Wie soll ich wohnen?
Es gibt kein richtiges Leben in der falschen Wohnung. Die Vielfalt der Wohnformen hat ein faszinierendes Ausmass erreicht. Die «Immodiversität» scheint in dem Masse zuzunehmen, wie die Biodiversität abnimmt.
Haben diese gegenläufigen Trends etwa direkt miteinander zu tun? Logisch sicher nicht: Inwelt-Vielfalt ist problemlos auch in einem Zustand denkbar, der nicht durch den Verlust an Umwelt-Vielfalt gekennzeichnet ist. Beide Phänomene aber sind Folgen zivilisatorischer Entwicklung: Der einzelne Mensch beansprucht stets mehr Raum und lässt der Natur immer weniger davon. Ein beträchtlicher Teil des Anstiegs des Wohnflächenbedarfs geht nicht auf die Bevölkerungszunahme zurück, sondern darauf, dass wir pro Kopf viel mehr Quadratmeter Wohnfläche beanspruchen als früher. Ist das gut oder schlecht? Es ist beides! Gut, da schön und angenehm, ist es für all diejenigen, die ihre Wohnträume erfüllt sehen oder sich gar eine Zweitwohnung leisten können. Schlecht ist es für die Natur: Mehr Wohnfläche bedeutet in der Regel mehr versiegelte Bodenfläche (wirklich in die Höhe zu bauen ist auch in Städten erst die Ausnahme), mehr Baumaterialien und Möbel, mehr zu heizendes Volumen. Die Auswirkungen auf die Nachbarn und das soziale Umfeld sind ambivalent. Solche, die urbane Dichte oder auch in der Nebensaison belebte Dörfer schätzen, mögen die Situation eher negativ beurteilen, andere, die gerne ruhige – oder gar keine – Nachbarn haben, eher positiv. An welchen Kriterien soll man sich nun ausrichten, um seine persönliche Wohnform zu wählen? Soll man sich bewusst einschränken und zum Beispiel auf ein separates Bürozimmer verzichten, nur um «der Umwelt zuliebe» weniger Wohnfläche zu beanspruchen? Aus liberaler Sicht sind die Kriterien ganz einfach: Wähle das, was Dir entspricht, was Du Dir leisten kannst, und was keine schützenswerten Rechte verletzt. Es ist einzig das Urteils- und Auswahlvermögen eines jeden mündigen Menschen, das Leitsatz sein soll. Wir sind zu verschieden, als dass es spezifische ethische, das heisst gesamtgesellschaftlich einforderbare Prinzipien für die Wohnformwahl geben darf. So wie es auch keine Vorschriften – Anstandsregeln natürlich schon – gibt, wie man sich kleidet, wie viele Hemden, Hosen und Hüte man besitzen soll, so soll es auch keine Vorschriften geben, wie ein bestimmtes Individuum wohnen soll. Neben der persönlichen Vorliebe und der Vermögenssituation müssen aber eben gewisse Rechte beachtet werden, und hier kommen die ökologischen Aspekte ins Spiel. Diese müssen aber über staatliche Lenkungsmassnahmen – zum Beispiel Gesetze, die Überkonsum sanktionieren – oder über die persönlichen Werte – die zum Verzicht auf ein Bürozimmer führen können – in den Entscheid einfliessen. Es besteht kein Anlass für Gewissensbisse, nur weil man alleine in einer Vierzimmerwohnung, zu zweit in einem Sechszimmerhaus oder zu viert in einer Zwölfzimmervilla wohnt. Ein alleinstehender vegetarischer Bewohner einer Minergie-Villa, der auf Flugreisen verzichtet, kann einen geringeren ökologischen Fussabdruck haben als eine Studentin in einer kleinen Altbau-Zweizimmerwohnung, die jährlich mehrere Flugreisen unternimmt. Es besteht somit viel eher Anlass, sich politisch energisch dafür einzusetzen, dass alle Wohnformen auf nachhaltige Weise funktionieren können. Dadurch wird auch die Gefahr minimiert, dass irgendwann übertriebene Verbote politisch mehrheitsfähig werden. Wie es scheint, reicht also bei der Wahl der Wohnform ein Verweis auf allgemeine zivilisatorische Verpflichtungen. Gibt es aber wirklich überhaupt keine spezifische Wohn-Gebote? Doch! Und zwar ein einziges Gebot: Es ist dafür zu sorgen, dass man in seinen Wänden zufrieden ist, oder deutlicher: Zu Frieden. «Zufrieden sein» ist sinnigerweise die etymologische Ausgangsbedeutung des Wortes «wohnen». (Zur selben Wortfamilie gehört auch «Wonne».) Wer also unzufrieden ist, die oder der wohnt dem Wortsinne nach gar nicht richtig. Es gibt nämlich kein richtiges Leben in der falschen Wohnung. ___________ Philippe Schultheiss (*1984 in Basel), Schulen im Kanton Schaffhausen, Studien der Philosophie sowie Betriebs- und Volkswirtschaft, Spezialgebiet Wirtschaftsethik. Die Abschlussarbeiten schrieb er zum gerechten Umgang mit Geld bei Thomas von Aquin, zur Philosophie des Geldes bei Georg Simmel sowie zu den Auswirkungen der Bankenregulierung «Basel II» auf die Unternehmensfinanzierung. Weitere Beiträge von Philippe Schultheiss auf seiner Website: Wie muss ich müssen? Dieser Beitrag eröffnet die Serie «Liberale Alltagsethik für moderne Menschen». Demokratische Ethik. Wenn Gegenmeinungen als unethisch abgetan werden, zeugt dies auch von einem technokratisch-antidemokratischen Gesellschaftsverständnis. Das Wohlbefinden der Nationen. Isolierte Zahlen sind verführerisch. Wir sollten unbedingt mehr Kenngrössen berücksichtigen. |
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