Trauern! Aber nicht allein
Seelischen Schmerz in Lebendigkeit umwandeln
Trauer ist eine lebensfördernde Ressource. Diese Lebensenergie,
sagt der Trauerforscher Jorgos Canacakis, kann auf kreative Weise entdeckt
und entwickelt werden. Wem dies gelingt, gewinnt an Lebendigkeit.
Trauer braucht Publikum, muss gehört und verstanden werden. Trauern ist zwar individuell, aber auch sehr sozial. Jeder Mensch kann eine positive Haltung zu Trauergefühlen entwickeln und sich so vor Fehlentwicklungen im «emotionalen Haushalt» schützen. Denn Trauer ist ein Basisgefühl, das uns befähigt, mit allen schmerzlichenVeränderungen, die das Leben mit sich bringt, umzugehen; nicht nur, wenn jemand stirbt. Nutzt man das Potenzial der Trauer kreativ, erhält man Lebendigkeit, vielleicht gar ein neues Leben. Liebe und Trauer ergänzen sich, denn Liebe ist ohne Trauer keine Liebe.
Diese Thesen über die Trauer stammen vom namhaften Trauerforscher Jorgos Canacakis. Vielen Menschen mögen sie provozierend klingen und bei einigen auf Unverständnis stossen. Kein Wunder, leben wir doch in einer Gesellschaft, die für tiefe «emotionalen Ausbrüche» nicht viel übrig hat. Gefühle sind etwas für Film («Grosses Gefühlskino»), Stars und Bühne. Es scheint einfacher, mit der Pharmakeule zuzuschlagen oder sich in Coolness zu üben, als sich mit seinen Gefühlen auseinander zu setzen. Heute bleibt auch kaum mehr Zeit, um inne zu halten, wenn das Leben nicht so gelaufen ist, wie man sich vorgestellt hat. «Was heute als normal gilt, ist die grösste und unerkannteste Gefahr unserer Kultur», meint Canacakis, wir würden immer mehr zu «emotionalen Sparschweinchen».
Entwicklung braucht Fähigkeit zu trauern
Canacakis‘ Ziel ist aber nicht die Provokation, seine Vision ist eine andere: «Die Basis und grundsätzliche Haltung meines Lebens und meiner Arbeit ist Lebendigkeit. Diese Lebendigkeit für alles Menschliche und die Natur ist unantastbar und nicht verhandelbar.» Dem gebürtigen Griechen geht es um die persönliche Entwicklung: Trauerfähigkeit könne man ähnlich wie die Sprache entwickeln, und ohne diese Fähigkeit sei keine weitere Entwicklung möglich. In 30-jähriger Forschungsarbeit hat er ein so komplexes, wie einfaches Modell der Trauerumwandlung entwickelt. «Die meisten Fachleute und Wissenschaftler kennen Trauer nicht, es gibt auch keine besondere Forschung dazu. Es wird sogar ernsthaft gesagt, dass man mit Trauer gar nichts machen soll. Der grösste Fehler ist, dass man die Leute, die trauern, zu viel oder zu wenig in Therapie schickt. Dort befasst man sich dann mit der Depression, anstatt mit der Entwicklung der Trauerfähigkeit.» Trauer wird heute oft mit Depression, Schwermut oder mit Trübsinn und Kummer verwechselt und erhält irrtümlicherweise den Status einer Krankheit, die man behandeln soll. Die Trauer ist vielmehr ein Geschenk, eine Gabe der Evolution, so dass wir mit permanenten Veränderungen umgehen können. Auch alle Religionsgemeinschaften, so meint der Trauerforscher, helfen den Menschen nicht im Umgang mit ihrer Trauer. Statt die Auseinandersetzung mit Endlichkeit und Tod zu fördern, hätten die Religionen versucht, die Menschen zu trösten. «Sie sagten, habe keine Angst, wenn du tot bist, geht es dir besser. Das hat dazu geführt, dass wir immer mehr Angst vor der Trauer haben.»
