StimmVolk – ein singendes Ständemeer
Gestern versammelten sich erstmals über 10‘000 Männer, Frauen und Kinder auf dem Bundesplatz und sangen für Gerechtigkeit und für ein Leben im Einklang mit unserer Erde und all ihren Geschöpfen – aus allen Regionen der Schweiz waren sie angereist und bildeten ein singendes „Ständemeer“! Jedes Jahr sind es mehr, die friedlich ihre Stimme erheben, seit StimmVolk Schweiz vor sieben Jahren zum ersten Mal zu einem Grosssingen, einem „Cantellon“ aufgerufen hatte. Faszinierend, dass der ganze Platz singt, ohne akustische Verstärkung. Basis für diese Bewegung sind Singgruppen in unzähligen Dörfern und Städten der Schweiz – eine neue Art sinnliches Politikengagement. Und die Singenden werden von weiten Kreisen ernst genommen mit ihren Anliegen, vielleicht weil sie zentrale Lebensthemen aufgreifen ohne persönliche Anklagen und Schuldzuweisungen. Gestern sang auf jeden Fall die Mehrheit des Parlaments mit. Vor zehn Jahren hätte sich kaum jemand die Kraft einer solchen Sing-Bewegung vorstellen können. Doch blenden wir zurück in die Gegenwart.
Unterwegs in der Winterthurer Marktgasse höre ich von Ferne den Klang eines Appenzeller Naturjodels. Er zieht mich an wie weitere Menschen neben mir, ein älteres Ehepaar, eine Gruppe junger Ausländerinnen, eine Frau mit zwei Kindern. Eine grössere Gruppe Frauen und Männer stehen zusammen, mitten im geschäftigen Treiben der Stadt, und legen singend einen Akkordteppich. Darüber erhebt sich die Jodelstimme einer Frau. Es entsteht eine besondere Ruhe-Insel im Einkaufsrummel. Nach dem Jodel singt die Gruppe ein spanisches Volkslied und ein eingängiges afrikanisches Friedensmantra, in das wir alle mit einstimmen können. Das spontane Mitsingen bewegt mich, der ich in letzter Zeit kaum mehr gesungen habe. Die Freude der singenden Männer und Frauen steckt an.
Dieser Mann ist einer StimmVolk-Singgruppe begegnet. StimmVolk will mit gemeinsamem Singen Brücken bauen dort, wo aktuell mehr Gräben aufgerissen werden zwischen fortschrittlich und konservativ, Stadt und Land, jung und alt, stark und schwach, reich und arm, Schweizer und Ausländer. Im Zentrum stehen die Freude am Singen und das singende Engagement für Dinge, die einem am Herzen liegen. StimmVolk-Gruppen singen – immer auch draussen im Leben, auf der Gasse, im Dorf, in der Natur – für eine Schweiz und eine Welt, die auch kommenden Generationen ein gutes Leben bieten kann. Dies zu ermöglichen in Anbetracht der aktuellen lokalen und globalen Herausforderungen setzt ein neues Gefühl von Verbundenheit unter uns Menschen in der Schweiz und in der ganzen Welt voraus, ein Zusammenstehen von Männern und Frauen mit unterschiedlicher Meinung im konstruktiven Ringen um kreative und gerechte gemeinsame Lösungen in existenziellen Fragen. Klarheit und Direktheit, aber auch Toleranz und die Fähigkeit des Zuhörens sind da gefragt; Schlechtmachen Andersdenkender und Überheblichkeit vertiefen die Gräben. In dem Sinn verpflichtet sich StimmVolk einer gewaltfreien Ethik des Herzens. Bildhafte Leitplanke dazu bildet auch ein georgisches Märchen, wo ein Drachen alle sich ihm im Kampf nähernden Männer bezwingt, sich aber berühren lässt vom natürlichen, herzhaften Gesang und der Musik eines einfachen Lautenspielers und ihm den begehrten Apfel des Lebens gibt.
