Der 25. Februar 2023 hätte der Beginn einer wunderbaren Begegnung zwischen der politischen Ikone Wagenknecht und einer neuerwachten Friedensbewegung werden können. Es war der Tag an dem sich mehr als 50.000 Menschen im kalten Schneeregen vor dem Brandenburger Tor in Berlin versammelt hatten, um „ihrer Sahra“ zuzujubeln.
Zusammen mit Alice Schwarzer hatte sie zuvor das „Manifest für den Frieden“ veröffentlicht, in dem ein Jahr nach Beginn des Ukrainekriegs Klartext geredet wurde: An die Stelle des Gemetzels müsse wieder die Diplomatie treten. Gefordert wurden ein Waffenstillstand und der Beginn von Friedensverhandlungen.
Knapp eine Million Menschen haben das Manifest bis heute unterschrieben. Die Führung der Linkspartei hatte es hingegen ignoriert, sich auch von der Demonstration ferngehalten und damit selbst ins Abseits gestellt. Der Weg war frei für Wagenknecht.
Es lag Aufbruchstimmung in der Luft. Und es war klar, dass es einen Neubeginn nur außerhalb der Linkspartei geben könne. Der 25. Februar 2023 kann daher rückblickend als der eigentliche Gründungstag des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) angesehen werden, auch wenn die Partei erst am 8. Januar 2024 entstand.
Nur zwei Jahre später ist der Traum von einer neuen, konsequenten Friedenspartei geplatzt: Das BSW scheiterte – wenn auch denkbar knapp – bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025. Zwar verfügt es noch über Fraktionen in drei ostdeutschen Landtagen, doch die gehen ihre eigenen Wege, sind in Thüringen und Brandenburg in Koalitionen mit CDU bzw. SPD als Juniorpartner eingebunden oder tolerieren – wie in Sachsen - eine CDU-Regierung.
Auch war das BSW bereits im Juni 2024 mit sechs Abgeordneten in das Europäische Parlament eingezogen. Doch in Deutschland merkt man davon wenig. Ein Europaabgeordneter verlies inzwischen sogar die Partei.
Nach jenem 25. Februar 2023 gab es weitere Möglichkeiten der Begegnung der Ikone Wagenknecht mit der Friedensbewegung: Auf Kundgebungen am 4. November 2023 sowie am 3. Oktober 2024 war sie erneut die Hauptrednerin. Die Zuhörer und unzählige weitere Menschen im Land waren bereit, mehr zu tun, wollten sich für das Gelingen des Projekts engagieren, wollten sich unter Führung von Wagenknecht organisieren.
Doch daraus wurde nichts. Man zeigte ihnen die kalte Schulter. Tausende Anträge auf Mitgliedschaft blieben liegen. Bereits wenige Tage nach Gründung sollen 8.000 Aufnahmeanträge vorgelegen haben. Später wurde die Zahl von 15.000 genannt. Die meisten Antragsteller haben bis heute nicht einmal eine Absage erhalten!
Und so hatte das Bündnis am Tag der Bundestagswahl lediglich 1.300 Mitglieder. Im Flächenland Bayern mit mehr als 13 Millionen Einwohner sind es bis heute nicht viel mehr als 50. Selbst dort, wo das BSW, wie in Brandenburg und Thüringen, Regierungsverantwortung trägt, sind es nur wenige Dutzend.
Und in Hamburg, einer Stadt mit einer traditionell starken linken Szene, wurde ein Landesverband erst Ende 2024 gegründet. Ein ganzes Jahr hatte man dort gebraucht, um gerade einmal 30 Mitglieder aufzunehmen. Bei der Bürgerschaftswahl am 2. März 2025 erreichte das Hamburger BSW dann auch nur 1,8 Prozent und lag damit noch hinter der Kleinpartei Volt.
Lediglich Unterstützer für Wahlkampfstände und für das Aufhängen von Plakaten wurden gesucht, und natürlich Spender! Mit ihrer rigiden Aufnahmepraxis verpasste so die Partei das Momentum, den friedenspolitischen Aufschwung für sich zu nutzen.
Im Bundestagswahlkampf machte sich das Fehlen der Mitgliederbasis schmerzlich bemerkbar. Ein Wahlkampf in der Fläche kann eben nicht einfach so mit den Mitteln der vom BSW engagierten Münchner Design- und Werbeagentur Iconemy bestritten werden. Eine Agentur übrigens, die sonst Siemens, Cartier und BMW vermarktet.
