Kennst du den Text des Laternenlieds? «Dort oben leuchten die Sterne, hier unten leuchten wir», heisst es da. Und wie wir leuchten! So sehr, dass wir dem Sternenlicht mit Leichtigkeit Konkurrenz machen. Es waren zuallererst die Sterngucker und Hobbyastronominnen, die beklagten, dass sie immer weiter von den Städten wegfahren mussten, um einen guten Blick auf den Nachthimmel zu haben. Das gesamte Leben auf unserem Planeten wird vom Rhythmus von Tag und Nacht getaktet – vielmehr wurde. Bis dann vor 150 Jahren mit der Erfindung der Glühbirne auch die Nacht zum Tag gemacht werden konnte. Seither steigt mit dem stetig wachsenden Übermass an künstlichem Licht – pro Jahr weltweit um alarmierende sechs Prozent! - auch das Wissen um die Schattenseiten ständigen Lichts.
«Früher war man sich nicht bewusst, dass das für Tiere und Pflanzen, ganze Ökosysteme und auch den Menschen ein echtes Problem darstellt», sagt Dr. Sarah Kiefer, eine der KoordinatorInnen des Projekts «Artenschutz durch umweltverträgliche Beleuchtung» der Forschungsgruppe «Lichtverschmutzung und Ökophysiologie» im Bundesprogramm «Biologische Vielfalt». Dort forscht man seit gut 15 Jahren zur sog. Lichtverschmutzung. Künstliches Licht zerstört die uralten Rhythmen unserer Umwelt, stellt auch Zoologe und Fledermausexperte Johan Eklöf fest. Er schreibt: «Die Neigung des Menschen, seine Welt zu beleuchten, hat dazu geführt, dass die Erde heute geradezu glüht, wenn man sie in der Nacht vom Weltraum aus betrachtet.»
Lichtgeplagte Fauna und Flora
Die meisten Säugetiere sind im Grunde dämmerungsaktiv, und nicht weniger als ein Drittel aller Wirbeltiere und zwei Drittel aller Wirbellosen sind nachtaktiv. Die Wirkung von Licht auf Insekten ist allen bekannt: Wie besessen umschwärmen sie die nächtlichen Lampen, angelockt aus einer Entfernung von bis zu 50 Metern. Durch den Tanz im Licht sterben die Insekten an Erschöpfung oder werden zur leichten Beute. Nicht weniger wichtig ist, was sie dadurch nicht machen können: sich ernähren, nachtblühende Gewächse bestäuben, sich paaren, Eier legen. Dies stellt vermutlich einen wesentlichen und doch oft ignorierten Faktor des Insektensterbens dar (aktuell sind 40 Prozent aller Insektenarten vom Aussterben bedroht).
Der «Staubsaugereffekt», den das Licht auf Insekten hat, zeigte im Juli 2019 einen – bisherigen - Höhepunkt, als Millionen von Heuschrecken in Las Vegas einfielen, einer biblischen Plage gleich - angezogen vom stärksten Lichtobjekt der USA, dem «Luxor Sky Beam», der mit der Lichtstärke von 42 Milliarden Kerzen lockt. Viele Insekten, Bienen, Spinnen und Krebse nutzen das polarisierte Licht als optischen Kompass. Künstliches Licht zerstört nicht nur die Orientierung der Insekten; es wirkt auf alle Faktoren ihres Lebens ein, von der Produktion der Duftstoffe zur Partnersuche über die Reproduktionszeit und Metamorphose bis hin zum – vorzeitigen – Schlüpfen. Auch Vögel orientieren sich am Licht: Bei der Lichtinstallation, die jährlich am 11.9. zum Gedenken an die Twin Towers in New York eingeschaltet wird, reichen die Lichtsäulen fünf km hoch und100 km weit. Die Zugvögel, die zu dieser Jahreszeit unterwegs sind, werden angelockt, umkreisen die Lichtsäulen und verenden völlig erschöpft. Amphibien, die sich an die Dunkelheit angepasst haben, werden auf ihren Wanderungen vom Licht so geblendet, dass sie nichts mehr sehen und auf den Strassen leicht überfahren werden.
Auch nicht-nachtaktive Tiere brauchen die Dunkelheit als Ruhephase; auch ihr gesamtes Hormonsystem wird vom Licht beeinflusst. Amseln sind Abends länger aktiv, wenn es hell ist, und beginnen früher ihren Tag. Lichtverschmutzung verschiebt ganze Ereignisketten in der Natur: Das Männchen ist früher paarungsbereit als das Weibchen, oder umgekehrt; oder die Küken schlüpfen zu früh. Diese Auswirkungen reichen bis in dieMeere hinein, wo Fische, die in Koralleniffen leben, bei Nacht schlüpfen – oder eben nicht, wenn es zu hell ist, wodurch das gesamte Ökosystem aus dem Ruder gerät. Ganz zu schweigen von den Korallentieren selbst, die sich am Mondzyklus orientieren. Tiere erbringen «Ökosystemdienstleistungen», wie Johan Eklöf schreibt – und zwar meistens nachts: «Bestäubung, Schädlingsbekämpfung, Abbau von tierischem und pflanzlichem Material, Einlagerung von CO2, Lärmschutz, Produktion von Heilmitteln …». Vom Überangebot an Licht gestört, fallen viele davon aus – zum Schaden aller.
