Wie bewegen wir richtig?
«Sie haben es sehr eilig», sagte der kleine Prinz, «Wohin wollen sie?» Kolumne über freudige, lustvolle und nachhaltige Mobilität.
In Portugal habe ich 30 km vom Meer gelebt. Unser Nachbar war Schäfer. Zu seinem 60. Geburtstag machten wir ihm ein besonderes Geschenk: Einen Ausflug an den Strand. Er war zum ersten Mal am Meer. Es hat ihn nicht sehr beeindruckt.
Wie die meisten Kleinbauern sieht Lourenço keinen großen Sinn in Mobilität. Sein Leben findet zu Hause statt, bei der Familie, bei den Tieren, im Dorf. Man brauchte auch kaum Dinge, die nicht in einem Umkreis von ein paar Dutzend Kilometern hergestellt werden konnten. Wie ihm geht es vielen Menschen der abgelegenen Ecken der Erde.
Bin kaum da, muss ich fort.
Doch ihre Welt ist zerbrochen. Sie wurde sozusagen überholt. Und damit sind wir beim Thema: Mobilität gilt heute als Notwendigkeit und Bedingung für eine moderne Lebensweise. Das Motto der Moderne lautet: «Bin kaum da, muss ich fort.»
Ich liebe es ja selbst, unterwegs zu sein. Da ich Autofahren als umweltschädlich und stupide abgelehnt habe, fuhr ich meistens mit Zug oder Bus. Ob zur Arbeit oder quer durch diesen oder einen anderen Kontinent. Lange Strecken, Wartezeiten oder enge Abteils machten mir nichts aus. Wo sonst kann man sonst so gut Bücher lesen, Menschen beobachten und manchmal auch ins Gespräch kommen?
Manche lieben den Geschwindigkeitsrausch auf deutschen Autobahnen. Ich liebe es, nach einer Nacht im Schlafwagen an einem Bahnhof in Südfrankreich beim Umsteigen einen Café au Lait zu trinken.
Manche können ihr Auto bei voller Geschwindigkeit um 360° drehen. Ich habe gelernt, einen Mini-Bus im Stadtverkehr von Nairobi anzuhalten.
Manche nutzen Gaspedal und Blinker zum Flirten. Ich mag den Schlagabtausch mit den Berliner Busfahrern. Frage: «Wie komme ich denn zum Zoo?» Antwort: «Als was denn?»
So schön war meine Mobilität bis vor drei Jahren. Bis zur Maskenpflicht. Auf einmal wurde die Bahn zum Herrschaftsgebiet der Nörgler: «Wenn Sie Ihre Maske nicht über Mund und Nase ziehen, hole ich den Zugbegleiter!» – und Besserwisser: «Sie kauen ja nur so lange an Ihrem Apfel, damit Sie Ihre Maske nicht aufsetzen müssen.» Das und die extrem unzuverlässig gewordene Pünktlichkeit haben meine Begeisterung für den öffentlichen Verkehr enorm ausgebremst.
Also wieder Auto? Oder wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Wie können wir uns nachhaltig, sozial und umweltfreundlich fortbewegen – und müssen uns gleichzeitig nicht willkürlichen Regierungsvorschriften unterwerfen? Enkeltaugliche Mobilität – die Frage habe ich auch für den Transport der Versorgungsgüter, die wir brauchen. Im Gegensatz zu Lourenços Welt bringt unsere heutige ihre meisten Konsumgüter mit Containern aus Übersee.
Viktor Schauberger sagte einst: «Ihr bewegt falsch.»
Meine Frage ist: Wie bewegen wir richtig?
Die so genannten klimafreundlichen Verkehrskonzepte von heute haben meistens einen Fokus: Das E-Auto. Aha: andere Energie, und alles andere bleibt, wie es ist. Emissionsfrei? Nachhaltig? Dass ich nicht lache.
Auf der Suche nach sexuellem Kontakt wird täglich dermassen viel Benzin verfahren, dass die Befreiung der Sexualität schon aus ökologischen Gründen gefordert werden muss.
Dem neuen Gott E-Auto – der grossen Hoffnung für den Erhalt des Industriestandorts Deutschland – werden grosse Flächen und Ressourcen geopfert. Und in meiner alten Heimat Portugal sollen ganze Berge abgetragen werden, um Lithium für die Batterien zu fördern. (Was kann Lourennço für unseren Bewegungshunger?)
Unfreiwillig komisch ist dabei Norwegen: Im Dezember wurden dort 32.714 Elektro-Pkw neu registriert. Das ist ein Neuzulassungsanteil von 82,8 Prozent. Na klar: Den Reichtum aus dem eigenen Ölvorkommen steckt man in E-Mobilität. Damit exportiert man den Dreck und fährt im Inland «sauber». Die norwegische Fährlinie Havila Kystruten behält allerdings angesichts des E-Booms einen klaren Kopf. Sie verbietet sämtliche elektrifizierten Autos an Bord – bei einem Brand seien Besatzungsmitglieder überfordert und Passagiere gefährdet.
Nochmal – wie bewegen wir richtig? Ich finde derzeit keine Antwort darauf, ausser den öffentlichen Verkehr wieder freundlicher zu gestalten, mehr zu Fuss zu gehen – und uns bei Fernurlauben kein Vorbild bei der «letzten Generation» zu nehmen.
Die eigentliche Frage heisst dann: Warum schaffen wir es nicht, da, wo wir sind, glücklicher zu sein? Warum müssen wir – uns und all unsere Dinge – so viel bewegen?
Ich habe drei Antworten darauf.
1. Das verfehlte Wirtschafts- und Konsumsystem, in dem alles immer und überall reproduzierbar und verfügbar sein muss.
2. Weil wir das Gefühl wieder erleben wollen, das den meisten von uns als Kind viel zu wenig gewährt wurde: das Getragen-Werden am Leib der Mutter.
3. Weil es woanders immer geiler ist. Das meine ich wörtlich. Ich halte Partnersuche, Flirt und Lust für einen weiteren Hauptgrund unserer Über-Mobilität. Schon unsere Vorfahren waren nicht nur wegen des wechselnden Nahrungsmittelangebotes nomadisch. Sondern weil sie den eigenen Genpol auffrischen mussten. Leicht sarkastisch brachten es die Autorinnen des Buches «Rettet den Sex» vor einigen Jahren auf den Punkt: «Auf der Suche nach sexuellem Kontakt wird täglich dermassen viel Benzin verfahren, dass die Befreiung der Sexualität schon aus ökologischen Gründen gefordert werden muss.»
Wie bewegen wir richtig? Die Antwort könnte also durchaus darin bestehen, eine sinnlichere, freudigere, erfüllendere Welt um uns herum zu schaffen.
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