Mehr Vertrauen, bitte!
Qualitätsmanagement und der Zwang zur Effizienz lösen immer mehr Kontrolle aus. Schon lange ist aber bekannt, dass mehr Kontrolle nicht das gewünschte Ergebnis bringt. Mehr Vertrauen in die Mitarbeitenden wäre besser. Das wurde vielfach bewiesen. So misslingt es z.B., Leistungslöhne unverzerrt gemäss der erbrachten Leistung auszurichten, da sich nicht alle Komponenten der Arbeit messen lassen. Als Konsequenz verdrängt Kontrolle die Arbeitsmoral.1
Evaluationen in grosser Zahl und in zeitlich engen Kadenzen überfordern die angesprochenen Personen. Heute wird z.B. fast jede Unterrichtsveranstaltung mit Fragebogen evaluiert, wobei die Fragen oft nicht sehr zielführend sind. Ein Gespräch mit der Klasse oder den Kursteilnehmenden führt zu einem besseren Ergebnis. Bei den Fragebogenaktionen geht es wohl eher darum, dass die vorgesetzte Instanz mehr Kontrolle über die Lehrpersonen erhält. Dabei hätten diese mehr Vertrauen verdient. In der Regel ist ja bekannt, wenn ein Kurs schlecht läuft. Das wusste man früher auch schon. Unterrichtsbesuche durch fachlich und didaktisch geschulte KollegInnen mit konstruktivem Feedback würden zur Qualitätsentwicklung mehr beitragen.
Evaluationen mit Fragebogen sind auf den erten Blick eine recht bequeme Sache. Ein paar Kreuzchen, der Computer wertet aus, es gibt Durchschnittswerte und Streuungsangaben zum Vergleich mit anderen. So kann man zumindest numerisch die Illusion von Qualität hoch halten. Wer in diesem Spiel die schlechtesten Werte hat, hat den schwarzen Peter gezogen, scheidet aus und die Welt scheint wieder in Ordnung. Es trifft aber Menschen, die im System aufgerieben werden. Als mein Garagist in den 90-er-Jahren begann, mir nach jedem Autoservice einen vierseitigen Fragebogen in die Hand zu drücken, habe ich die Garage gewechselt.
Meine Erfahrung mit Qualitätsmanagement gründet speziell darauf, dass ich das Qualitätssicherungssystem für die European Computer Driving License (ECDL) in der Schweiz aufgebaut habe. Dabei versuchte ich, möglichst auf Gespräche und nicht in das Abarbeiten von langen Checklisten zu setzen. Probleme beim Ablauf der ECDL-Tests und die Durchsetzung der regulatorischen Vorgaben kann man im strukturiererten Dialog leichter ausfindig machen, und die TestleiterInnen können mit Ratschlägen besser unterstützt werden. Ich habe dabei in der Regel ein offenes Ohr für meine Anliegen gefunden und so die Qualität der Arbeit wirksamer gefördert. Miteinander reden ist in allen Fällen besser. Fruchtbare Gespräche zu führen erfordert allerdings hohe Kommunikationskompetenz insbesondere auf der stärkeren Seite..
Ein weites Feld für Kontrolle ist der Arbeitsplatz – Zeiterfassung, Finanzkontrolle, Aktennotiz und Protokoll für alles und jedes. Ich habe wohl Verständnis dafür, dass es all dies braucht, aber ich frage mich, wie viel davon sinnvoll und effizient ist. Wenn z.B. die Arbeitsleistung über ein Zeiterfassungssystem mit minutengenauer Präzision erfasst wird – zur Zeit streiten ja Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften darüber –, kommt schnell einmal die Frage auf, ob man Ideen, die einem beim Sonntagsspaziergang zugefallen sind, im Beruf verwerten darf. Als ich 1990 an der Fachhochschule in Chur – damals noch Höhere technische Lehranstalt HTL – begonnen habe, war das Sekretariat mit 3 Personen besetzt. Und diese haben den Dozierenden noch angeboten, die Vorlesungsmanuskripte in die Maschine zu übertragen. Heute übersteigt die Zahl der Verwaltungspersonen jene der im Unterricht tätigen. Eine Entlastung wie früher ist nicht mehr auszumachen. Vielmehr gibt es heute neue Formulare, Rapporte sind auszufüllen, die bei Unklarheiten wieder hin- und hergeschoben werden. Das kostet Zeit und Energie.
Vorgaben von Behörden und Ämtern zur Steuerung der Prozesse, der Qualität, von Output usw. haben diese Entwicklung beschleunigt, und ein Ende ist nicht abzusehen. Bürokratie behindert insbesondere kleine Unternehmen, während grosse damit besser zurecht kommen. Müssten wir nicht Halt machen und fragen, wo die Grenze ist, bei der die Kontrolltätigkeit ihren Nutzen schmälert oder gar zunichte macht? Das richtige Mass finden und Mass halten wäre Gebot der Stunde!
