Starallüren – wie ich Theaterluft schnupperte und einem Filmstar begegnete
Als ich mich in die Welt verliebte - Chronik einer Leidenschaft #19
Trotz drohendem Provisorium konnte ich es unmöglich ablehnen, als die Kulturabteilung der Stadt für das einmalige Gastspiel einer französischen Schauspieltruppe Bühnenarbeiter suchte. Theaterluft wittern zu können, reizte mich, denn ich spielte hin und wieder durchaus mit dem Gedanken an eine Schauspielkarriere. Jener Schüler aus der höheren Klasse, der sich im Schultheater bereits mit wichtigen Rollen hervorgetan hatte, liess in mir sogar so etwas wie Neid aufkommen.
«Hinter der Bühne versammeln wir uns», schrieb ich ins Tagebuch, «ein Jus-Student, ein Mathematikstudent, ein paar Schauspielschüler und ich, der einzige Gymnasiast, trinken Tee, Kaffee und warten auf die Ankunft der Camions aus Frankreich. Zum ersten Mal sehe ich eine Bühne von innen.»
Ich fand das alles interessant, doch es blieb wenig Zeit, um zu staunen und zu beobachten, denn kaum hatten die Lastwagen hinter dem Theater parkiert, begann die Arbeit. Wir schleppten die Requisiten und Bühnenbilder ins Innere, stellten im Laufe des Tages alles bereit und durften am Abend während der Vorstellung hinter den Bühnenvorhängen stehen und zusehen.
«Wenn die Zuschauer wüssten», notierte ich. «Vorn auf der Bühne grosse Dramatik, doch kaum sind die Schauspieler abgetreten, zeigen sie ihre Alltagsgesichter. Eine Rolle zu spielen, um sie sogleich wieder abzulegen, das ist die wahre Verwandlungskunst. Und noch während der dritte Akt läuft, machen wir uns hinter der Bühne ans Abtransportieren der Requisiten, die vorne nicht mehr gebraucht werden.»
Am meisten jedoch beschäftigte mich der Star des Abends, der die Hauptrolle spielte, Jean-Claude Brialy, seinerzeit einer der grossen französischen Filmschauspieler, den ich sogar schon im Kino gesehen hatte. Entsprechend gross war meine Erwartung, wie er wohl auf mich wirken würde.
«Er traf am frühen Abend als einer der Letzten ein», schrieb ich, «kam auf die Bühne und liess keinen Zweifel daran, dass er sich seiner Bedeutung sehr wohl bewusst war. Während wir bereits unter Zeitdruck standen, lief er umher, kommandierte und kritisierte, gab sich gleichzeitig väterlich, ermunterte uns und legte mir die Hand auf die Schulter. Entweder liebt er Jünglinge oder er hat den Grössenwahn.»
Andere Schauspieler halfen uns, während er keinen Finger rührte. «Wozu sollte er auch?« kommentierte ich bissig, «er glaubt ja, er sei der Grösste.»
Ich war zum ersten Mal einem richtigen Filmstar begegnet, und Brialy hätte meine ganze Bewunderung haben können. Seine theatralische Leistung während des Stücks mochte grossartig sein – doch als Mensch enttäuschte er mich. Dieser Eindruck brannte sich in mir ein. Kein Star der Welt würde mich jemals blenden können. Weil er vielleicht die gleichen Allüren hatte wie Jean-Claude Brialy.
«Der Vorhang geht zu – grosser Applaus, der Vorhang geht auf, lächelnd stehen die Schauspieler da, zuletzt tritt der Star hinzu, sie verbeugen sich – Vorhang schliesst sich - Alltagsgesichter – Vorhang geht auf – ein letztes Lächeln für die begeisterten Zuschauer.«
Das Wechselbad zwischen dem Strahlen fürs Publikum und der nüchternen Lässigkeit, kaum fiel der Vorhang, liess mich nicht unberührt. War das Lächeln nur aufgesetzt, fragte ich mich, war das Publikum den Schauspielern gleichgültig? Als Jugendlicher ist man besonders empfindlich für die Unehrlichkeit von Erwachsenen. Dass jeder Beruf, selbst der schauspielerische seine Routine hat, konnte ich noch nicht wissen.
Während die Theaterbesucher den Saal verliessen, begannen wir hinter der Bühne mit Abräumen. Um drei Uhr morgens waren die Bühnenbilder und Requisiten in den Camions wieder verstaut und bereit für die Fahrt in die nächste Stadt. Wie ich selbst um diese nächtliche Stunde nach Hause kam, weiss ich nicht mehr. Vermutlich mit einem Taxi, denn ich hatte die Gage bar in die Hand bekommen. Ich war um 130 Franken reicher geworden, womit ich sehr zufrieden sein konnte.
Vor allem aber hatte die Welt dem 15jährigen Gymnasiasten erlaubt, hinter die Kulissen blicken zu dürfen. Einen Abend lang hatte ich Schein und Sein gesehen. Das allein war der Job wert gewesen.
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