«Wer arm ist, stellt sich Reichtum nicht intensiv genug vor»
Die unheimliche Nähe von Esoterik und Kapitalismus – endlich ans Licht gebracht. In einem satirischen Dialog von Roland Rottenfußer.
Lange Zeit galt es nur als böses Gerücht. Zu weit hergeholt schien die Behauptung, dass sich der Besitzer des Esoterik-Shops «Licht und Liebe Lädle» im 3000-Seelen Städtchen Dingenskirchen mit dem Vorstandsvorsitzenden des grössten örtlichen Arbeitgebers SoftBizTech abgesprochen habe, um den Verkauf bestimmter Buchtitel massiv zu fördern. Tatsache ist: Friedbert Wolkig, der lange vom Konkurs bedrohte Anbieter von Esoterik-Büchern, Meditationsmusik, Duftlampen und Traumfängern hatte seinen Umsatz innerhalb weniger Monate um ein Vielfaches steigern können. Titel wie «Hinnehmen, was sich fügt. Engel-Trost aus dem Jenseits» erfreuten sich bei einer Bevölkerung, deren Arbeislosenquote im selben Zeitraum auf 35% hochschnellte, besonderer Beliebtheit, vor allem seit auf den Arbeits- und Sozialämtern in den Wartezonen Flyer ausgelegt wurden, die für diese und andere Werke aus dem «Licht- und Liebe Lädle» warben.
Durch die Indiskretion einer mittlerweile entlassenen Sekretärin von SoftBizTech-Chef Arno Knartz entpuppte sich, was bisher als düstere Verschwörungstheorie abgetan wurde, nunmehr als grauenerregende Realität. Die Sekretärin Irmingard Döhser hatte von einer geheimen Unterredung zwischen Knartz und Esoterik-Shop-Inhaber Wolkig eine Tonbandaufzeichnung angefertigt und sie, nachdem ihr Arbeitsplatz gewissen Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer gefallen war, aus Rache der Presse zugespielt. Hier ist der Mitschnitt des Geprächs im Wortlaut. Die Geschichte würde wie die böswillige Erfindung eines Satirikers anmuten, wäre ihre Authentizität nicht zweifelsfrei erwiesen.
Knartz: Ich will es kurz machen, Herr Wolkig: Sie wissen, warum ich Sie hergebeten habe!?
Wolkig: Nein.
Knartz: Wirklich nicht? Nun, dann muss ich von vorn anfangen. Ich plane für die nächsten Monate umfangreiche Personaleinsparungen. Durch die Fusion mit TopCom wird es zu gewissen effektivitätsstimulierenden Synergien ... nun ich will Sie nicht mit Details langweilen: Kurz gesagt: Knapp die Hälfte meiner Leute wird auf die Strasse gesetzt. Die verbleibende Belegschaft muss die Arbeit der anderen mit erledigen – ohne Lohnausgleich. Ich gedenke diese unpopuläre Massnahme mit dem Hinweis durchzusetzen, dass es immer noch besser ist als gar keinen Job zu haben.
Wolkig: Herr Knartz, ich bin selbst Kleinunternehmer. Ich leite eine esoterische Buchhandlung und bin vertraut mit den enormen Kosten und emotionalen Belastungen, die sich durch das Besitzstandsdenken emotional labiler Angestellter ergeben können. Ich habe nur noch immer nicht verstanden, was das alles mit mir zu tun hat.
Knartz: Nun, ich dachte mir, dass Sie mir bei gewissen ideologisch flankierenden Massnahmen behilflich sein könnten.
Wolkig: Aber ich dachte, Sie hätten diesbezüglich ein über Jahrzehnte bewährtes Abkommen mit dem Herr Pfarrer ...!?
Knartz: Schon ...
Wolkig: Aber?
Knartz: Gehen Sie doch einmal in eine Kirche am Sonntag um 10 Uhr, wenn Gottesdienst angesagt ist. Leere Bänke, ein paar alte Weiblein, die zusammengekrümmt das Ave Maria herunterleiern. Gerade die arbeitsfähig, besser gesagt: die arbeitslosengeldfähige Mehrheit bleibt den Kirchen fern. Was hilft es, wenn man die schönsten Ideologien hat: »Seid der Obrigkeit untertan, denn sie ist von Gott«, »Selig sind, die da Not leiden« und all die bewährten Sprüche ... aber niemand hört zu. Und da dachte ich, dass vielleicht die Esoterik ...