Trauerrituale: Da geschieht etwas!
«Es ist nicht nur reine Theorie. Da geschieht etwas.» Das hört man von vielen, die die Seminare besucht oder die von Jorgos Canacakis entwickelte Ausbildung der «Myroagogik» (griech. myromai: weinen, klagen, trauern. Agogik: Anleitung, Begleitung) gemacht haben. Wer den Trauerforscher trifft, wird gleich von seiner Kreativität, seiner lebendigen und direkten Art angesteckt. Ohne Umschweife spricht der 71-jährige über das Wesentliche, Kraftausdrücke und neue Wortkreationen gehören dazu. All das macht seine Vorträge und Seminare lebendig, verständlich, überraschend und mitunter humorvoll. Natürlich wird auch geweint, aber das Grundthema ist die Selbstliebe und die Selbstfürsorge, es geht um die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Lebendigkeit, um ein Ausprobieren mit dem Körper und allen Sinnen. Sein Lebens- und Trauerumwandlungsmodell (LTUM) basiert allerdings nicht nur auf einer «theoretischen kosmologisch, anthropologisch und entwicklungspsychologischen Grundlage», sondern vor allem auf eigener Lebenserfahrung. Quellen sind seine langjährige Erfahrung als Opernsänger und -regisseur, seine Lehrtätigkeit an Universitäten und die therapeutische Arbeit, die Erfahrungen als Flüchtlingskind und als Vater eines behinderten Sohnes. Schon während der Ausbildung zum Psychologen und Therapeuten war er fasziniert von der Trauerkultur der Mani auf dem Peleponnes. «Ich wollte wissen, wie diese Menschen einem Verlust begegnen. Es ist die Gemeinschaft, die gemeinsam klagt, es gibt Klageweiber und -männer, die dichten und singen. Die Menschen halten sich, umarmen sich, sie sprechen miteinander. Sie achten darauf, dass kein Abdriften der Gefühle eintritt, sie halten Kontakt», umschreibt Canacakis das ritualisierte Vorgehen des südgriechischen Volkes. Der Trauernde bekommt Ohren, er wird gehört, er bekommt Augen, er wird gesehen, und bekommt Unterstützung und Gemeinschaft. Solche Nischen der Tradition, die altes und sinnvolles Brauchtum erhalten haben, findet man leider nur noch selten und auch auf dem Peleponnes drohen sie für immer zu verschwinden. Andere Quellen für Rituale sind antike Schriften und Abbildungen. Totenklagen sind Bestandteile uralter Bräuche und eine Urform menschlichen Ausdrucks. Es gab sie bei den Ägyptern, den Chinesen oder Juden, sogar bei prähistorischen Menschen, heute findet man sie noch bei wenigen Naturvölkern.
Trauern auf dem Dorfplatz
Da wir keine Vorbilder oder Modelle haben, hat Jorgos Canacakis die wichtigsten Aspekte aus dieser Trauerkultur unseren Verhältnissen angepasst. Die Seminarteilnehmer/-innen bilden die «solidarische Dorfgemeinschaft», alle sitzen sozusagen um einen Dorfplatz herum. Man kann im geschützten Rahmen seinen Verlust und die Trauer ausdrücken. Nur durch das Hineingehen in den Schmerz und das Ausdrücken vor anderen habe man die Chance, seine Angst vor den Gefühlen zu verlieren, so die Erfahrung. «Durch meinen Ausdruck bekomme ich Lebendigkeit. Das ist die lebensfördernde Trauer, somit haben wir im Trauerprozess einen Gewinn», so erklärt der Trauerforscher. Viele Teilnehmer/-innen schätzen diesen schützenden Raum, den ungehinderten Gefühlsausdruck, die Formung der Trauer und die Abgrenzung zum masslosen Trauern. Allerdings rät Canacakis auch: «Mach kein grosses Drama, sondern eine liebevolle Bekundung von Selbstliebe und Fürsorge für dich. Lass auf jeden Fall die Augen offen, sodass du das Gefühl hast, von allen gesehen zu werden, und dass du als Erwachsener mit offenen Augen Tränen und Gefühle zulassen kannst.» Der Verlust wird nochmal real erlebt und der Abschied gewagt. Die Schmerzen werden gelindert. Nachdem die Trauer fliessen konnte, ist plötzlich Platz geschaffen worden für andere Gefühle. Wer sich von Verlusten, das können Menschen, Tiere oder auch eigene Wunschbilder sein, verabschiedet hat, kann sich dann wieder dem eigenen Leben zuwenden.
