Insel der Klarheit
Der Film «Someone beside you» macht Mut zu einem neuen Umgang mit Psychose
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Psychose zwar aus ihrer Klassifikation gestrichen, weil sich der Begriff nicht klar definieren lässt. Die Realität ist aber: Immer mehr Menschen werden von wahnhaften Störungen und unkontrollierbaren Erregungen heimgesucht und müssen in Kliniken behandelt werden, meist medikamentös und meist ohne dauerhaften Erfolg. Der Film «Someone beside you», der Ende März in die Kinos kommt, zeigt den erfolgversprechenden Weg Edward Podvolls. Der Psychiater und buddhistische Lama betrachtete die Psychose nicht als Krankheit, sondern als spirituelle Krise
«Wer einen Verstand hat, kann ihn auch verlieren», lautet eine der Grundüberzeugungen des amerikanischen Psychiaters Edward Podvoll (1936-2003). Und wer seinen Verstand verloren hat, kann ihn auch wieder finden. Podvoll entdeckte während seiner Arbeit als Leiter der Abteilung für kontemplative Psychologie an der Naropa University in Boulder/Colorado, dass auch Menschen mit schweren psychotischen Störungen über eine ureigene Gesundheit verfügen, «Inseln der Klarheit», wie er sie nannte. Diese Inseln der Klarheit sind der Ausgangspunkt des Windhorse-Projekts, eines neuen Therapieansatzes, nach dem Podvoll ab 1981 zu arbeiten begann. Die Therapeuten trainieren sich selbst, diese Inseln der Klarheit bei sich und bei Menschen in geistigen Extremzuständen erkennen und deren gesunde Teile ansprechen zu können. Den geistigen Rahmen bildet der Buddhismus, nicht als Religion, sondern als Psychologie.
In den therapeutischen Wohngemeinschaften des Windhorse-Projekt wird nur ein(e) Betroffene(r) betreut, zunächst von zwei ständigen MitbewohnerInnen, die sich schrittweise zurückziehen. Verschiedene TherapeutInnen des Teams besuchen die Klienten nach Bedarf, zu Beginn vielleicht zwei bis drei Mal am Tag, später wöchentlich oder noch seltener.
Reise zur Insel der Klarheit
Der Film nimmt die Zuschauer in einer Art Roadmovie mit auf die Reise von Betroffenen in der Schweiz und ihren Abgründen bis ins Windhorse-Projekt in den USA und zu einer filmischen Begegnung zwischen dem Regisseur Edgar Hagen und Edward Podvoll, kurz vor dessen Tod. So wie Podvoll die Pathologisierung abgelehnt hat, geht auch «Someone beside you» nicht auf Diagnosen ein. Wenn die Betroffenen ihre Abgründe beschreiben, wird deutlich, dass diese Klarheit gleichzeitig die Ressource ist, auf die sich ein «normales» Leben aufbauen lässt. Der Film begleitet den Psychiatre-kritischen Zürcher Psychiater Jakob Litschig bei seiner unkonventionellen Arbeit mit Betroffenen im Wohnmobil. Und man begegnet Karen, die als junge Frau als unheilbar geisteskrank diagnostiziert wird, aus der Klinik flüchtet, sich aus dem zehnten Stock eines Hochhauses stürzt – und überlebt. Als sie später als Klientin zu Edward Podvoll kommt, wird für sie der erste Windhorse-Haushalt eingerichtet, mit erstaunlichem Erfolg: Nach ein paar Monaten erhält sie Besuch von ihrem Vater, der sie, bereits geheilt, nicht mehr erkennt.
Leider nicht für jedermann
Der Film gibt etwas zu sparsamen Einblick in die Funktionsweise des Windhorse-Projekts. Zu gerne hätte man gewusst, wie ein normales Zusammenleben einen so nachhaltigen Heilungsprozess auslösen kann. Einen Teil des Geheimnisses lüftet Eric Chapin, einer der erfahrensten Windhorse-Therapeuten, der zur Premiere an die Solothurner Filmtage kommt: Die 65 Klientinnen und Klienten des Windhorse-Projektes in Boulder werden von 80 Mitarbeitenden betreut, mit Kosten von zwei- bis elftausend Dollar pro Monat und «Patient». So wie unser Gesundheitswesen und unsere Gesellschaft funktioniert, steht dieser Weg aus der Psychose nur den Begüterten offen.
Trotzdem erhofft der «Verband Psychose- und Psychiatrie-Erfahrene der Schweiz» VPECH von «Someone beside you» einen grossen Sympathieschub für seinen Wunsch nach einem Clubhaus und einem Windhorse-Projekt in der Schweiz und generell das Anliegen «die Psychiatrie der Psychosen vom Kopf auf die Füsse zu stellen». Auch wir hoffen, dass möglichst viele Menschen nach diesem Film die Psychose nicht mehr als Krankheit, sondern als spirituelle Krise betrachten, deren Überwindung nicht nur die Betroffenen weiter bringt, sondern auch ihre Angehörigen und uns alle.
25. April 2007
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