Weil Menschen keine Mäuse sind

Mindestens 90 Prozent aller Medikamente, die weltweit an Tieren erfolgreich getestet wurden, fallen bei Menschen durch. Trotzdem erfährt die Forschungsmethode in der Wissenschaft noch immer breite Akzeptanz. Die Tierversuchsverbots-Initiative will dies nun ändern.

Foto: Ed Schipul/Flickr

Ratten, denen der Bauch durchlöchert wird, Mäuse, die ausgehungert werden oder mit Stromstössen gezwungen, bis zur völligen Erschöpfung zu laufen, Primaten im Schraubstock, die nur zu trinken bekommen, wenn sie sich nicht wehren. Sind das Verbrechen? Nein, jedenfalls noch nicht. «Viele Tiere sterben einen qualvollen, einsamen und häufig vollkommen sinnlosen Tod», sagte Simon Kälin-Werth Anfang Oktober in Bern. Dort stellte er zusammen mit weiteren Komiteemitgliedern die Initiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt» vor. Rund 80 Organisationen und Unternehmen unterstützen das Anliegen – darunter Vertreter von SP und Grünen sowie verschiedene Tierschutzgruppen und Tierparteien. Ziel der Initiative ist es, Tierversuche als Quälerei und Verbrechen einzustufen. Auch Versuche an Menschen sollen verboten werden.

«Uns wird noch immer vorgemacht, ohne Tierversuche gebe es keine Sicherheit», sagt Luzia Osterwalder vom Initiativkomitee. Genaueres Hinsehen zeige jedoch eine andere Realität: «åMindestens 90 Prozent aller Medikamente, die weltweit an Tieren erfolgreich getestet wurden, fallen bei Menschen durch.» Ein bekanntes Beispiel ist das Beruhigungsmittel Contergan, das bei den Versuchstieren funktionierte, bei ungeborenen Kindern jedoch schwere Missbildungen hervorrief. Oder das Schmerzmittel Paracetamol, das bei Tests mit Katzen zu Vergiftungen führte, Menschen jedoch problemlos vertragen.

Man muss kein Tierschützer sein, um die Frage zu stellen, ob uns im Zeitalter der beinahe grenzenlosen technischen Möglichkeiten keine anderen Forschungsmethoden einfallen.

Mäuse sind eben keine Menschen, das sollte wenig überraschen. Zwar haben früher teils auch Tierversuche zu wichtigen Erkenntnissen geführt. «Aber früher hat auch die Autoindustrie Crash-Tests mit Tieren durchgeführt»˛ kontert Osterwalder. Jedenfalls stammt die Methode aus Zeiten, in denen es noch keine entwickelten Computer gab. Man muss kein Tierschützer sein, um die Frage zu stellen, ob uns im Zeitalter der beinahe grenzenlosen technischen Möglichkeiten keine anderen Forschungsmethoden einfallen.

«Forschungsmethoden ohne Tierversuche gibt es schon», sagt Osterwalder, «aber sie werden nicht finanziell gefördert.» So könnten in Computermodellen innert kurzer Zeit Tausende von Substanzen getestet werden, wofür im Tierversuch Jahre benötigt würden. Abhilfe schaffen könnten auch sogenannte Bio-Dummy-Systeme. Diese sind computergestützt und funktionieren auf der Grundlage von menschlichen Zellen und Geweben. Viele Kosmetikhersteller sind etwa in den letzten Jahren auf Zellkulturen umgestiegen, bei denen sie auf gezüchteter Haut testen, wie weit ein Wirkstoff in die Hautschichten eindringt – und dafür keine Kaninchen mehr verwenden müssen. Daher verlangt die Initiative auch: mehr Zeit und Forschungsgelder für tierversuchsfreie Methoden. Immerhin sind Tierversuche in der Schweiz im Vergleich zu früher zurückgegangen. Im Jahr 1983 wurden fast zwei Millionen Tiere für Versuche benutzt. Heute sind es noch 630’000.

Das Initiativkomitee fordert aber einen radikalen Wandel. «Wir sollten endlich aufhören in Irrtümer zu investieren», so Osterwalder. Deshalb setzt das Komitee mit der Abstimmung nun auf die Zivilgesellschaft. Nach einem «Ja» vom Volk sollen auch der Handel sowie die Ein- und Ausfuhr von Produkten verboten werden, für die Tierversuche durchgeführt werden mussten. Die Schweiz könne so «international ein Vorzeigebeispiel» sein und sich durch eine «ethisch hochstehende» Forschung auszeichnen. Dass im Jahr 1992 bereits eine Initiative gegen Tierversuche vor dem Volk gescheitert ist, beeindruckt die Initianten nicht. «Damals waren die technischen Möglichkeiten noch nicht soweit ausgereift», sagt Osterwalder. Sie ist überzeugt, dass die Zeit für eine zeitgemässe Forschung gekommen sei.    

Damit es zu überhaupt zu einer Abstimmung kommt, müssen bis zum 19. April 2019 mindestens 100’000 Unterschriften zusammenkommen. Sammelbögen
gibt es unter: IG Tierversuchsverbots-Initiative CH, 9000 St. Gallen, www.tierversuchsverbot.ch
Postkonto: CH39 0900 0000 6161 1395 6