Während wir uns bei einer Fledermaus leicht vorstellen können, dass sie unter dem Mehr an Licht leidet, verlieren wir leicht aus dem Blick, dass es Pflanzen auch so geht. So treiben Bäume bei künstlichem Licht früher aus und behalten auch ihr Laub länger. Beides verkürzt ihre notwendige Ruhephase und bedeutet reinen Stress für sie. Eine Kratzdistel lockt mit Duftstoffen Insekten an; wird sie beleuchtet, bekommt sie 62 Prozent weniger Insektenbesuche und bildet weniger Fruchtkörper aus. Eine englische Studie fand heraus, dass der Gewöhnliche Hornklee, der normalerweise massenhaft Blattläuse anzieht, eine ganze Population von Blattläusen vernichten kann, wenn er zu spät oder gar nicht blüht. Dies wiederum hat Auswirkungen auf Florfliegen, Marienkäfer, Schwebfliegen … ein Dominoeffekt mit verheerenden Folgen.
Mensch und Licht
Wir leben heute in einer Welt, in der es im Grunde keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht gibt. Wir meiden Schatten und Dunkelheit – ob in unserem Innern, im Leben oder in unserem Äusseren. Wir brauchen das Vitamin D des Tages, das uns die Sonne gibt – aber auch das Melatonin, das uns die Dunkelheit schenkt. Dieses Schlafhormon steuert eine Menge Prozesse, die für unser Immunsystem wichtig sind. Wird seine Ausschüttung durch die Illusion von Tageslicht gestört, die blaues, kurzwelliges Licht (z.B. von Laptop oder Fernseher) erzeugt, gerät unser Biorhythmus völlig aus dem Takt. Das kann Schlafstörungen, Depressionen, verminderte Gedächtnisleistung und Übergewicht zur Folge haben. Insgesamt senkt es nicht nur die Stimmung, sondern erhöht den Stresslevel bis auf ein krankhaftes Niveau. Melatonin hemmt zudem indirekt das Wachstum von Tumoren. Menschen, die nachts arbeiten müssen, haben statistisch gesehen ein grösseres Risiko, an Krebs zu erkranken.
Während die Nacht eine ökologische Nische für Flora und Fauna darstellt, nehmen wir Menschen sie – kulturell wie auch genetisch bedingt - meist als Bedrohung wahr. Dabei, betont Sarah Kiefer, handelt es sich um ein rein subjektives Sicherheitsempfinden: Wir sind da, wo es heller ist, nicht zwangsläufig sicherer; wir fühlen uns nur so. Tiere sind eher an das schwache Licht der Nacht angepasst. Dank Gehör, Geruchssinn, Echopeilung mittels Ultraschall navigieren sie souverän durch das Dunkel. Es dauert eine ganze Weile, bis sich unsere Augen an Dunkelheit angepasst hat und wir unsere maximale Lichtempfindlichkeit erreicht haben. Da ist es leichter, zu Lichtschalter oder Handylicht zu greifen – und sowie wir das getan haben, ist unsere Lichtempfindlichkeit auch schon wieder perdü.
Bessere Alternative
Abgesehen davon, dass wir ein Zehntel unserer Energie für künstliches Licht verwenden, sollten wir unsere Beleuchtungsgewohnheiten gründlich überdenken. Wir können durchaus auf viel Licht verzichten – nicht nur bei Gartenbeleuchtung und Weihnachtsdeko, sondern auch bei der Innenbeleuchtung von Gebäuden, die nachts nicht benützt werden, bei Leuchtschildern zu Reklamezwecken, bei der Beleuchtung von jedem Eck und Winkel einer Wohnanlage. Besser ist es, gezielt zu Bewegungsmeldern zu greifen, Zeitschaltuhren zwischenzuschalten, Kugelleuchten, die in aller Richtungen strahlen, zu vermeiden oder viele kleine Lichter statt wenigen grossen zu wählen. Im Grunde einfach nur das beleuchten, das auch gesehen werden muss. Dabei ist es vor allem die Art des Lichts.
«Alles über 2700 Kelvin ist nachts zu vermeiden», erklärt Sarah Kiefer. Kelvin bildet die Farbtemperatur des Lichtes ab; kurzwelliges, blaues Licht entspricht dem Tageslicht und hat in der Nacht die schlimmsten Folgen. Auf dem Laptop kann man oft auch einen Nachtmodus einstellen, der den Blauanteil des Lichtes reduziert. Interdisziplinär arbeitet die Projektgruppe um die Biologin an der Entwicklung von Strassenleuchten, die weniger fatal auf Flora und Fauna wirken. Es ist heute tatsächlich möglich, das künstliche Licht so anzupassen, dass es den natürlichen Gegebenheiten weitgehend entspricht, und für jeden Zweck das genau geeignete Licht einzusetzen, statt immer mit dem grossen Scheinwerfer draufzuhalten – wenn wir denn wollen.
Eine Reduzierung des unnötigen Lichts kann darüber hinaus noch ganz andere Effekte haben, wie Sarah Kiefer erwähnt: «In Europa haben 30 Prozent der Menschen die Milchstrasse noch nicht gesehen, wegen des Konkurrenzlichts hier unten. Dabei will man doch oben die grossen Zusammenhänge sehen.» Will die Ewigkeit des Sternenhimmels im Kontrast der eigenen Kleinheit erfahren, um so übers Leben zu lernen. Mehr sehen und erkennen durch weniger Licht – das wäre ein Gewinn!

Quellen:
Johan Eklöf: «Das Verschwinden der Nacht», Droemer Verlag