«Lang-weilige» Demokratie oder «gutmütige» Diktatur?

Demokratie ist bekanntlich eine langsame, ja «lang-weilige» Staatsform. Ein Nachteil in der heutigen schnelllebigen Zeit, findet nicht nur die Schweizer Klimajugend. Womit lässt sich denn die Langsamkeit der Demokratie begründen, weshalb ist sie so «zeitintensiv»?

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Immer muss man zueinander reifen. Alle schnellen Dinge sind Verrat.
Nur wer warten kann, wird es begreifen:
Nur dem Wartenden erblüht die Saat.
Warten, das ist: Säen und dann Pflegen, ist gestaltend in den Worten warten, handelnd still sein und umhegen
erst den Keim und dann den Garten.
Jean Gebser (1905 – 1973)

 

Demokratie fördert den gesellschaftlichen Diskurs und schafft damit die maximale Akzeptanz für politische Anliegen. Für die demokratische Meinungsbildung und Entscheidungsfindung gilt daher das Motto «Worte vor Taten».

Werden hingegen «Worte» unvereinbar gegen «Taten» gestellt und wird ausserdem die Legitimation der «Taten» mit deren Dringlichkeit begründet, entfällt das demokratische Moment; so- mit unterbleibt aber auch der notwendige gesellschaftliche «Reifungsprozess». Bildlich gesprochen tritt dann Gärung ein. Oder in den Worten von Jean Gebser: «Alle schnellen Dinge sind Verrat».

Es sei hier die These aufgestellt, dass die Gefährdung der Demokratie heute (und wohl noch verstärkt in naher Zukunft) nicht primär von der an ihr geäusserten Kritik, sondern im Gegenteil von ihrer Idealisierung bzw. von ihrer Vereinnahmung durch ihre angeblichen «Freunde» aus- geht. Denn allzu oft nur dienen die «Lorbeeren der Demokratie» dazu, einem umstrittenen An- liegen den Anstrich demokratischer Legitimation zu verpassen.

Nicht selten lässt sich dann dahinter die Absicht erkennen, dem entsprechenden Anliegen (auf anti-demokratische Weise) zu höherer Akzeptanz zu verhelfen. Aktuelle Beispiele sind etwa die einseitige Beeinflussung der öffentlichen Meinung und die versuchte Verhaltenslenkung durch demokratisch gewählte Behörden oder die Tendenz zur Gleichsetzung von Meinungsumfragen mit demokratisch legitimierten Volksentscheiden.

Wo Idealisierung betrieben wird, ist Ideologie (und damit hermetisches Denken verbunden mit hintergründig zweckgerichtetem Handeln) meist nicht weit entfernt. Seien wir deshalb wachsam und tragen wir als Pflegende Sorge zum «Garten der Demokratie»!

Ein weiterer bedenkenswerter Hinweis liefert diesbezüglich der Schriftsteller Hermann Broch (1886 – 1951) in seinem Werk «Massenwahn-Theorie»: Er machte darauf aufmerksam, dass sich hinter einer Idealisierung sogar eine eigentliche Abwertung, eine «Entwertung durch Eh- rung», verbergen kann. Die idealisierende Abwertung eines bisherigen Leitprinzips liefert dann im weiteren Verlauf gewissen Kreisen den Vorwand dazu, ein «besseres und umfassenderes» bzw. «grossartiges» (englisch: great) politisches Konzept zu etablieren …


Simon Häusermann ist Vorstandsmitglied des Vereins «Forum Ouverture» und Verfasser des interdisziplinären Appells «Bleiben wir in guter Verfassung!».

26. März 2022
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