Keine Träumereien!
Wer luzides Träumen lernt, macht nicht nur mehr aus seinem Schlaf, sondern begegnet auch seinen Schatten und kann sich mit ihnen versöhnen. Die ist die Erfahrung des jungen Engländers Charlie Morley, der mit einem Bestseller und als Trainer für Klarträumen bekannt geworden ist.
Christoph Pfluger: Wie kommt ein Rapper dazu, in aller Welt Kurse über luzides Träumen zu geben und Bestseller zu schreiben?
Charlie Morley: Ich praktiziere luzides Träumen seit dem Alter von 16 Jahren. Später beschäftigte ich mich mit tibetischem Buddhismus. An einem Retreat forderte mich der bekannte Meditationslehrer Rob Nairn auf, einen Vortrag über luzides Träumen halten. Und als ich fertig war, fragte er die Zuhörer, wer dafür sei, dass ich ab dem nächsten Dienstag einen sechswöchigen Kurs über luzides Träumen halte. Alle waren dafür, und das war mein Einstieg. So etwas hatte ich überhaupt nicht im Programm. Ich war damals 25 Jahre alt und verdiente mein Geld als Hiphop-Rapper mit benachteiligten Kindern. Und ich hätte auch den Mut nie gehabt, so etwas von mir aus zu machen.
Was ist eigentlich ein luzider Traum?
Das ist ein Traum, von dem man weiss, dass es ein Traum ist, während man ihn träumt. Wissenschaftlich ausgedrückt handelt es sich dabei um einen hybriden Bewusstseinszustand. Luzides Träumen ist in der Wissenschaft erst seit 30 Jahren ein bestätigtes Phänomen, im tibetischen Buddhismus aber seit tausend Jahren eine wichtige Methode, den Geist zu üben. Ein wirklich luzider Traum fühlt sich oft gar nicht traumhaft an. Er kann so hyperrealistisch sein, dass viele Menschen denken, sie würden in eine andere Dimension der Realität eintreten. Und das machen sie auch. Aber diese Dimension ist nicht irgendwo weit weg, sondern in unserem Kopf.
Sie lehren ja nicht einfach luzides Träumen sondern etwas, das sie «Mindfulness of Dream and Sleep» nennen.
Es ist ein ganzheitlicher Zugang zum luziden Träumen im Kontext des tibetischen Buddhismus. Luzides Träumen steht im Zentrum, aber es beinhaltet auch Meditation und Übungen in hypnagogischer Achtsamkeit. [Hypnagogische Bewusstseinszustände treten typischerweise beim Einschlafen oder Aufwachen auf]. Dabei geht es im Wesentlichen um Meditation in den Schlaf und Meditation aus dem Schlaf. In «Mindfulness of Dream and Sleep» wollen wir die ganze Nacht zur Praxis machen, nicht nur die Traumphasen.
Wozu ist luzides Träumen gut?
Der psychotherapeutische Nutzen ist sehr breit. Eine der faszinierendsten Möglichkeiten liegt darin, sich die Quelle von Albträumen dienstbar zu machen. Es ist ein Weg, sich dem angeborenen Potenzial zu nähern, das wir alle haben. Luzides Träumen ist auch eine Gelegenheit, heilende Absichten direkt an mentalen Verkörperungen und Personifzierungen der eigenen Psyche anzuwenden. Es ist ein Territorium des tiefen Heilens.
Wie sind Sie darauf gekommen?
Ich entdeckte das Potenzial des luziden Träumens, Albträume in spirituelles und psychisches Wachstum zu transformieren, relativ spät. Als ich mit den Kursen begann, wurde ich im Umgang mit meinem eigenen luziden Träumen zunächst sehr ernsthaft, fast puritanisch. Ich versuchte, alle dunklen und albtraumartigen Aspekte fernzuhalten in der irrigen Meinung, ein echter Trainer in luzidem Träumen müsse in voller Kontrolle über seine luziden Träume sein. Doch jeder Versuch, einen Traum zu zensieren oder zu kontrollieren, unterdrückt nur das Material. Je mehr ich es versuchte, desto mehr Albtraumartiges tauchte auf. Schliesslich ging ich damit zu Rob Nairn und erhielt einen erstaunlichen Rat. Er riet mir, das Gegenteil von dem zu tun, was ich bisher gemacht hatte. Diese Albträume könnten sehr gut auch Aspekte des Schattens sein. Ich müsste nur den Schatten umarmen und ihn integrieren.
Aber was ist der Schatten und wie integrieren wir ihn?
Diese Frage stellte ich mir auch. Das Konzept des Schattens wurde von C.G. Jung entwickelt und als der Teil des Unbewussten beschrieben mit allen unerwünschten Aspekten unserer Psyche, die wir projizieren, ablehnen oder verleugnen – unsere dunkle Seite also. Aber nach Jung ist der Schatten auch der Sitz der menschlichen Kreativität. Weil der Schatten nicht zu der Person passt, von der wir denken, dass wir sie sind, gehen die meisten von uns durchs Leben, indem sie den Schatten verleugnen und damit auch einen wesentlichen Teil von sich selbst. Aber Jung war der Ansicht, dass wir nie bei uns ankommen, solange wir den Schatten nicht als Teil von uns selbst erkennen und annehmen.
