Kämpfen wie Yanis Varoufakis
Am kommenden Wochenende wird das EU-Parlament neu gewählt. Yanis Varoufakis kandidiert, aber nicht in seiner Heimat Griechenland, sondern in Deutschland. Warum?
Eine Antwort geht so: Vor vier Jahren, als Varoufakis Finanzminister war, stimmte das griechische Volk mit deutlicher Mehrheit gegen das neue EU-«Rettungspaket». Die EU, angeführt von Deutschland, machte aber enormen Druck, und so nahm die Regierung Tsipras das Paket trotzdem an. Varoufakis trat zurück, gründete bald darauf die Bewegung Demokratie in Europa 2025 (DiEM25) und kandidiert nun also für die Europawahl – in Deutschland. Denn Griechenland hat in dieser EU offenbar nichts zu sagen.
Ist das die Zukunft der Demokratie in Europa? Und was heisst das für das Rahmenabkommen Schweiz-EU? – Wer diese Fragen wichtig findet, aber bisher noch nicht spannend genug, um sich wirklich damit zu beschäftigen, wird Freude haben an Varoufakis Buch über seine Zeit als griechischer Finanzminister. Es ist Thriller, Sachbuch und Plädoyer in einem, und die Lektüre lohnt sich gerade jetzt besonders. Varoufakis schildert, was bei seinen Verhandlungen mit der EU hinter verschlossenen Türen ablief, und zitiert dabei aus Audioaufnahmen, die er während den diversen Sitzungen in Brüssel, Athen und Berlin heimlich gemacht hat.
Mit viel O-Ton und Action erzählt er folgende Geschichte: Griechenland stolperte über den Euro, eine Fehlkonstruktion, und als das Land am Boden lag, half ihm die EU nicht auf, sondern trat zu, froh darum, einen Sündenbock für die Euro-Krise zu haben. Der erste Tritt traf 2010 die Regierung Papandreou, der zweite 2012 die Regierung Samaras, den dritten versuchte Varoufakis 2015 zusammen mit der Regierung Tsipras abzuwehren. Vergeblich. Der europäischen Öffentlichkeit wurde derweil jeder dieser Tritte als Rettungsaktion verkauft, obwohl den entscheidenden Playern – allen voran Schäuble, Draghi und Lagarde – spätestens 2015 klar war, dass sie Griechenland opferten, um die Fehler der EU zu kaschieren.
Ein Held (oder Narr) ist Varoufakis, weil er trotzdem nie daran zweifelt, dass eine demokratischere, transparentere und menschlichere EU möglich ist. Etwas Transparenz hat sein Buch bereits hergestellt. Nur: Was dabei zum Vorschein kommt, macht wenig Hoffnung, dass es bald demokratischer und menschlicher zugehen wird. Aber vielleicht ist gerade das gut so. Mit dem Prinzip Hoffnung werden wir eh nicht weit kommen, Rahmenabkommen hin oder her. Was auch immer uns wichtig ist: Wir werden dafür kämpfen müssen. Kämpfen wie Varoufakis: mit Argumenten, Ausdauer und Opferbereitschaft.
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Yanis Varoufakis: Die ganze Geschichte – meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment. Kunstmann, 2017. 650 S. CHF 39.90 (Originaltitel: «Adults in the Room»)
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