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Quellen:
1 Frey, Bruno S. Frey, Osterloh, Margrit (2008): Sanktionen oder Seelenmassage? Motivationale Grundlagen der Unternehmensführung, Masterkurs Innovationsmanagement Friedrichshafen CME
Hermann Knoll, mag.rer.nat. (66) hat in Wien Mathematik und Physik studiert und diese Fächer zuletzt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur unterrichtet. U.a. war er Präsident des Schweizerischen Vereins für Informatik in der Ausbildung (1994–2004), Präsident der Fachkommissin Dozierendenweiterbildung der Konferenz der Fachhochschulen (2008–2013) und Leiter der Koordinationsstelle Hochschuldidaktik der Fachhochschule Ostschweiz (2004–2013). Kontakt: [email protected]
Mehr zum Thema Bürokratie im Schwerpunktheft «Formularkrieg»
Dazu auch die Tagung «Zur Sache – die Fesseln der Bürokratie sprengen» vom 25. Oktober 2014 in Zürich
Evaluationen in grosser Zahl und in zeitlich engen Kadenzen überfordern die angesprochenen Personen. Heute wird z.B. fast jede Unterrichtsveranstaltung mit Fragebogen evaluiert, wobei die Fragen oft nicht sehr zielführend sind. Ein Gespräch mit der Klasse oder den Kursteilnehmenden führt zu einem besseren Ergebnis. Bei den Fragebogenaktionen geht es wohl eher darum, dass die vorgesetzte Instanz mehr Kontrolle über die Lehrpersonen erhält. Dabei hätten diese mehr Vertrauen verdient. In der Regel ist ja bekannt, wenn ein Kurs schlecht läuft. Das wusste man früher auch schon. Unterrichtsbesuche durch fachlich und didaktisch geschulte KollegInnen mit konstruktivem Feedback würden zur Qualitätsentwicklung mehr beitragen.
Evaluationen mit Fragebogen sind auf den erten Blick eine recht bequeme Sache. Ein paar Kreuzchen, der Computer wertet aus, es gibt Durchschnittswerte und Streuungsangaben zum Vergleich mit anderen. So kann man zumindest numerisch die Illusion von Qualität hoch halten. Wer in diesem Spiel die schlechtesten Werte hat, hat den schwarzen Peter gezogen, scheidet aus und die Welt scheint wieder in Ordnung. Es trifft aber Menschen, die im System aufgerieben werden. Als mein Garagist in den 90-er-Jahren begann, mir nach jedem Autoservice einen vierseitigen Fragebogen in die Hand zu drücken, habe ich die Garage gewechselt.
Meine Erfahrung mit Qualitätsmanagement gründet speziell darauf, dass ich das Qualitätssicherungssystem für die European Computer Driving License (ECDL) in der Schweiz aufgebaut habe. Dabei versuchte ich, möglichst auf Gespräche und nicht in das Abarbeiten von langen Checklisten zu setzen. Probleme beim Ablauf der ECDL-Tests und die Durchsetzung der regulatorischen Vorgaben kann man im strukturiererten Dialog leichter ausfindig machen, und die TestleiterInnen können mit Ratschlägen besser unterstützt werden. Ich habe dabei in der Regel ein offenes Ohr für meine Anliegen gefunden und so die Qualität der Arbeit wirksamer gefördert. Miteinander reden ist in allen Fällen besser. Fruchtbare Gespräche zu führen erfordert allerdings hohe Kommunikationskompetenz insbesondere auf der stärkeren Seite..
Ein weites Feld für Kontrolle ist der Arbeitsplatz – Zeiterfassung, Finanzkontrolle, Aktennotiz und Protokoll für alles und jedes. Ich habe wohl Verständnis dafür, dass es all dies braucht, aber ich frage mich, wie viel davon sinnvoll und effizient ist. Wenn z.B. die Arbeitsleistung über ein Zeiterfassungssystem mit minutengenauer Präzision erfasst wird – zur Zeit streiten ja Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften darüber –, kommt schnell einmal die Frage auf, ob man Ideen, die einem beim Sonntagsspaziergang zugefallen sind, im Beruf verwerten darf. Als ich 1990 an der Fachhochschule in Chur – damals noch Höhere technische Lehranstalt HTL – begonnen habe, war das Sekretariat mit 3 Personen besetzt. Und diese haben den Dozierenden noch angeboten, die Vorlesungsmanuskripte in die Maschine zu übertragen. Heute übersteigt die Zahl der Verwaltungspersonen jene der im Unterricht tätigen. Eine Entlastung wie früher ist nicht mehr auszumachen. Vielmehr gibt es heute neue Formulare, Rapporte sind auszufüllen, die bei Unklarheiten wieder hin- und hergeschoben werden. Das kostet Zeit und Energie.
Vorgaben von Behörden und Ämtern zur Steuerung der Prozesse, der Qualität, von Output usw. haben diese Entwicklung beschleunigt, und ein Ende ist nicht abzusehen. Bürokratie behindert insbesondere kleine Unternehmen, während grosse damit besser zurecht kommen. Müssten wir nicht Halt machen und fragen, wo die Grenze ist, bei der die Kontrolltätigkeit ihren Nutzen schmälert oder gar zunichte macht? Das richtige Mass finden und Mass halten wäre Gebot der Stunde!
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Quellen:
1 Frey, Bruno S. Frey, Osterloh, Margrit (2008): Sanktionen oder Seelenmassage? Motivationale Grundlagen der Unternehmensführung, Masterkurs Innovationsmanagement Friedrichshafen CME
Hermann Knoll, mag.rer.nat. (66) hat in Wien Mathematik und Physik studiert und diese Fächer zuletzt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur unterrichtet. U.a. war er Präsident des Schweizerischen Vereins für Informatik in der Ausbildung (1994–2004), Präsident der Fachkommissin Dozierendenweiterbildung der Konferenz der Fachhochschulen (2008–2013) und Leiter der Koordinationsstelle Hochschuldidaktik der Fachhochschule Ostschweiz (2004–2013). Kontakt: [email protected]
Mehr zum Thema Bürokratie im Schwerpunktheft «Formularkrieg»
Dazu auch die Tagung «Zur Sache – die Fesseln der Bürokratie sprengen» vom 25. Oktober 2014 in Zürich
21. August 2014
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