Wie ernähren wir neun Milliarden Menschen?

Heute leben ca. 6.9 Milliarden Menschen auf der Erde. 2050 werden es 9 Milliarden sein. Können sie dereinst ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt werden, wenn schon heute fast eine Milliarde an Hunger leidet? Anlässlich einer hochkarätigen Podiumsdiskussion der Stiftung Biovision am NATUR Kongress in Basel wurde diese Frage von allen Referenten mit Ja beantwortet. Über das Wie gingen die Meinungen allerdings weit auseinander.


Vier prominente Referenten unter der Leitung von Emil Lehmann (ehemaliger Redaktor Radio DRS) diskutierten im Rahmen der NATUR Messe in Basel brisante Fragen der Welternährung und der zukünftigen Landwirtschaft. Dr. Hans Rudolf Herren, Schweizer Welternährungspreisträger und Präsident der Stiftung Biovision wies darauf hin, dass heute weltweit durchschnittlich 4'600 kcal Nahrung pro Erdenbürger produziert würden, womit die Versorgung für 9 Milliarden Menschen bereits heute möglich wäre. „Ein Grossteil der Nahrung geht aber vor und nach der Ernte verloren oder wird nach dem Verkauf weggeworfen“, betonte Herren. Das Problem sei also, dass die Nahrungsmittel nicht zu allen Menschen kämen. Bis hier war das Podium einer Meinung. Deutliche Unterschiede zeigten sich jedoch bei den Strategien, welche die Referenten zur Sicherung der Welternährung vorschlugen.

Marc Deschamps CEO der Syngenta Agro AG Schweiz sieht die Lösung etwa im zielgerichteten Einsatz von Agrochemikalien und der Verbreitung Hochertrags-Saatguts, welches nicht zuletzt mittels Gentechnologie auf die unterschiedlichen Probleme und Bedingungen angepasst werden könne und somit auch den verschärften klimatischen Bedingungen der Zukunft zu trotzen vermöge. Er wurde unterstützt von Dr. Philipp Aerni, Senior Research Fellow, vom World Trade Institute an der Universität Bern. Aerni plädierte dafür, die ideologischen Grabenkämpfe bezüglich Gentechnik endlich zu überwinden und modernste Agrotechnologie mit den Methoden des biologischen Anbaus zu kombinieren, was seiner Meinung durchaus möglich wäre. Damit stiess er im Publikum auf heftige Widerrede und lockte auch Hans Rudolf Herren aus der Reserve. „Wir dürfen die Zukunft der Welternährung niemals in die Hände einiger weniger privater Firmen legen, welche mit patentierten Sorten eine Monopolstellung inne haben“, so Herren. Vielmehr gehe es darum, die über eine Milliarde Kleinbauern, die heute 70 % aller Nahrungsmittel produzierten durch Ausbildung zu fördern, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und die Vielfalt an lokalen Sorten zu erhalten. „Wenn wir das ganze System betrachten, ist klar, dass es jetzt grundsätzliche Änderungen in der Landwirtschaft braucht: Weg von der Symptombekämpfung und weg vom Raubbau an der Natur – hin zu einer nachhaltigen Produktion. Wir müssen den optimalen statt den maximalen Ertrag produzieren. Nur so können wir die natürlichen Lebensgrundlagen langfristig erhalten und dafür sorgen, dass die Menschen auch in Zukunft genug und gesunde Nahrung produzieren können,“ betonte Herren.
Die Zwischenposition wurde von Dominique Kohli, Vizedirektor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW), vertreten. Kohli steht dem Einsatz gentechnisch veränderter Lebensmittel moderat gegenüber. Er sieht die Ursachen für den Hunger in Afrika vor allem in politischen Krisen und in der schlechten Regierungsführung diverser Staaten. Das ändert gemäss Kohli aber nichts daran, dass das Hungerproblem immer wichtiger wird. Für ihn hat die Nahrungsmittelsouveränität der Staaten darum Vorrang. „Dazu müssen die Bauern gesunde Nahrung produzieren und von der Landwirtschaft leben können“, fordert der BLW Vizedirektor.

Das Publikum beteiligte sich sehr aktiv an der abschliessenden Diskussions- und Fragerunde. Und eine der aufmerksamen Zuhörerinnen brachte die komplexe und kontroverse Auseinandersetzung auf den Punkt: „Die Ernährung von 9 Milliarden Menschen ist kein Produktionsproblem sondern eine Frage der Gerechtigkeit.“

12. Februar 2011
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