Neben Körperübungen, Meditationen und kreativen Gestaltungen – die Trauer wird in Bilder, Worte, Sätze und Gedichte und Farben und Bewegung umgewandelt – spielen Rituale eine wesentliche Rolle. Als klar strukturierte, sichere Abläufe und symbolische Handlungen bringen sie die Trauer zum Fliessen, geben Struktur und Sicherheit. In einem besonderen Ritual zum Beispiel werden die verstorbenen Menschen besonders gewürdigt, indem man sich an sie durch innere Bilder erinnert, in Dialog tritt und sich von ihnen verabschiedet. In einem Feuerritual werden die Toten und alle Wunschbilder von Toten sowie das Ideal von sich selber auf einen Zettel geschrieben und dem Feuer zur Umwandlung übergeben. Dabei entstehen Licht, Wärme, Hitze, Rauch und Asche, die draussen in alle vier Himmelsrichtungen der Erde anvertraut werden. «Wir entlasten uns so von der Schwere der Trauer und geben sie dem Kreislauf des Werdens, des Vergehens und Neuwerdens zurück.».
Der Trauerforscher, Autor und Psychologe Dr. Jorgos Canacakis wurde 1935 in Griechenland geboren und lebt heute in Essen. In 30jähriger Forschungsarbeit hat er das Lebens- und Trauerumwandlungsmodell (LTUM) entwickelt. Es führt Menschen zur Selbstständigkeit und Selbstverantwortung.
Canacakis rief 1975 die «Akademie für Menschliche Begleitung» AMB in Essen ins Leben. 2005 gründete Monica Lonoce (*1961) in Zürich das «Jorgos Canacakis Institut» JCI. Sie ist MyroAgogik-Begleiterin/-Trainerin, Psychodrama Assistant Director und Autorin und führt eine eigene Praxis für Trauerumwandlung.
Das Angebot beider Institutionen umfasst drei- bis viertägige Basisseminare nach dem Konzept der Lebens- und Trauerumwandlung LTUM (Kreativer Umgang mit Trauer, Eltern auf neuen Lebenswegen nach dem Tod eines Kindes, Mit Kindern lachen und weinen) und weitere, auch professionelle Lehrgänge.
Kontakt:
AMB Akademie für menschliche Begleitung, Dr. Jorgos Canacakis, Goldammerweg 9, D-45134 Essen, Tel. (0049) 201 44 24 69, [email protected] – www.canacakis.de,
JCI Jorgos Canacakis Institut, Monica Lonoce, Postfach, 8053 Zürich, Tel. 043 819 37 34, [email protected] – www.jci-zuerich.ch
Vor kurzem ist das Buch «Die Welt ist voll von halben Enten» von Jorgos Canacakis erschienen. Im Mittelpunkt steht das kleine Entlein Kalliopi, das zum Leitbild aller wird. Trotz widriger und unglücklicher Umstände bereits am Anfang ihres Lebens entwickelt sich die kleine Kalliopi von einer «halben Ente zur ganzen Ente». Sie entdeckt die Hingabe der Erde, das Vertrauen in ihre Begleiter und den ganzen Reichtum ihrer Gefühle und Fähigkeiten. Erst danach kann sie Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen, getreu dem Motto: «Einer für alle, alle für einen – und ich für mich!»
