Was Frauen wirklich wollen

Tabu ist alles, worüber wir uns nicht öffentlich unterhalten wollen: Tod, Gewalt und natürlich Sex – was wir Frauen oft gleich mehrfach tabuisieren.

«Meine Freundin war entsetzt, als sie einen meiner erotischen Romane gelesen hatte», erzählt Autorin Lilly Grünberg, deren Protagonistinnen sich ausgesprochen gern dominieren lassen. «Entsetzt darüber, dass ihr sowas gefallen hat!» Frauen haben häufig Unterwerfungsfantasien – aber vielen fällt es schwer, sich das einzugestehen. Es passt einfach nicht zum Bild der selbstbestimmten, emanzipierten Frau, die «auf Augenhöhe» vögelt. Unterwürfig, das sind Mäuschen wie Anastasia Steele, die Heldin von «Fifty Shades», die im letzten Teil der Film-trilogie, «Befreite Lust», ihren Master heiratet – und damit nicht dominiert, aber immerhin domestiziert.

Wenn eine Frau ihre Lust ausleben will, hat sie sich nach wie vor gegen hartnäckige Klischees zu behaupten: sie würde Sex immer mit Emotionen verknüpfen oder sei von Natur aus monogam veranlagt und das zahme, weniger «animalische» Geschlecht. Völlig falsch, meint der amerikanische Journalist Daniel Bergner, der in Gesprächen mit Sexualforschern feststellte, dass Frauen auf deutlich vielfältigere Weise erregbar sind als Männer. In Versuchen zeigten die Probandinnen messbare körperliche Erregung beim Betrachten von erotischen – hetero- wie homosexuellen – Fotos und Pornos und auch bei der Vorstellung von Sex mit Fremden. Später darüber befragt, leugneten sie aber diese Symptome der Lust und gaben an, nur da Erregung zu spüren, wo sie «akzeptabel» war: als Heterofrau beim Betrachten von Hetero-Pornos und beim Fantasiesex mit Männern, die sie kannten.

«Das weibliche Verlangen – in seiner angeborenen Bandbreite und Stärke – ist eine unterschätzte und unterdrückte Kraft», meint Bergner. «Und das selbst in unserer übersexualisierten und vermeintlich so freizügigen Zeit.» Die weiblichen Triebe werden nach wie vor geleugnet – und zwar oft von den Frauen selbst, die nicht immer wissen, was sie wirklich wollen oder wollen dürfen oder wollen sollen. Wir haben die gesellschaftlichen Restriktionen meist so verinnerlicht, dass wir uns selbst zensieren und nicht wagen, der eigenen Wahrnehmung zu trauen. Die Wiener Sexualtherapeutin Dr. Elia Bragagna erklärt: «Man schätzt die selbstbewusste ‹offene Frau›, aber nicht die ‹Schlampe›». Hure oder Madonna sind nach wie vor klassische Rollen, in denen wir Frauen seit Ewigkeiten festhängen – und zwar nicht so lustvoll wie in einem Sling. «Die Freude an sich selbst, an der sinnlichen Erfahrung des eigenen Körpers beginnt eigentlich schon im Kindesalter», sagt Bragagna. «Jede Frau sollte schon in der Kindheit den eigenen Körper kennenlernen – und später, in der Pubertät, kann sie dann die Feinjustierung vornehmen. Aber die Eltern unterdrücken das oft.» Für die Therapeutin kommt es einem  «Verbrechen» gleich, dass die meisten Frauen dadurch erst in späteren Jahren auf die Suche nach ihrer eigenen Lust gehen. Und selbst dann würden sie sich oft an den Massstäben männlicher Sexualität orientieren. Im Zweifelsfall, wenn es hart auf hart kommt, fliehen sie in die Lustlosigkeit, weil sie ihre eigene Lust nie wirklich erforscht und kennengelernt haben.

«Es gibt noch immer so viele weibliche Tabus», stellt Bragagna fest. Und die sitzen zwischen den Ohren, gleich ob als frühkindliche Prägung oder Gesellschaftsdoktrin. Entscheidend ist, was die Frau selbst als Tabu bewertet. Es mag banal erscheinen, wenn sie beim Sex unbedingt das Licht ausmachen muss oder sich scheut, oral verwöhnt zu werden – aber für die Betroffenen selbst liegt jede Hemmung, gleich welcher Art, wie ein Klotz auf dem Weg zur sinnlichen Lebensqualität. Wenn eine Frau nicht weiss, wie sie sich selbst einen Orgasmus verschaffen kann, gibt sie die Verantwortung dafür an ihren Partner ab, den sie damit überfordert. Wie soll der auch wissen, wie er ihr Lust bereiten kann, wenn sie selbst nicht weiss, was sie antörnt? Und abgucken gilt nicht, weder bei Freundinnen noch beim Fernsehen, denn jede Frau fährt auf etwas anderes ab. Das Inanspruchnehmen der eigenen sexuellen Kompetenz, das Erfahren der individuellen Lust jenseits vorgefertigter Klischees und Erwartungshaltungen ist eine Aufgabe, die uns niemand abnehmen kann. Zum Glück aber eine, die durchaus Spass macht! Es braucht auch niemand zu erfahren, was uns antörnt – solange wir es selbst wissen.

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