Und wie hilft nun luzides Träumen, mit den Schatten umzugehen?
Nachdem mir Rob Nairn den Rat gegeben hatte, begegnete ich in einem Traum einem dreiköpfigen Monster, ganz schwarz und voller unterdrückter Gewalt. Anstatt es zu bekämpfen, umarmte ich es. Das Monster fühlte sich überhaupt nicht knuddelig an, aber ich tat es trotzdem. Dabei begann es zu schrumpfen und menschliche Form anzunehmen. Und schliesslich stand ich einer Form von mir selber gegenüber. Ich hatte ein Gefühl, wie wenn sich ein grosser Knoten in meinem Bauch entwirrt hätte, der schon so lange existierte, dass ich seine Existenz vergass.
Kann man luzides Träumen lernen?
Selbstverständlich. Ich musste es auch lernen. Es braucht Übung, aber jedermann kann es. Es gibt tausende von Techniken, aber eine Voraussetzung für die meisten ist die Erinnerung an Träume. Wer damit anfangen will, sollte als erstes ein Traumtagebuch führen. Wir schlafen einen Drittel unserer Lebenszeit. Mit luziden Träumen können wir einen Teil dieser Zeit nutzbar machen; es gibt uns Werkzeuge in die Hand, uns zu heilen, uns besser kennenzulernen und Freundschaft nicht nur mit unserem Schatten zu schliessen, sondern mit allen Aspekten unserer Psyche. Sie müssen nirgendwo Mitglied werden oder eine Ausrüstung kaufen; alles, was es braucht, sind Träume.
Geht das Konzept, Träume zu erkennen und luzid zu werden, über unsere persönlichen Träume hinaus?
Auf jeden Fall. Als globale Gesellschaft gibt es kulturelle und kollektive Schatten, die wir ablehnen, Aspekte der Menschheit, die zu dunkel sind, als dass wir sie anzuschauen wagen. Aber solange wir sie nicht annehmen und kollektiv luzid werden, werden wir nicht bei uns ankommen. Luzides Träumen kann zu luzidem Leben führen. Ich finde, es ist wirklich Zeit, gemeinsam aufzuwachen. Es ist Zeit, den Schatten der Welt zu umarmen.
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Charlie Morley ist Referent am nächsten Spiraldynamik-Kongress «Alternativen? Geht doch!» vom 12. November 2016 im Kongresshaus Zürich. Infos und Anmeldung: www.spiraldynamik.com/kongress.htm
Charlie Morley: «Klarträumen für Anfänger – gestalte deine Träume, gestalte dein Leben". Kösel Verlag, 2015. 224 S. Fr. 24.50 / € 18.–.
Charlie Morley: Ich praktiziere luzides Träumen seit dem Alter von 16 Jahren. Später beschäftigte ich mich mit tibetischem Buddhismus. An einem Retreat forderte mich der bekannte Meditationslehrer Rob Nairn auf, einen Vortrag über luzides Träumen halten. Und als ich fertig war, fragte er die Zuhörer, wer dafür sei, dass ich ab dem nächsten Dienstag einen sechswöchigen Kurs über luzides Träumen halte. Alle waren dafür, und das war mein Einstieg. So etwas hatte ich überhaupt nicht im Programm. Ich war damals 25 Jahre alt und verdiente mein Geld als Hiphop-Rapper mit benachteiligten Kindern. Und ich hätte auch den Mut nie gehabt, so etwas von mir aus zu machen.
Was ist eigentlich ein luzider Traum?
Das ist ein Traum, von dem man weiss, dass es ein Traum ist, während man ihn träumt. Wissenschaftlich ausgedrückt handelt es sich dabei um einen hybriden Bewusstseinszustand. Luzides Träumen ist in der Wissenschaft erst seit 30 Jahren ein bestätigtes Phänomen, im tibetischen Buddhismus aber seit tausend Jahren eine wichtige Methode, den Geist zu üben. Ein wirklich luzider Traum fühlt sich oft gar nicht traumhaft an. Er kann so hyperrealistisch sein, dass viele Menschen denken, sie würden in eine andere Dimension der Realität eintreten. Und das machen sie auch. Aber diese Dimension ist nicht irgendwo weit weg, sondern in unserem Kopf.
Sie lehren ja nicht einfach luzides Träumen sondern etwas, das sie «Mindfulness of Dream and Sleep» nennen.
Es ist ein ganzheitlicher Zugang zum luziden Träumen im Kontext des tibetischen Buddhismus. Luzides Träumen steht im Zentrum, aber es beinhaltet auch Meditation und Übungen in hypnagogischer Achtsamkeit. [Hypnagogische Bewusstseinszustände treten typischerweise beim Einschlafen oder Aufwachen auf]. Dabei geht es im Wesentlichen um Meditation in den Schlaf und Meditation aus dem Schlaf. In «Mindfulness of Dream and Sleep» wollen wir die ganze Nacht zur Praxis machen, nicht nur die Traumphasen.
