Geri Müller, seit dem 7. Oktober bombardieren die Israeli Gaza pausenlos. Stand heute wurden 7000 Menschen ermordet. Israel hat die Zufuhr von Wasser, Nahrung und Energie in das eingesperrte Gebiet so gut wie ganz unterbunden. Müssen wir hier von Völkermord sprechen?
Geri Müller: Wenn sich nicht ganz rasch etwas ändert, geschieht hier wirklich vor den Augen der Weltöffentlichkeit und mit deren Billigung ein Genozid. Die Lebensbedingungen im okkupierten Gaza waren schon vor den Angriffen eine Katastrophe. Jetzt fehlt es an allem Überlebenswichtigem. Babys und Kinder sterben nicht nur unter dem Bombenhagel, sondern an Schwäche, weil sie weder sauberes Wasser noch genügend Nahrung erhalten. Israel hat in drei Wochen 20 Laster mit Lebensnotwendigem durchgelassen. Normalerweise sind es 900 Laster täglich.
Dazu kommt, dass nicht nur Gaza beschossen wird. Im Westjordanland machen Siedler Jagd auf Palästinenser in den Dörfern und töten oder vertreiben sie, indem sie auch Häuser anzünden.
Nun droht Israel täglich mit der Bodenoffensive. Sie hat die Bevölkerung gezwungen, vom Norden in den Süden zu fliehen. Aber dort gibt es nichts, keine Behausung, kein Essen, kein Wasser und Strom, kein Benzin. Auch nach Ägypten können sie nicht fliehen. Der ägyptische Präsident Abdelfattah Al-Sissi lässt die Bevölkerung nicht durch den Rafah-Übergang zwischen Ägypten und Gaza passieren. Macht sich Ägypten nicht mitschuldig an den Grausamkeiten gegenüber den Palästinensern?
Das würde ich so nicht sagen. Ägypten hat signalisiert, dass es Hilfsmittel in den Gazastreifen durchlassen würde, aber Israel lässt die LKW nur tröpfchenweise hinein. Allerdings weigert sich Ägypten, die Palästinenser aufzunehmen, weil es weiss, dass Israel ihnen die Rückkehr nie mehr erlauben würde. Auch die Palästinenser, die während der Nakba im Jahre 1948 nach Jordanien, in den Libanon oder nach Jordanien geflohen sind, können trotz UNO-Rückkehrrecht nicht zurück. Durch seine Weigerung macht Ägypten darauf aufmerksam, dass für den Konflikt eine andere Lösung gefunden werden muss. Übrigens hat sich Ägypten gegenüber den Palästinensern korrekt verhalten, was zum Beispiel die Nahrungsmittel betrifft, die die UNWRA für jene spendiert hat. Es hat die grossen Vorräte nie angetastet, auch wenn das eigene Volk Hunger gelitten hat.
Israel kann Millionen für Propaganda ausgeben. Ein Narrativ besteht darin, dass Kritik am Staat Israel gleich Antisemitismus ist. Oder dass Solidarität mit Palästina bedeutet, Islamisten zu unterstützen. Was kann da eine kleine Gesellschaft Schweiz Palästina (GSP) ausrichten?
Unsere Werte sind Beständigkeit und Klarheit. Seit der Gründung der GSP haben wir uns immer klar gegen die Lösung mit Gewalt ausgesprochen. Wir haben immer gesagt, dass die Palästinenser durch die Nakba von ihrer Heimat vertrieben worden sind. Wir sprechen aber auch Klartext bezüglich der Besatzung – auch wir nennen sie Apartheid – und den zahlreichen Menschen- und Völkerrechtsverbrechen. Jene, die keine Gegenargumente finden, nennen uns dann Antisemiten. Die GSP ist ein Verein mit wenig Finanzen. Dennoch werden wir ernst- und wahrgenommen. Unsere Projekte sind in Palästina und in der Schweiz sehr geschätzt.
Damit verurteilst du auch klar die Morde durch die Hamas an der israelischen Bevölkerung am 7. Oktober.
Natürlich verurteile ich diese Gewalttaten, wobei man unterscheiden muss: Die Hamas ist ursprünglich eine soziale Bewegung, die, ähnlich wie die Muslimbrüderschaft in Ägypten, die Armen unterstützt.
Ja, die Angriffe hat der militärische Arm der Hamas, die Al-Qassam-Brigaden, durchgeführt.
Stimmt, und zudem auch andere radikale Gruppierungen. Die GSP hat gefordert, eine unabhängige internationale Kommission solle die entsprechenden Individuen vor Gericht stellen. Eine Kollektivstrafe für die Menschen im Gazastreifen ist völkerrechtlich nicht erlaubt.
Die GSP hat seit dem Beginn der Angriffe auf Gaza Demos in allen grossen Schweizer Städten mitorganisiert.
Sehr viele Menschen, die sich vorher nicht für die GSP interessiert haben, melden sich bei mir und wollen etwas für die Palästinenser tun. Es sind viele Gruppen entstanden, auch sehr junge Menschen möchten helfen. Das ist sehr erfreulich. Es braucht aber viel Koordination. Schon die Einholung der Demonstrationsbewilligungen ist schwierig. Ein paar Pro-Palästina-Kundgebungen wurden ja auch verboten. An diesem Wochenende werde ich wohl in Bern und Lausanne sein.
Du hältst an allen Orten Reden?
Bis jetzt habe ich in Bern zugesagt. Wir haben aber beraten, unterstützt und neuen Gruppierungen geholfen.
Palästina-Kundgebungen diesen Samstag:
Zürich, 14.00 Helvetiaplatz
Bern, 14.00 Bundesplatz
Lausanne, 15.30
Im Zeitpunkt bisher erschienen:
125 Jahre Zionistenkongress – gedenken statt feiern!
Immer mehr palästinensische Kinder in der Westbank werden getötet