Die meisten Lieder von StimmVolk sind eingängig und einfach zum Mitsingen. Beim Singen in der Öffentlichkeit hat es sich bewährt, Passanten und Passantinnen über eine Vielfalt des Repertoires neugierig zu machen, wer wir sind. Oft begegnen uns zuerst prüfende Blicke, weil man singende Gruppen im öffentlichen Raum fast nur kennt von der Heilsarmee, Fussballfans, Besoffenen, Schulkindern oder einer religiösen Gruppierung. Volkslieder aus der Schweiz und aus verschiedenen Kulturen, einfache Chants von indigenen Kulturen, neue englische oder deutsche Songs, auch mal ein ruhigeres, meditatives Lied. Immer mehr entstehen im StimmVolk auch neue Dialekttexte, oft auch zu Melodien bestehender Lieder, wie zu einem schönen Volkslied nach einem Text von Ernst Balzli:
Deheim vor üsem alte Huus
da steit e klare Brunne.
Wär het ihm goldigs Wasser gschänkt
und Silbertröpf a d’Röhre ghänkt?
Di alti liebi Sunne
Zwei der neuen Strophen gehen so:
Vil Technik u vil Überfluss
het üs dr Fortschritt brunge.
Doch wär het geng scho Strom verschänkt
wo mir no gar nid dra hei tänkt?
Di alti liebi Sunne
Vill Mönsche möchte, dass die Wäut
es Gschänk blibt o für die Jungä.
Wär het ne ds Härzensfüür entfacht
uf ihrem Wäg bi Tag u Nacht?
Di alti liebi Sunne
Ein gut gekleideter älterer Herr schlug vor, dass dieses Lied die neue Schweizer Hymne werden sollte. StimmVolk-Lieder sind oft optimistisch, zeigen Perspektiven auf, machen Hoffnung. Sie können aber auch kritisch, frech, direkt sein, darin aber nie anklagend und Schuld zuweisend, sondern gehen aus von persönlichen Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühlen. Klagelieder der Roma-Zigeuner Osteuropas sind sehr intensiv, benennen Gefühle von Verzweiflung, Not, Schmerz, Angst – und doch suchen sie keinen Schuldigen. Das gibt ihnen eine bewegende Kraft.
StimmVolk-Singgruppen haben beim Singen schon viel Berührendes erlebt: Der türkische Mann mit Tränen in den Augen, als wir eines seiner Lieblingslieder, einen philosophischen türkischen Schlager, gesungen haben. Auch er findet, dass das Singen die Menschen verbinden kann. Immer wieder Leute, die uns im Gespräch sagen, dass sie seit langem das erste Mal wieder gesungen haben – und das noch grad auf der „Gasse“. Die Winterthurer Gruppe macht letzthin ein „Wintergsang“-Klangbad an, wo Passantinnen und Vorbeikommende sich in fellbelegten Liegestühlen besingen lassen konnten – oder sie sang im Park vor einem Altersheim, wo eine sehr alte Frau nach jedem Lied wohlwollend aus dem Fenster winkte. Die Laupener Gruppe sang als „Sternsinger“ frühmorgens vor Häusern im kleinen Städtchen, um einen Morgen mit Gesang statt mit den alltäglichen Alltagsgeräuschen zu erleben. Beim Zusammenfluss von Saane und Sense hatten sie singend gute Begegnungen mit Jugendlichen, die dort mit ihrem Ghettoblaster waren.
Schon fünf regionale StimmVolk-Gruppen treffen sich regelmässig zum Singen (Basel, Winterthur, St. Gallen, Laupen BE und Lichtensteig SG). In nächster Zeit soll eine StimmVolk-Gruppe in Bern initiiert werden. Auf der StimmVolk-Webpage findet sich neben den wichtigsten Infos zum Projekt eine Sammlung von eingängigen Liedern, mit Text, Akkorden, Hintergrund und aufgesungenen Einzelstimmen, so dass man die Lieder auch zuhause singen und üben kann. Und eben: im Herbst lädt StimmVolk wohl zum ersten Grosssingen ein; wir wünschen uns 1001 Mitsingende, die auf einem Platz in einer grösseren Schweizer Stadt Lieder singen für EineWelt, Toleranz, Gerechtigkeit und Frieden.
