Jetzt gehts dem Föderalismus an den Kragen

Immer mehr grosse Veränderungen in der Schweiz werden ohne demokratische Diskussion und ohne ausdrücklichen Volkswillen durchgeführt. Das jüngste, durchaus ernst zu nehmende Projekt ist der Zusammenschluss von mehreren Kantonen zu Wirtschaftsregionen mit eigener Exekutive. Wie die Zeitung «Sonntag» am 21. Juni berichtete, werden am 2. Juli die Westschweizer Kantone zusammen mit Bern eine gemeinsame Wirtschaftsregion vorstellen. Am Vorhaben wurde anderthalb Jahre unter grösster Geheimhaltung gearbeitet, d.h. ohne parlamentarischen Auftrag und ohne Information der Öffentlichkeit.
Am 3. Juli folgt der «Metropolitanraum Zürich»  mit den Kantonen Aargau, Luzern, St. Gallen, Schaffhausen, Schwyz, Thurgau und natürlich Zürich. Mittelfristig ist eine eigene Regionalregierung mit einem Parlament geplant. Auch da fehlt ein parlamentarischer Auftrag.

Das Ganze ist damit reichlich dubios aber trotzdem erschreckend ernst gemeint, sonst hätte man die Geheimhaltung nicht für nötig erachtet. Noch ist über die Hintergründe wenig bekannt, doch wirkt das Projekt gut geplant und professionell durchgezogen. Da steckt zweifellos eine Strategie dahinter. Wie sie aussieht, wird sich weisen. Es gibt ja einige Argumente, die tatsächlich für eine bessere Koordination unter den Kantonen und die Überwindung des «Kantönligeists» sprechen, namentlich der unselige Steuerwettbewerb. Man darf aber nicht vergessen, dass das föderale Regierungssystem der Schweiz und vor allem ihren Bürgerinnen und Bürgern im internationalen Vergleich sehr viel  gebracht hat.  

Jede Zentralisierung nützt vor allen den Regierungen und schadet den Regierten – von ein paar Dienstleistungen abgesehen, die tatsächlich etwas effizienter werden könnten. Generell aber ist die Bürokratie in grossen Gebilden ungleich schwerfälliger, was jeder, der im Ausland etwas erledigen musste, aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Zentralismus beschneidet die direktdemokratischen Rechte, und das dürfte die unausgesprochene Absicht hinter dem Projekt sein. Die demokratischen Möglichkeiten gegen die in der Krise sichtbar werdenden hässlichen Seiten der Gobalisierung sollen eingeschränkt werden. Die Strukturen der neuen Gebilde sind denn auch ausdrücklich EU-kompatibel.

Ob das Projekt gelingt, ist eine andere Frage. Seit Montag gibt es unter der website www.schweizer-kantone.ch bereits eine Organisation, die sich dagegen zur Wehr setzt. Das Ganze wirkt noch etwas hemdsärmlig und ungeschliffen und aus der Position der widerspenstigen Untertanen formuliert. Tatsächlich sitzen die Initianten in den Regierungen und neoliberalen Think Tanks am längeren Hebelarm. Aber wir sind schliesslich das Volk. Deshalb ist es wichtig, dass sich viele Menschen über den ungeheuerlichen Vorgang informieren und aktiv werden.

Über

Christoph Pfluger

Submitted by admin on Do, 07/13/2017 - 08:33

Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".

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