Wozu ist luzides Träumen gut?
Der psychotherapeutische Nutzen ist sehr breit. Eine der faszinierendsten Möglichkeiten liegt darin, sich die Quelle von Albträumen dienstbar zu machen. Es ist ein Weg, sich dem angeborenen Potenzial zu nähern, das wir alle haben. Luzides Träumen ist auch eine Gelegenheit, heilende Absichten direkt an mentalen Verkörperungen und Personifzierungen der eigenen Psyche anzuwenden. Es ist ein Territorium des tiefen Heilens.
Wie sind Sie darauf gekommen?
Ich entdeckte das Potenzial des luziden Träumens, Albträume in spirituelles und psychisches Wachstum zu transformieren, relativ spät. Als ich mit den Kursen begann, wurde ich im Umgang mit meinem eigenen luziden Träumen zunächst sehr ernsthaft, fast puritanisch. Ich versuchte, alle dunklen und albtraumartigen Aspekte fernzuhalten in der irrigen Meinung, ein echter Trainer in luzidem Träumen müsse in voller Kontrolle über seine luziden Träume sein. Doch jeder Versuch, einen Traum zu zensieren oder zu kontrollieren, unterdrückt nur das Material. Je mehr ich es versuchte, desto mehr Albtraumartiges tauchte auf. Schliesslich ging ich damit zu Rob Nairn und erhielt einen erstaunlichen Rat. Er riet mir, das Gegenteil von dem zu tun, was ich bisher gemacht hatte. Diese Albträume könnten sehr gut auch Aspekte des Schattens sein. Ich müsste nur den Schatten umarmen und ihn integrieren.
Aber was ist der Schatten und wie integrieren wir ihn?
Diese Frage stellte ich mir auch. Das Konzept des Schattens wurde von C.G. Jung entwickelt und als der Teil des Unbewussten beschrieben mit allen unerwünschten Aspekten unserer Psyche, die wir projizieren, ablehnen oder verleugnen – unsere dunkle Seite also. Aber nach Jung ist der Schatten auch der Sitz der menschlichen Kreativität. Weil der Schatten nicht zu der Person passt, von der wir denken, dass wir sie sind, gehen die meisten von uns durchs Leben, indem sie den Schatten verleugnen und damit auch einen wesentlichen Teil von sich selbst. Aber Jung war der Ansicht, dass wir nie bei uns ankommen, solange wir den Schatten nicht als Teil von uns selbst erkennen und annehmen.
Und wie hilft nun luzides Träumen, mit den Schatten umzugehen?
Nachdem mir Rob Nairn den Rat gegeben hatte, begegnete ich in einem Traum einem dreiköpfigen Monster, ganz schwarz und voller unterdrückter Gewalt. Anstatt es zu bekämpfen, umarmte ich es. Das Monster fühlte sich überhaupt nicht knuddelig an, aber ich tat es trotzdem. Dabei begann es zu schrumpfen und menschliche Form anzunehmen. Und schliesslich stand ich einer Form von mir selber gegenüber. Ich hatte ein Gefühl, wie wenn sich ein grosser Knoten in meinem Bauch entwirrt hätte, der schon so lange existierte, dass ich seine Existenz vergass.
Kann man luzides Träumen lernen?
Selbstverständlich. Ich musste es auch lernen. Es braucht Übung, aber jedermann kann es. Es gibt tausende von Techniken, aber eine Voraussetzung für die meisten ist die Erinnerung an Träume. Wer damit anfangen will, sollte als erstes ein Traumtagebuch führen. Wir schlafen einen Drittel unserer Lebenszeit. Mit luziden Träumen können wir einen Teil dieser Zeit nutzbar machen; es gibt uns Werkzeuge in die Hand, uns zu heilen, uns besser kennenzulernen und Freundschaft nicht nur mit unserem Schatten zu schliessen, sondern mit allen Aspekten unserer Psyche. Sie müssen nirgendwo Mitglied werden oder eine Ausrüstung kaufen; alles, was es braucht, sind Träume.
Geht das Konzept, Träume zu erkennen und luzid zu werden, über unsere persönlichen Träume hinaus?
Auf jeden Fall. Als globale Gesellschaft gibt es kulturelle und kollektive Schatten, die wir ablehnen, Aspekte der Menschheit, die zu dunkel sind, als dass wir sie anzuschauen wagen. Aber solange wir sie nicht annehmen und kollektiv luzid werden, werden wir nicht bei uns ankommen. Luzides Träumen kann zu luzidem Leben führen. Ich finde, es ist wirklich Zeit, gemeinsam aufzuwachen. Es ist Zeit, den Schatten der Welt zu umarmen.
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Charlie Morley ist Referent am nächsten Spiraldynamik-Kongress «Alternativen? Geht doch!» vom 12. November 2016 im Kongresshaus Zürich. Infos und Anmeldung: www.spiraldynamik.com/kongress.htm
Charlie Morley: «Klarträumen für Anfänger – gestalte deine Träume, gestalte dein Leben". Kösel Verlag, 2015. 224 S. Fr. 24.50 / € 18.–.
12. Oktober 2016
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Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
032 621 81 11
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