Jorgos Canakakis: Die Welt ist voll von halben Enten – eine Entwicklungsreise für unsere Kultur. 2006, Orphikon Verlag, 336 S.. Fr. 64.-/Euro 38.-.
sagt der Trauerforscher Jorgos Canacakis, kann auf kreative Weise entdeckt
und entwickelt werden. Wem dies gelingt, gewinnt an Lebendigkeit.
Trauer braucht Publikum, muss gehört und verstanden werden. Trauern ist zwar individuell, aber auch sehr sozial. Jeder Mensch kann eine positive Haltung zu Trauergefühlen entwickeln und sich so vor Fehlentwicklungen im «emotionalen Haushalt» schützen. Denn Trauer ist ein Basisgefühl, das uns befähigt, mit allen schmerzlichenVeränderungen, die das Leben mit sich bringt, umzugehen; nicht nur, wenn jemand stirbt. Nutzt man das Potenzial der Trauer kreativ, erhält man Lebendigkeit, vielleicht gar ein neues Leben. Liebe und Trauer ergänzen sich, denn Liebe ist ohne Trauer keine Liebe.
Diese Thesen über die Trauer stammen vom namhaften Trauerforscher Jorgos Canacakis. Vielen Menschen mögen sie provozierend klingen und bei einigen auf Unverständnis stossen. Kein Wunder, leben wir doch in einer Gesellschaft, die für tiefe «emotionalen Ausbrüche» nicht viel übrig hat. Gefühle sind etwas für Film («Grosses Gefühlskino»), Stars und Bühne. Es scheint einfacher, mit der Pharmakeule zuzuschlagen oder sich in Coolness zu üben, als sich mit seinen Gefühlen auseinander zu setzen. Heute bleibt auch kaum mehr Zeit, um inne zu halten, wenn das Leben nicht so gelaufen ist, wie man sich vorgestellt hat. «Was heute als normal gilt, ist die grösste und unerkannteste Gefahr unserer Kultur», meint Canacakis, wir würden immer mehr zu «emotionalen Sparschweinchen».
Entwicklung braucht Fähigkeit zu trauern
Canacakis‘ Ziel ist aber nicht die Provokation, seine Vision ist eine andere: «Die Basis und grundsätzliche Haltung meines Lebens und meiner Arbeit ist Lebendigkeit. Diese Lebendigkeit für alles Menschliche und die Natur ist unantastbar und nicht verhandelbar.» Dem gebürtigen Griechen geht es um die persönliche Entwicklung: Trauerfähigkeit könne man ähnlich wie die Sprache entwickeln, und ohne diese Fähigkeit sei keine weitere Entwicklung möglich. In 30-jähriger Forschungsarbeit hat er ein so komplexes, wie einfaches Modell der Trauerumwandlung entwickelt. «Die meisten Fachleute und Wissenschaftler kennen Trauer nicht, es gibt auch keine besondere Forschung dazu. Es wird sogar ernsthaft gesagt, dass man mit Trauer gar nichts machen soll. Der grösste Fehler ist, dass man die Leute, die trauern, zu viel oder zu wenig in Therapie schickt. Dort befasst man sich dann mit der Depression, anstatt mit der Entwicklung der Trauerfähigkeit.» Trauer wird heute oft mit Depression, Schwermut oder mit Trübsinn und Kummer verwechselt und erhält irrtümlicherweise den Status einer Krankheit, die man behandeln soll. Die Trauer ist vielmehr ein Geschenk, eine Gabe der Evolution, so dass wir mit permanenten Veränderungen umgehen können. Auch alle Religionsgemeinschaften, so meint der Trauerforscher, helfen den Menschen nicht im Umgang mit ihrer Trauer. Statt die Auseinandersetzung mit Endlichkeit und Tod zu fördern, hätten die Religionen versucht, die Menschen zu trösten. «Sie sagten, habe keine Angst, wenn du tot bist, geht es dir besser. Das hat dazu geführt, dass wir immer mehr Angst vor der Trauer haben.»
Trauerrituale: Da geschieht etwas!