Wolkig: Sie meinen, die Esoterik solle sozusagen die Nachfolge des Christentums antreten, was die ... nennen wir es einmal »Volksberuhigung« betrifft.
Knartz: Sie lernen schnell.
Wolkig: Aber Sie überschätzen meinen Einfluss, Herr Knartz. Ich krebse seit Jahren am Existenzminimum herum. Mein kleiner Laden ist oft über Stunden leer, bis sich eine Käuferin dorthin verirrt.
Knartz: Nicht mehr wenn ich Ihnen eine Werbekampagne finanziere: Spots in den örtlichen Kinos und auf den großen Plakatwänden am Bahnhof und am Marktplatz, ganzseitige Anzeigen in allen Regionalblättern ... Sagen wir mal im Umfang von 2 Millionen Euro!?
Wolkig: Herr Knartz, das klingt sehr verlockend. Aber bedenken Sie bitte: Ich bin ein Mann von Gewissen ... Ich meine, ich fände es einfach nicht anständig, meinen Kunden ein Gedankengut anzudrehen, das nicht mit meinem innersten Wesen übereinstimmt, meiner ureigensten Integrität und Authentizität ...
Knartz: ... 3 Millionen und 500.000 für Sie persönlich, per Scheck ...
Wolkig: ... Oh nein, Herr Knartz, da sind Sie an den Falschen geraten. «Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele» ... und schon Luther sagte, dass es «weder gut noch heilsam sein kann, wider sein Gewissen ....» schliesslich ist es doch so: nicht was wir haben macht den Menschen aus, sondern was wir im Innersten sind ...
Knartz: Schluss jetzt! Meine Zeit ist begrenzt: 4 Millionen für die Werbekampagne und 1 Million für Sie persönlich per Scheck oder Überweisung.
Wolkig: Einverstanden. Was muss ich tun?
Knartz. Füllen Sie ihre Regale und die Auslagen Ihrer Schaufenster ausschliesslich mit Büchern, die einen im Sinne meiner Interessen hilfreichen Geist verbreiten.
Wolkig: An was denken Sie dabei?
Knartz: Na, Sie wissen schon. Wer auf Erden genügsam ist, wird im Himmel belohnt und so ... Ich muss sagen, Ihr Vorgänger, der Herr Pfarrer war da schneller von Begriff.
Wolkig: So einfach ist das bei meiner Klientel nicht mehr. An einen Himmel in dem Sinn glauben die wenigstens. Verbreitet ist allerdings die Lehre vom Karma.
Knartz: Das heißt im Klartext?
Wolkig: Wir hätten ein paar Bestseller aus dem Bereich der Reinkarnationstherapie im Lager, z.B. «Der Kelch der Vergebung» und «Wanderpfad der Seele». Diese Bücher könnten unseren Lesern suggerieren, dass ein Unternehmer, der in diesem Leben seine Angestellten ausbeutet, dafür streng bestraft wird ...
Knartz: Sind Sie wahnsinnig???
Wolkig: ... Moment, lassen Sie mich ausreden. Die Strafe folgt selbstverständlich in einem späteren Leben. Der betreffende Unternehmer müsste dann nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung genau dasselbe erleiden, was er seinen Untergebenen angetan hat – allerdings mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung.
Knartz: Gut, in einem späteren Leben, das ist in Ordnung!
Wolkig: Ausserdem werden die Leser dazu angehalten, ihrerseits kein weiteres negatives Karma anzusammeln, z.B. indem sie ihren Arbeitgeber grob und ohne das angemessene Einfühlungsvermögen behandeln. Ja man könnte sie sogar so weit bringen, zu glauben, dass ihr Elend ein karmischer Ausgleich dafür ist, dass sie in einem früheren Leben ... nun ja, so etwas ähnliches waren wie Sie! Entlassung, Lohnminderung oder gar Armut und Obdachlosigkeit könnte als pränatal selbst gewähltes Schicksal gedeutet werden ...
Knartz: Und wenn jemand trotzdem unbedingt jetzt gleich glücklich und reich werden will, dem können Sie doch nicht mit dem «späteren Leben» kommen.