Am Sonntag, 3. April 2011 lädt StimmVolk nachmittags zu einem offenen Singfest (mit vorgängiger GV des Vereins) in Winterthur ein (Flyer auf unserer Webpage).
Mehr zum Projekt, zu Singtreffen und Liedern mit Hörproben: www.stimmvolk.ch
Kontakt: Matthias Gerber, 052 222 79 62, [email protected]
Gott respektiert mich, wenn ich arbeite,
aber er liebt mich, wenn ich singe.
Tagore
Unterwegs in der Winterthurer Marktgasse höre ich von Ferne den Klang eines Appenzeller Naturjodels. Er zieht mich an wie weitere Menschen neben mir, ein älteres Ehepaar, eine Gruppe junger Ausländerinnen, eine Frau mit zwei Kindern. Eine grössere Gruppe Frauen und Männer stehen zusammen, mitten im geschäftigen Treiben der Stadt, und legen singend einen Akkordteppich. Darüber erhebt sich die Jodelstimme einer Frau. Es entsteht eine besondere Ruhe-Insel im Einkaufsrummel. Nach dem Jodel singt die Gruppe ein spanisches Volkslied und ein eingängiges afrikanisches Friedensmantra, in das wir alle mit einstimmen können. Das spontane Mitsingen bewegt mich, der ich in letzter Zeit kaum mehr gesungen habe. Die Freude der singenden Männer und Frauen steckt an.
Dieser Mann ist einer StimmVolk-Singgruppe begegnet. StimmVolk will mit gemeinsamem Singen Brücken bauen dort, wo aktuell mehr Gräben aufgerissen werden zwischen fortschrittlich und konservativ, Stadt und Land, jung und alt, stark und schwach, reich und arm, Schweizer und Ausländer. Im Zentrum stehen die Freude am Singen und das singende Engagement für Dinge, die einem am Herzen liegen. StimmVolk-Gruppen singen – immer auch draussen im Leben, auf der Gasse, im Dorf, in der Natur – für eine Schweiz und eine Welt, die auch kommenden Generationen ein gutes Leben bieten kann. Dies zu ermöglichen in Anbetracht der aktuellen lokalen und globalen Herausforderungen setzt ein neues Gefühl von Verbundenheit unter uns Menschen in der Schweiz und in der ganzen Welt voraus, ein Zusammenstehen von Männern und Frauen mit unterschiedlicher Meinung im konstruktiven Ringen um kreative und gerechte gemeinsame Lösungen in existenziellen Fragen. Klarheit und Direktheit, aber auch Toleranz und die Fähigkeit des Zuhörens sind da gefragt; Schlechtmachen Andersdenkender und Überheblichkeit vertiefen die Gräben. In dem Sinn verpflichtet sich StimmVolk einer gewaltfreien Ethik des Herzens. Bildhafte Leitplanke dazu bildet auch ein georgisches Märchen, wo ein Drachen alle sich ihm im Kampf nähernden Männer bezwingt, sich aber berühren lässt vom natürlichen, herzhaften Gesang und der Musik eines einfachen Lautenspielers und ihm den begehrten Apfel des Lebens gibt.
Die meisten Lieder von StimmVolk sind eingängig und einfach zum Mitsingen. Beim Singen in der Öffentlichkeit hat es sich bewährt, Passanten und Passantinnen über eine Vielfalt des Repertoires neugierig zu machen, wer wir sind. Oft begegnen uns zuerst prüfende Blicke, weil man singende Gruppen im öffentlichen Raum fast nur kennt von der Heilsarmee, Fussballfans, Besoffenen, Schulkindern oder einer religiösen Gruppierung. Volkslieder aus der Schweiz und aus verschiedenen Kulturen, einfache Chants von indigenen Kulturen, neue englische oder deutsche Songs, auch mal ein ruhigeres, meditatives Lied. Immer mehr entstehen im StimmVolk auch neue Dialekttexte, oft auch zu Melodien bestehender Lieder, wie zu einem schönen Volkslied nach einem Text von Ernst Balzli:
Deheim vor üsem alte Huus
da steit e klare Brunne.