«Es ist nicht nur reine Theorie. Da geschieht etwas.» Das hört man von vielen, die die Seminare besucht oder die von Jorgos Canacakis entwickelte Ausbildung der «Myroagogik» (griech. myromai: weinen, klagen, trauern. Agogik: Anleitung, Begleitung) gemacht haben. Wer den Trauerforscher trifft, wird gleich von seiner Kreativität, seiner lebendigen und direkten Art angesteckt. Ohne Umschweife spricht der 71-jährige über das Wesentliche, Kraftausdrücke und neue Wortkreationen gehören dazu. All das macht seine Vorträge und Seminare lebendig, verständlich, überraschend und mitunter humorvoll. Natürlich wird auch geweint, aber das Grundthema ist die Selbstliebe und die Selbstfürsorge, es geht um die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Lebendigkeit, um ein Ausprobieren mit dem Körper und allen Sinnen. Sein Lebens- und Trauerumwandlungsmodell (LTUM) basiert allerdings nicht nur auf einer «theoretischen kosmologisch, anthropologisch und entwicklungspsychologischen Grundlage», sondern vor allem auf eigener Lebenserfahrung. Quellen sind seine langjährige Erfahrung als Opernsänger und -regisseur, seine Lehrtätigkeit an Universitäten und die therapeutische Arbeit, die Erfahrungen als Flüchtlingskind und als Vater eines behinderten Sohnes. Schon während der Ausbildung zum Psychologen und Therapeuten war er fasziniert von der Trauerkultur der Mani auf dem Peleponnes. «Ich wollte wissen, wie diese Menschen einem Verlust begegnen. Es ist die Gemeinschaft, die gemeinsam klagt, es gibt Klageweiber und -männer, die dichten und singen. Die Menschen halten sich, umarmen sich, sie sprechen miteinander. Sie achten darauf, dass kein Abdriften der Gefühle eintritt, sie halten Kontakt», umschreibt Canacakis das ritualisierte Vorgehen des südgriechischen Volkes. Der Trauernde bekommt Ohren, er wird gehört, er bekommt Augen, er wird gesehen, und bekommt Unterstützung und Gemeinschaft. Solche Nischen der Tradition, die altes und sinnvolles Brauchtum erhalten haben, findet man leider nur noch selten und auch auf dem Peleponnes drohen sie für immer zu verschwinden. Andere Quellen für Rituale sind antike Schriften und Abbildungen. Totenklagen sind Bestandteile uralter Bräuche und eine Urform menschlichen Ausdrucks. Es gab sie bei den Ägyptern, den Chinesen oder Juden, sogar bei prähistorischen Menschen, heute findet man sie noch bei wenigen Naturvölkern.
Trauern auf dem Dorfplatz
Da wir keine Vorbilder oder Modelle haben, hat Jorgos Canacakis die wichtigsten Aspekte aus dieser Trauerkultur unseren Verhältnissen angepasst. Die Seminarteilnehmer/-innen bilden die «solidarische Dorfgemeinschaft», alle sitzen sozusagen um einen Dorfplatz herum. Man kann im geschützten Rahmen seinen Verlust und die Trauer ausdrücken. Nur durch das Hineingehen in den Schmerz und das Ausdrücken vor anderen habe man die Chance, seine Angst vor den Gefühlen zu verlieren, so die Erfahrung. «Durch meinen Ausdruck bekomme ich Lebendigkeit. Das ist die lebensfördernde Trauer, somit haben wir im Trauerprozess einen Gewinn», so erklärt der Trauerforscher. Viele Teilnehmer/-innen schätzen diesen schützenden Raum, den ungehinderten Gefühlsausdruck, die Formung der Trauer und die Abgrenzung zum masslosen Trauern. Allerdings rät Canacakis auch: «Mach kein grosses Drama, sondern eine liebevolle Bekundung von Selbstliebe und Fürsorge für dich. Lass auf jeden Fall die Augen offen, sodass du das Gefühl hast, von allen gesehen zu werden, und dass du als Erwachsener mit offenen Augen Tränen und Gefühle zulassen kannst.» Der Verlust wird nochmal real erlebt und der Abschied gewagt. Die Schmerzen werden gelindert. Nachdem die Trauer fliessen konnte, ist plötzlich Platz geschaffen worden für andere Gefühle. Wer sich von Verlusten, das können Menschen, Tiere oder auch eigene Wunschbilder sein, verabschiedet hat, kann sich dann wieder dem eigenen Leben zuwenden.
