privaten Banken als Kredit geschöpft und von den Kreditnehmern in Umlauf gebracht. Sein innerer Wert hängt folglich von der Rückzahlungsfähigkeit der Kreditnehmer ab, bzw. im Falle ihres Unvermögens, von den juristischen Möglichkeiten, die Forderung durchzusetzen.

Im Falle von Hypotheken ist das eine einfache Sache, möchte man meinen. Ein Blick ins Grundbuch genügt, und die Frage nach Besitzerschaft und Schuldverhältnissen ist geklärt. Doch weit gefehlt. Im Zuge der des Aufblähens der US-Immobilienblase nach 2001 wurden die Hypotheken von den Banken zu einer Art Fonds gebündelt und Anteile davon als Mortgage Backed Securities (MBS), als hypothekenbesicherte Wertpapiere weiterverkauft. Der Vorteil für die Banken: Der Passivposten verschwand aus der Bilanz und sie konnten neue Kredite vergeben, die über eine Erhöhung der Geldmenge auch den Preisanstieg dieser Wertpapiere begünstigte – eine positive Rückkoppelung, wenn ohne den geringsten realen Mehrwert. Das Geschäft lief so heiss, dass die Banken und Makler so genannte Robo Signers anstellten, menschliche Roboter gewissermassen, die im Minutentakt die notwendigen Papiere unterschrieben.

Nun ist die Blase ja bekanntlich geplatzt und Millionen von Hausbesitzern in den USA gerieten in Verzug. Weil Geld nur Geld ist, wenn die dahinterstehende Schuld auch bezahlt wird, müssen die notleidenden Kreditverträge nun vollstreckt, die Häuser gerichtlich geräumt und versteigert werden. Da treten nun ganz neue Probleme auf, von der menschlichen Tragödie halber Völkerschaften mal abgesehen, die plötzlich auf die Strasse gestellt werden. Die grosse Frage ist: Wem gehört ein Haus, dessen Grundschuld verwurstet und zusammen mit Tausenden anderer Hypotheken in einem Fonds transferiert wurde, der seinerseits von Tausenden von Anlegern besessen wird, die ihrerseits ihre Anteile oft schnell weiterverkauften, bis zu sechs Mal pro Papier? Um diese hochkomplizierte Sache zu vereinfachen, gründeten Banken wie die Bank of America, Wells Fargo oder CitiMortgage 1995 ein Unternehmen namens MERS (Mortgage Electronic Registration Systems), das die Eigentümerschaft und die damit verbundenen Zahlungsverpflichtungen von Hypotheken registriert und die dazugehörigen Transaktionen abwickelt. Aber nicht nur das: In den Kreditunterlagen und in den offiziellen Grundbüchern erscheinen nicht die ausgebenden Banken oder die Käufer der MBS als Halter der Hypothek, sondern MERS, nicht viel mehr als eine Briefkastenfirma oder ein «spreadsheet», eine Tabellenkalkulation, wie sich Christopher Peterson, Rechtsprofessor der University of Utah ausdrückt. Diese Tabelle «besitzt» mittlerweile rund 60 Prozent aller ausstehenden Hypotheken.

Genauso zügig wie sie die Verwurstung der Hypotheken organisiert hatten, gehen die Amerikaner nun an die Vollstreckung. In so genannten Document Preparation Companies mit wohlklingenden Namen wie «Nationwide Title Clearing» werden die Papiere vorbereitet, aufgrund deren die Gerichte die Zwangsversteigerungen beschliessen sollen. Wurden vorher robo signers beschäftigt, machen jetzt «Beglaubigungssklaven» die Drecksarbeit in den «foreclosure mills», den Zwangsvollstreckungsfabriken. Einer von ihnen ist Jeffrey Stephan, der unter Eid bestätigte, 8000 bis 12’000 solcher Beglaubigungen pro Monat ausgestellt zu haben. 90 Sekunden, so die durchschnittliche Bearbeitungszeit, entschieden, ob eine Familie auf die Strasse gestellt wurde oder nicht. Ein anderer ist Bryan Bly, der in Florida in einem Wohnwagen haust und als Temporärangestellter einer solchen Zwangsvollstreckungsfabrik Dokumente unterschrieb, u.a. als «Vice-President Deutsche Bank», wie die St. Petersburg Times berichtet [1]. Alles reichlich dubios, aber in seinen Dimensionen gigantisch.

Während solche unsäglichen Praktiken mit den überlasteten Gerichten und den eingeschüchterten Hausbesitzern anfangs noch durchgingen, regt sich nun Widerstand. Und er hat Erfolg: Weil MERS löchrig ist (die Meldungen sind freiwillig), die Besitzerschaft nicht nachgewiesen werden kann und die Originaldokumente (die mit den computer-generierten Unterschriften) nach ihrer Registrierung in MERS oft vernichtet wurden, haben Gerichte im ganzen Land Räumungen im Namen von MERS zu blockieren begonnen. Da halfen auch die Unterschriften von Jeffrey Stephan und seinen Kollegen, alle notwendigen Dokumente seien vorhanden und in Ordnung, nicht weiter. Vor kurzem erklärte die Grossbank JP Morgan Chase, MERS nicht weiter zu nutzen und stoppte, zusammen mit anderen Banken, die Zwangsvollstreckungen. Zu spät.
Der Trend scheint sich zu wenden: In mehreren Bundesstaaten haben die Staatsanwälte Strafuntersuchungen wegen Betrugs gegen Zwangsvollstreckungsfabriken eingeleitet. Sammelklagen sind eingereicht – mit dem möglichen Resultat, dass 62 Millionen Häuser in den USA vor der Zwangsvollstreckung gesichert werden können.

Das Unheil ist angerichtet, und die Auswirkungen auf das allgemeine Finanzsystem sind «verheerend», wie der republikanische Senator Richard Shelby an einem kürzlichen Hearing meinte [2]. Warum? Wenn die rechtliche Basis der Verbriefung für eine gerichtliche Vollstreckung nicht reicht, müssen die Banken entweder darauf verzichten oder die Kredite mit erheblichem Verlust zurückkaufen. Die Rating-Agentur Standard&Poors rechnet deshalb mit einer verlangsamten Erholung des Bankensektors. Das ist nichts weiter als Schönschreib. Im Grunde geht es darum, dass Geld wie wir es kennen, seinen Status als verbindliche Verpflichtung verliert. Und das ist erst der Anfang.

1) http://www.tampabay.com/news/business/realestate/article997375.ece
2) http://www.c-spanvideo.org/program/296595-1