Mehr öV ist kein Erfolg
«Eine Diskussion, die notwendig ist» schreibt der Verkehrsclub der Schweiz zu seiner grossen verkehrspolitischen Tagung «Weiterschreiben an der Erfolgsstory» vom 24. Mai 2011 in Bern und verlangt den Ausbau des öffentlichen Verkehrs [1]. Aber: Mehr öV ist nichts weiter als eine gewonnene Schlacht in einem aussichtslosen Krieg. Warum?
Natürlich ist es schön, wenn immer mehr Menschen mit Zug und Bus unterwegs sind statt automobil. Aber es ist eindeutig kein Erfolg, wenn der Mensch immer grössere Distanzen zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse zurücklegen muss. Je weiter Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Erholung und Vergnügen auseinanderliegen, desto grösser die Umweltkosten und die gefühlte Bevölkerungsdichte. Man spürt dies nicht nur in den Pendlerzügen.
Wie der österreichische Nationalökonom und Philosoph Leopold Kohr schon vor 38 Jahren erkannte, erzeugen mobile Menschen Druck, ähnlich wie sich bewegende Moleküle in einem festen Gefäss [2]. Die Planung solle deshalb gemäss Kohr nicht die Mobilität erleichtern, sondern den Menschen den Grund nehmen, ständig mobil sein zu müssen. Nicht Dezentralisierung sei das Ziel, sondern eine feinmaschige Zentralisierung. Der Mensch soll möglichst nahe alles finden, was er zum Leben braucht.
Dieser wegweisende Aufsatz wurde allen Planern in Puerto Rico, wo Kohr damals als Professor lehrte, als Pflichtlektüre vorgeschrieben, aber leider eben nur in Puerto Rico.
Wenn der VCS wirklich etwas für die Umwelt tun will, dann darf er sich nicht mit klimaneutraler Mobilität zufrieden geben. Als mächtiger Umweltverband muss er sich dafür einsetzen, dass der Zwang zu immer mehr Mobilität reduziert wird. Gerade das ist aber an der Tagung «Weiterschreiben an der Erfolgsstory» leider nicht traktandiert. Dabei gäbe es überzeugende Ansätze. Der Umbau anonymer Siedlung zu multifunktionellen Nachbarschaften, wie sie der Verein Neustart Schweiz fordert, gehört dazu. [3]
Das Beispiel des Verkehrs-Clubs macht gleichzeitig die Grenzen der Interessenpolitik deutlich, auch in Umweltfragen. Die blinde Förderung des öffentlichen Verkehrs nützt niemandem ausser den Konzernen, die die Infrastruktur für die Bahnen bauen und betreiben. Nötig wäre vielmehr eine ganzheitliche Politik zur Belebung der Nachbarschaften.
Ansätze dazu finden Sie übrigens im neuen Zeitpunkt zum Schwerpunktthema «Der Mensch braucht Nachbarschaft». [4]
[1] http://www.verkehrsclub.ch/index.php?id=6868
[2] http://www.zeitpunkt.ch/index.php?id=5&tx_ttnews[tt_news]=4768&tx_ttnews[backPid]=6&cHash=5bc6bc49f2
[3] http://www.neustart-schweiz.ch/
[4] http://www.zeitpunkt.ch/archiv/2011/113-der-mensch-braucht-nachbarschaft.html
Natürlich ist es schön, wenn immer mehr Menschen mit Zug und Bus unterwegs sind statt automobil. Aber es ist eindeutig kein Erfolg, wenn der Mensch immer grössere Distanzen zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse zurücklegen muss. Je weiter Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Erholung und Vergnügen auseinanderliegen, desto grösser die Umweltkosten und die gefühlte Bevölkerungsdichte. Man spürt dies nicht nur in den Pendlerzügen.
Wie der österreichische Nationalökonom und Philosoph Leopold Kohr schon vor 38 Jahren erkannte, erzeugen mobile Menschen Druck, ähnlich wie sich bewegende Moleküle in einem festen Gefäss [2]. Die Planung solle deshalb gemäss Kohr nicht die Mobilität erleichtern, sondern den Menschen den Grund nehmen, ständig mobil sein zu müssen. Nicht Dezentralisierung sei das Ziel, sondern eine feinmaschige Zentralisierung. Der Mensch soll möglichst nahe alles finden, was er zum Leben braucht.
Dieser wegweisende Aufsatz wurde allen Planern in Puerto Rico, wo Kohr damals als Professor lehrte, als Pflichtlektüre vorgeschrieben, aber leider eben nur in Puerto Rico.
Wenn der VCS wirklich etwas für die Umwelt tun will, dann darf er sich nicht mit klimaneutraler Mobilität zufrieden geben. Als mächtiger Umweltverband muss er sich dafür einsetzen, dass der Zwang zu immer mehr Mobilität reduziert wird. Gerade das ist aber an der Tagung «Weiterschreiben an der Erfolgsstory» leider nicht traktandiert. Dabei gäbe es überzeugende Ansätze. Der Umbau anonymer Siedlung zu multifunktionellen Nachbarschaften, wie sie der Verein Neustart Schweiz fordert, gehört dazu. [3]
Das Beispiel des Verkehrs-Clubs macht gleichzeitig die Grenzen der Interessenpolitik deutlich, auch in Umweltfragen. Die blinde Förderung des öffentlichen Verkehrs nützt niemandem ausser den Konzernen, die die Infrastruktur für die Bahnen bauen und betreiben. Nötig wäre vielmehr eine ganzheitliche Politik zur Belebung der Nachbarschaften.
Ansätze dazu finden Sie übrigens im neuen Zeitpunkt zum Schwerpunktthema «Der Mensch braucht Nachbarschaft». [4]
[1] http://www.verkehrsclub.ch/index.php?id=6868
[2] http://www.zeitpunkt.ch/index.php?id=5&tx_ttnews[tt_news]=4768&tx_ttnews[backPid]=6&cHash=5bc6bc49f2
[3] http://www.neustart-schweiz.ch/
[4] http://www.zeitpunkt.ch/archiv/2011/113-der-mensch-braucht-nachbarschaft.html
16. Mai 2011
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Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
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