Neben Körperübungen, Meditationen und kreativen Gestaltungen – die Trauer wird in Bilder, Worte, Sätze und Gedichte und Farben und Bewegung umgewandelt – spielen Rituale eine wesentliche Rolle. Als klar strukturierte, sichere Abläufe und symbolische Handlungen bringen sie die Trauer zum Fliessen, geben Struktur und Sicherheit. In einem besonderen Ritual zum Beispiel werden die verstorbenen Menschen besonders gewürdigt, indem man sich an sie durch innere Bilder erinnert, in Dialog tritt und sich von ihnen verabschiedet. In einem Feuerritual werden die Toten und alle Wunschbilder von Toten sowie das Ideal von sich selber auf einen Zettel geschrieben und dem Feuer zur Umwandlung übergeben. Dabei entstehen Licht, Wärme, Hitze, Rauch und Asche, die draussen in alle vier Himmelsrichtungen der Erde anvertraut werden. «Wir entlasten uns so von der Schwere der Trauer und geben sie dem Kreislauf des Werdens, des Vergehens und Neuwerdens zurück.».
Der Trauerforscher, Autor und Psychologe Dr. Jorgos Canacakis wurde 1935 in Griechenland geboren und lebt heute in Essen. In 30jähriger Forschungsarbeit hat er das Lebens- und Trauerumwandlungsmodell (LTUM) entwickelt. Es führt Menschen zur Selbstständigkeit und Selbstverantwortung.
Canacakis rief 1975 die «Akademie für Menschliche Begleitung» AMB in Essen ins Leben. 2005 gründete Monica Lonoce (*1961) in Zürich das «Jorgos Canacakis Institut» JCI. Sie ist MyroAgogik-Begleiterin/-Trainerin, Psychodrama Assistant Director und Autorin und führt eine eigene Praxis für Trauerumwandlung.
Das Angebot beider Institutionen umfasst drei- bis viertägige Basisseminare nach dem Konzept der Lebens- und Trauerumwandlung LTUM (Kreativer Umgang mit Trauer, Eltern auf neuen Lebenswegen nach dem Tod eines Kindes, Mit Kindern lachen und weinen) und weitere, auch professionelle Lehrgänge.
Kontakt:
AMB Akademie für menschliche Begleitung, Dr. Jorgos Canacakis, Goldammerweg 9, D-45134 Essen, Tel. (0049) 201 44 24 69, [email protected] – www.canacakis.de,
JCI Jorgos Canacakis Institut, Monica Lonoce, Postfach, 8053 Zürich, Tel. 043 819 37 34, [email protected] – www.jci-zuerich.ch
Vor kurzem ist das Buch «Die Welt ist voll von halben Enten» von Jorgos Canacakis erschienen. Im Mittelpunkt steht das kleine Entlein Kalliopi, das zum Leitbild aller wird. Trotz widriger und unglücklicher Umstände bereits am Anfang ihres Lebens entwickelt sich die kleine Kalliopi von einer «halben Ente zur ganzen Ente». Sie entdeckt die Hingabe der Erde, das Vertrauen in ihre Begleiter und den ganzen Reichtum ihrer Gefühle und Fähigkeiten. Erst danach kann sie Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen, getreu dem Motto: «Einer für alle, alle für einen – und ich für mich!»
Jorgos Canakakis: Die Welt ist voll von halben Enten – eine Entwicklungsreise für unsere Kultur. 2006, Orphikon Verlag, 336 S.. Fr. 64.-/Euro 38.-.
25. April 2007
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