Wär het ihm goldigs Wasser gschänkt
und Silbertröpf a d’Röhre ghänkt?
Di alti liebi Sunne
Zwei der neuen Strophen gehen so:
Vil Technik u vil Überfluss
het üs dr Fortschritt brunge.
Doch wär het geng scho Strom verschänkt
wo mir no gar nid dra hei tänkt?
Di alti liebi Sunne
Vill Mönsche möchte, dass die Wäut
es Gschänk blibt o für die Jungä.
Wär het ne ds Härzensfüür entfacht
uf ihrem Wäg bi Tag u Nacht?
Di alti liebi Sunne
Ein gut gekleideter älterer Herr schlug vor, dass dieses Lied die neue Schweizer Hymne werden sollte. StimmVolk-Lieder sind oft optimistisch, zeigen Perspektiven auf, machen Hoffnung. Sie können aber auch kritisch, frech, direkt sein, darin aber nie anklagend und Schuld zuweisend, sondern gehen aus von persönlichen Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühlen. Klagelieder der Roma-Zigeuner Osteuropas sind sehr intensiv, benennen Gefühle von Verzweiflung, Not, Schmerz, Angst – und doch suchen sie keinen Schuldigen. Das gibt ihnen eine bewegende Kraft.
StimmVolk-Singgruppen haben beim Singen schon viel Berührendes erlebt: Der türkische Mann mit Tränen in den Augen, als wir eines seiner Lieblingslieder, einen philosophischen türkischen Schlager, gesungen haben. Auch er findet, dass das Singen die Menschen verbinden kann. Immer wieder Leute, die uns im Gespräch sagen, dass sie seit langem das erste Mal wieder gesungen haben – und das noch grad auf der „Gasse“. Die Winterthurer Gruppe macht letzthin ein „Wintergsang“-Klangbad an, wo Passantinnen und Vorbeikommende sich in fellbelegten Liegestühlen besingen lassen konnten – oder sie sang im Park vor einem Altersheim, wo eine sehr alte Frau nach jedem Lied wohlwollend aus dem Fenster winkte. Die Laupener Gruppe sang als „Sternsinger“ frühmorgens vor Häusern im kleinen Städtchen, um einen Morgen mit Gesang statt mit den alltäglichen Alltagsgeräuschen zu erleben. Beim Zusammenfluss von Saane und Sense hatten sie singend gute Begegnungen mit Jugendlichen, die dort mit ihrem Ghettoblaster waren.
Schon fünf regionale StimmVolk-Gruppen treffen sich regelmässig zum Singen (Basel, Winterthur, St. Gallen, Laupen BE und Lichtensteig SG). In nächster Zeit soll eine StimmVolk-Gruppe in Bern initiiert werden. Auf der StimmVolk-Webpage findet sich neben den wichtigsten Infos zum Projekt eine Sammlung von eingängigen Liedern, mit Text, Akkorden, Hintergrund und aufgesungenen Einzelstimmen, so dass man die Lieder auch zuhause singen und üben kann. Und eben: im Herbst lädt StimmVolk wohl zum ersten Grosssingen ein; wir wünschen uns 1001 Mitsingende, die auf einem Platz in einer grösseren Schweizer Stadt Lieder singen für EineWelt, Toleranz, Gerechtigkeit und Frieden.
Am Sonntag, 3. April 2011 lädt StimmVolk nachmittags zu einem offenen Singfest (mit vorgängiger GV des Vereins) in Winterthur ein (Flyer auf unserer Webpage).
Mehr zum Projekt, zu Singtreffen und Liedern mit Hörproben: www.stimmvolk.ch
Kontakt: Matthias Gerber, 052 222 79 62, [email protected]
Gott respektiert mich, wenn ich arbeite,
aber er liebt mich, wenn ich singe.
Tagore
11. Februar 2011
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