Wegschreiben statt abschreiben

Es gibt viele Arten, mit der Finanzkrise umzugehen, aber nur eine ist richtig: Abschreiben, und zwar gründlich. Das Vorgehen wäre zwar richtig, aber – seien wir ehrlich! – so schmerzhaft, dass es so gut wie undurchführbar ist. Die Abschreibung muss sich gewissermassen selber vollstrecken.

Also wählen die Banker und Politiker einfachere, aber falsche Methoden. Und je länger sie diese Methoden anwenden, desto falscher werden sie, sodass sie schlussendlich gar nicht mehr als solche erkennbar sind, so falsch sind sie.

Sie erinnern sich: Als die Finanzkrise 2007 ausbrach, dachte man, nach ein paar Verlusten würde es Markt schon wieder richten. Tat er nicht. Dann wurden die Zinsen gesenkt, damit über neue Kredite frisches Geld in die Finanzwirtschaft fliesse. Der Rückgang setzte sich fort. Also begannen die USA 2008, gefährdete Unternehmen wie die Hypotheken-Giganten Fannie Mae oder Freddie Mac zu übernehmen. Die Briten taten es ihnen gleich. Half auch nichts. Im Oktober spannten Angela Merkel und Peer Steinbrück ihren berühmten Schutzschirm auf und garantierten sämtliche Sparguthaben. Das Vertrauen wollte sich nicht wieder einstellen. Dann kaufte die Schweizerische Nationalbank den maroden Banken faule Papiere im Wert von Hunderten von Milliarden ab. Immer noch keine Erholung.

Vor kurzem nun veranschlagte der Internationale Währungsfonds IWF das Volumen der toxischen Papiere in den Bilanzen amerikanischer Banken und Versicherungen auf 3,1 Billionen Dollar. Im Januar lag die Schätzung derselben Organisation (die nach dem G-20-Gipfel das Weltfinanzsystem sanieren soll) noch bei 2,2 Billionen – eine Steigerung von 40,9 Prozent in drei Monaten! Weltweit liegen gemäss IWF Ramschpapiere im «Wert» von 4 Billionen in den Bankbilanzen. Mehr als ihr Eigenkapital. Damit ist das weltweite Bankensystem klinisch tot und müsste eigentlich Konkurs anmelden. Damit das Unvorstellbare nicht Tatsache wird, werden diese uneinlösbaren Forderungen nun nach allen Regeln der Kunst aus den Bilanzen gemogelt. Im G-20-Jargon heisst das dann «Transparenz» oder, um Angela Merkel wörtlich zu zitieren: «Kein Produkt, kein Akteur und kein Ort auf der Welt dürfen ohne Transparenz und Regulierung davonkommen.» Wenn die Politiker ihren Mund zu voll nehmen, tritt erfahrungsgemäss das Gegenteil ein. So fasziniert war die Welt von der Versammlung der Zwanzig, dass ihr ein viel wichtigerer Beschluss des amerikanischen (privaten) «Financial Accounting Standards Board» fast vollständig entging. Die FASB beschloss nämlich, dass die Banken ihre toxischen Wertpapiere nicht mehr zum Marktwert (der ohne Markt ohnehin nicht zu bestimmen ist), sondern nach eigenem Gutdünken bilanzieren dürfen. Ihr europäisches Pendant, das «Int. Accounting Standards Board» IASB wird nachziehen müssen, da die amerikanischen Banken in diesem Tanzwettbewerb der Scheintoten zu gute Figur machen würden. Auch die IASB in London ist übrigens privat, was die EU-Kommission nicht daran hindert, ihre Standards als verbindliches EU-Recht zu erklären (seit 2000). Die nun legalen Luftbuchungen werden dem Bankensektor mit Sicherheit wieder etwas Luft verschaffen, wenigstens für ein paar Wochen und Monate. Dann muss die Menschheit mit einem noch schlaueren Falschspielertrick geblendet werden.
Die so genannten «Bad Banks», die jetzt allenthalben entstehen, sind übrigens auch nicht mehr als ein Buchhaltungstrick. Weil sie nicht den Bilanzierungsvorschriften der Banken unterstehen, dürfen sie die toxischen Papiere zu höheren Werten verbuchen. Den unvermeidlichen Verlust tragen natürlich die Steuerzahler.

Jetzt wissen wir also, wie die Finanzkrise gelöst wird: wegschreiben statt abschreiben. Wie die wirkliche Abschreibung meiner Ansicht nach verlaufen wird, möchte ich Ihnen auch noch verraten: Vor den Banken bilden sich lange Schlangen, die ersten drei erhalten (vielleicht) etwas Geld, die anderen 997 werden nach Hause in ihre ungeheizten Stuben vor die Fernseher geschickt, aus denen Brown, Sarkozy, Merkel und wie sie alle heissen ihre neusten Pläne zur Lösung der Finanzkrise verkünden: die grosse Abschreibung, nach ihren Regeln.
18. April 2009
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