Wolkig: Oh, da gibt es unbegrenzt viele Varianten. Es gibt Bücher, die verkünden, dass wir schon im Jahr 2012 hier das Paradies auf Erden haben werden – und zwar ohne uns selbst anzustrengen. Infolge der Schwingungsanhebung auf unserem Planeten und des Lichtgitternetzes, das Aufgestiegene Meister aus dem magnetischen Universum um den Globus errichtet haben, kommt es zu einer Beschleunigung und beträchtlichen Steigerung der menschlichen Fähigkeit, ihre Gedanken unmittelbar auf der materiellen Ebene zu manifestieren. Wir werden einen Lichtkörper aus gegeneinander rotierenden Oktaedern haben und damit quasi unbegrenzte Schöpfermacht. Gott wird arbeitslos, weil wir Menschen als omnipotente Kreatoren und Diskreatoren seinen Platz einnehmen.
Knartz: So ein Quatsch! Das mit der Potenz gefällt mir, aber das andere Gesülze, das glaubt Ihnen doch kein Mensch!
Wolkig: Meine Leute glauben das. Sprituelle Menschen sind bereit, buchstäblich alles zu glauben, da können Sie meiner Erfahrung vertrauen!
Knartz: Gut, das überlasse ich ganz Ihnen, da sind Sie der Experte. Aber es könnte doch sein, dass sich einige Leute nicht mit so abgehobenem Kram zufrieden geben wollen und gleich jetzt viel Kohle haben wollen. Was sollen wir denen erzählen?
Wolkig: Da kann ich Ihnen «Bete für die Knete» anbieten, eine deutschsprachige Lizenzausgabe des US-Klassikers «Pray for Cash» von Dr. Jonathan Sunday.
Knartz: Und der Inhalt?
Wolkig: Armut und Reichtum sind eine Frage des Bewusstseins. Wenn wir an Erfolg und Reichtum glauben, wird er uns zufliegen. Armut ist eine Art Krankheit, eine Bewusstseinsstörung.
Knartz: Was hat das mit mir zu tun?
Wolkig: Verstehen Sie nicht? Sie kürzen jemandem den Lohn oder setzen ihn auf die Straße, um den verständlicherweise hochgeschraubten Renditeerwartungen Ihrer Aktionäre entgegen zu kommen. Der Betroffene wird aber nicht Ihnen die Schuld daran geben, sondern sich selbst. Er hat sich Reichtum einfach nicht intensiv genug vorgestellt.
Knartz: Verstehe!
Wolkig: Noch dazu wird den Lesern ein Mittel in die Hand gegeben, das den Geist beruhigt und ihm das Gefühl der Machtlosigkeit ein Stück weit nimmt!
Knartz: Und das wäre?
Wolkig: Das Gebet, eine Mischung aus christlicher Gottesanrufung und Visualisierungstechniken.
Knartz: Aber das hilft doch nicht wirklich!?
Wolkig: Natürlich nicht!
Knartz: Will ich auch hoffen. Wenn’s den Leuten zu gut geht, haben sie es nicht mehr nötig, billig für mich zu arbeiten. Aber sind die Leser nicht sauer, wenn sie merken, dass es nicht funktioniert?
Wolkig: Da kennen Sie Dr. Sunday schlecht. Er suggeriert den Lesern geschickt, dass sie selbst schuld sind, wenn sein Buch nicht die erwünschte Wirkung zeigt. Sie haben dann halt nicht unbedingt genug an den Erfolg geglaubt.
Knatz: Glauben Sie das eigentlich alles selbst, was Sie den Leuten da verkaufen?
Wolkig: Gegenfrage: Glauben Sie daran, dass Sie etwas wirklich Sinnvolles tun, wenn Sie Software entwickeln, die dabei hilft, die Reaktionsschnelligkeit von Düsenjetpiloten zu trainieren, die später mal Bomben über Kriegsgebieten abwerfen werden? Ich bin entgegen dem Image meiner Branche kein Schwarmgeist, Herr Knartz, ich bin Geschäftsmann wie Sie.
An dieser Stelle bricht die Tonbandaufzeichnung, die uns von Irmingard Döhser zugespielt wurde, ab. Das vorliegende Material vermittelt aber, wie wir finden, einen aufschlussreichen Blick hinter den Kulissen wirtschaftlicher und publizistischer Macht.
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