Erwartet wird vielmehr die personelle Präsenz, und hier nicht alleine in den großen Städten, sondern auch und gerade in den vielen Kleinstädten und auf dem flachen Land. Doch mangels Mitglieder kandidierte das BSW nur in wenigen, großstädtischen Wahlkreisen mit Direktkandidaten.
Wahlkampf findet aber in erster Linie vor Ort statt, in den vielen Diskussionsrunden die Sozialverbände, Sportvereine, Kirchengemeinden, Mieterorganisationen, Schulklassen und andere mit den Vertretern der Parteien durchführen.
Hier blieb der Platz des BSW regelmäßig leer. Mangels Direktkandidaten führte das BSW auch keinen Haustürwahlkampf durch, ein Wahlkampfmitttel, das diesmal vor allem Die Linke erfolgreich einsetzte.
Die parteioffizielle Begründung für die Zurückweisung der vielen Begehren nach Mitgliedschaft lautete, dass man nur so Unterwanderungsversuchen, etwa der AfD, sowie zerstörerische Fraktionsauseinandersetzungen verhindern könne.
Innerparteiliche Kämpfe hat es dennoch gegeben. Und sie gingen ausgerechnet von Mitgliedern aus, die von der Führung der Partei zur Teilnahme am Parteienprojekt eingeladen worden waren, etwa in Hamburg, wo zwei Gründungsmitglieder nach einem Jahr vergeblichen Wartens auf eigene Faust einen Landesverband gründen wollten und umgehend mit einem Parteiausschlussverfahren überzogen wurden. Auch der aus dem BSW ausgetretene Europaabgeordnete Friedrich Pürner war von der Parteiführung ausdrücklich zur Kandidatur eingeladen worden.
Tatsächlich verstand sich das BSW von Beginn an als ein elitäres Projekt einer kleinen Gruppe früherer Politiker der Partei Die Linke, die sich geschworen hatte, unbedingt unter sich bleiben zu wollen. Für diese Closed-Shop – Politik der Führung waren denn auch andere Gründe als Angst vor Unterwanderung maßgebend.
Doch über diese Gründe spricht man nicht gern, hatte diese Praxis doch den unschätzbaren Vorteil, dass man bei der Verteilung von Posten, ging es nun um Mandate für Abgeordnete oder gar Regierungsämter, unter sich bleiben konnte. Deshalb wurden nicht wenige politisch erfahrene und bekannte linke Persönlichkeiten aus dem BSW gezielt herausgehalten, fürchtete man sie doch als Konkurrenten um lukrative Posten. Selbst enge Mitstreiter Wagenknechts aus Zeiten der Grabenkämpfe in der Linkspartei mussten vor der Tür bleiben.
Die problematische Ausrichtung der Partei als neue „sozialkonservative“ Kraft konnte angesichts einer solch homogenen, kleinen Mitgliedschaft ohne Probleme durchgesetzt werden. Selbst die obskure Forderung des Wahlprogramms nach einer Bundesregierung, bestehend aus einem „Kompetenz-Kabinett aus Fachleuten“, die ausdrücklich keiner Partei angehören sollten, wurde kritiklos akzeptiert.
Die zwei bisherigen Parteitage des BSW waren denn auch nicht mehr als aufwändig inszenierte, blutleere Veranstaltungen, auf denen nicht diskutiert, sondern lediglich akklamiert wurde.
Es gab nicht wenige BSW-Sympathisanten, die lange vor den Bundestagswahlen mit Sorge auf die Versäumnisse und Fehler beim Parteiaufbau hingewiesen hatten. Solche Bedenken finden sich auch in drei Artikeln von mir: „Das Bündnis Sahra Wagenknecht: Eine Partei ohne Mitglieder“ vom 05.10.2024 sowie „Den Volksparteien laufen die Mitglieder weg. Und das Bündnis Sahra Wagenknecht will sogar ohne sie auskommen“ vom 18.12.2024. Und schließlich: „Das Bündnis Sahra Wagenknecht – war es das etwa schon?“ vom 17.01.2025. Die zentralen Aussagen aus diesen Beiträgen wurden in dem hier vorgelegten Artikel noch einmal zusammengefasst.
Nach der Niederlage bei den Bundestagswahlen gibt es kaum noch Hoffnung für das Projekt BSW, fehlt es doch an einer Parteiorganisation, die einen solchen Rückschlag auffangen könnte. Zwar erklärt der Berliner Landesverband in einem Rundschreiben nach der Wahl unter der trotzigen Überschrift „Jetzt erst Recht“: „Wie unsere Vorsitzende Sahra Wagenknecht schon angekündigt hat, wird der Aufnahmeprozess nach der Wahl beschleunigt werden (…)“ Doch wer will jetzt überhaupt noch in diese Partei eintreten?